Doch die Worte, die in ihr geschrieben standen, hatten sich offenbar über die Jahre abgenutzt und waren für so manch Seraphen nur noch hohle Phrasen. Unstetigkeit und Verweichlichung waren über die Gemeinde hereingebrochen und nur noch Wenige übrig geblieben, die bereit waren, den wahren Glauben aufs Äußerste zu verfechten und für diesen einzutreten, selbst wenn es ihren Tod bedeuten würde.
Längst schon waren die Zeiten in Vergessenheit geraten, als noch das Wort des einzig Wahren alles war, was gegolten hatte und unbarmherzig über jene gerichtet wurde, die es wagten, von seinem Weg abzukommen. Eine Tatsache für die Tanuri nicht nur die Schuld bei anderen suchen konnte. Auch die Kirche selbst hatte sich in den vergangen Jahren zu sehr auf ihren früheren Erfolgen ausgeruht, sie war faul und träge geworden und hatte sich zu wenig um die Belange und Bedürfnisse jener gekümmert, die nicht fest genug in ihrem Glauben verankert waren und eigentlich der Führung und Unterweisung bedurft hätten.
Einen Missstand, den es zu korrigieren galt.
Die Doktrin, alle Gläubigen sollten sie kennen und bis ins Mark verinnerlicht haben. Doch wie verhielt es sich mit den Schriften, die sonst noch verfasst worden waren? Bekenntnisse, Gebete, Erzählungen über Begegnungen mit dem Herrscher über das Chaos? So viel war hier in der Bibliothek verborgen, so viel versteckt vor der Öffentlichkeit. Aber wer dem Glauben folgen wollte, der musste die Zeugnisse über die Existenz selbst sehen und erfahren können und sie nicht nur aus Priestermund gesprochen hören.
Und so hatte Tanuri beschlossen, dass es an der Zeit wäre, den Zugang zu öffnen. Allen Jüngern, denen es nach Wissen über den dunklen Vater dürstete, sollte es möglich gemacht werden, in den Schriften aus der alten und der neuen Zeit zu lesen um sich selbst ein Bild über seine Einzigartigkeit zu machen.
Vieles war verstaubt, kaum noch lesbar oder in Sprachen verfasst, die heute nicht mehr gesprochen wurden. So würde es an ihr und ihrer Novizin Freya sein, all das, was noch nie gelesen worden war, was bisher im Verborgenen lag und nur der Kirche zugänglich gewesen war, für all jene greifbar zu machen, die Ogrimar als ihren einzigen Gott anerkannten. Es würde dauern, bis sie und Freya alle Werke gesichtet haben würden um ihnen ein neues Antlitz zu verleihen. Aber Pergament war geduldig.
Und auch wenn es Worte waren, die einem jeden Glaubensanhänger bereits mit der Muttermilch gereicht wurden, waren es doch jene, die sie nun, in fein säuberlicher Schrift, auf ein frisches Blatt Pergament niederschrieb. Jene sollten den Beginn der Aufarbeitung vieler Schriften markieren und eine Erinnerung an Seine Gebote sein, die damals so wie heute, nichts in ihrer Mächtigkeit eingebüßt hatten.
§ 1 Du sollst nicht töten Deines Glaubens Bruder oder Schwester. § 2 Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen über Deinen Glauben. § 3 Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen über Deines Glaubensbruder oder Glaubensschwester. § 4 Du sollst nicht richten über Deiner Brüder oder Schwestern Treue wider meines Urteils. § 5 Du sollst mehren meines Glaubens Schar. § 6 Du sollst bekehren meines Glaubens Gegner um sie zu führen auf dem rechten Weg. § 7 Du sollst stellen den Glauben über Alles, denn ich bin Dein Herr, ich bin Dein Schöpfer. ~~ Gebote Ogrimars nach Sankt Pydacor Dark ~~ | |||