Andere würden das Haus wohl als Irrenhaus betiteln, doch sie nicht. Es ist so ein unschönes Wort für ein Zuhause, in dem man mehr als die Hälfte seines Lebens verbracht hat. Sie persönlich bevorzugt daher einfach das Wort Haus.
Ein prüfender Griff geht an ihre Rocktasche, wo es leise raschelt, als sie das Pergament berührt. Es ist ein wichtiges Pergament, denn es stehen zwei wichtige Tatsachen darauf verzeichnet. Zum einen ihr Name und zum Anderen, dass sie ihren Weg in die Freiheit erlaubterweise antritt.
Martyra wurde entlassen! | ||
Und zugegeben, sie hat sich selbst entlassen. Weil sie nämlich nicht verrückt ist - sie ist nur ... anders. Aber anders sein bedeutet nicht, dass man eingesperrt werden muss, nicht wahr? Also hat sie beschlossen, zu gehen.
Der Gedanke kam ihr gleich, als jemand von einem entlaufenen Patienten berichtete. Eines Tages machte er sich davon, einfach so. Bei den anderen Bewohnern des Hauses ist er seitdem ein Held, von dem man nur hinter vorgehaltener Hand tuschelt. Und sie hat dem Getuschel aufmerksam gelauscht! Und herausgehört, dass es da diese Hintertür gibt, die manchmal unbeaufsichtigt ist. Wie unvorsichtig!
So kam es, dass sie nun hier steht, den komischen Hut auf dem Kopf, den einer der Doktoren dummerweise auf einem Stuhl hat liegenlassen, und mit dem Rücken an besagte Hintertür gelehnt. Und in der Tasche das wichtige Pergament.
Mit wenigen Schritten hat sie eine nahe Hecke erreicht und zwängt sich hindurch. Eine Wiese liegt vor ihr, recht fein gestutzt, als hätte jemand nichts besseres zu tun, als das Gras Halm für Halm in Schach zu halten. Am Ende der Wiese sieht sie eine Brücke, die über ein Bächlein führt. Das ist ihr Weg!
Es dauert gar nicht lange, bis sie das Spießruten-Wettlaufen mit den hässlichen, roten Kreaturen für sich entschieden hat und mit flinken Schritten über die Planken der Brücke geeilt ist. Auf der anderen Seite bleibt sie wieder stehen und sieht hinüber zu dem Haus.
Es ist nur ein Haus, nichts weiter.