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Tanuri
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#1501

Beitrag: # 55174Beitrag Tanuri »



Erzähler

Wie man sich denken kann, geschah so einiges in der wirklichen Welt in den Tagen, nachdem der Handel akzeptiert worden war. Was genau? Nun, ich als Erzähler habe natürlich alles gesehen. Berichten aber lasse ich jene, die es selbst erlebten. Allerdings dürfen die daran beteiligten Protagonisten diesmal die erzählerische Position einnehmen, weshalb einiges, aber auch nicht alles, in zusammengefasster Form in nächster Zeit zu lesen sein wird.
 




 
Die Zeit verging unaufhaltsam. Doch während sie für andere endlos schien, neigte sich Tanuris Zeit schneller als erwartet dem Ende zu, vielleicht genau in dem Tempo, das der dunkle Lord für sie bestimmt hatte. Wie oft hatte sie sich den Tod gewünscht, ihn angefleht, sie von den erdrückenden Gedanken und Emotionen zu befreien, die sie oft in tiefe Dunkelheit stürzten?

Nun, da ihre verbleibende Zeit in Tagen und Stunden zählte, erfüllte sie Furcht. Nicht um sich selbst, sondern um jene, die sie zurücklassen würde: ihre schutzlose Tochter und ihre Adeptin, die nach ihrer Rückkehr viele unbeantwortete Fragen haben würde. Doch das Kind würde es irgendwann verstehen. Denn die Aufgabe, die von der Hüterin verlangt wurde – sich einzig auf ihre Pflicht zu konzentrieren, sich nicht von Gefühlen, Wünschen und Träumen ablenken zu lassen und nur für ihre Bestimmung zu leben – konnte sie nun erfüllen. Vielleicht war dies der notwendige Schritt, um sich ihrer wahren Aufgabe zu erinnern, ohne dass es jemand aussprechen musste.
 
Jahrelang hatte sie nur Ermahnungen und die gnadenlose Offenlegung ihrer Pflichten gehört. Ihr Fokus musste allein der dunklen Prophezeiung und dem Schlüssel gelten. Das Wissen, dass sie für viele nur als Beschützerin Freyas existierte und nichts anderes in ihr gesehen wurde, hatte sich tief in ihr Herz und ihre Gedanken eingebrannt. Aber erst jetzt verstand sie es in aller Vollständig- und Unabwendbarkeit:

Sie war und blieb eine Hüterin, eine Bewahrerin des Schicksals ihrer Adeptin – kein Stück weniger, aber auch nicht mehr.
 
Und genau deshalb lag nun alles endlich mit ungetrübter Klarheit vor ihr, als wäre der Schleier, der ihre Augen getrübt hatte, gefallen. Um Freya, den Schlüssel und somit die Zukunft aller Getreuen des ewigen Herrschers zu retten, war es notwendig, ihr eigenes Leben zu beenden.
 
Aber selbst Hand anzulegen widersprach dem Wunsch ihres Bruders und wäre eine Sünde vor dem Lord und Sünden trug sie bereits genug mit sich. Sollte es jedoch keine andere Möglichkeit geben, wäre sie auch dafür bereit. Doch noch waren die drei Tage nicht verstrichen, und eine Lösung lag greifbar nahe und stand direkt vor ihr. 
 
Es war abzusehen, dass nach Naheniels Verschwinden eine hitzige Diskussion zwischen Adrian und Tanuri entbrannte. Sie war fest entschlossen, ihre Zusage an Naheniel einzuhalten, da sie überzeugt war, dass dies der einzige Weg war, um Freya zu retten und sicher nach Hause zu bringen. Adrian versuchte - für sie vollkommen überraschend - sie vom Gegenteil zu überzeugen. Woher kam dieser Sinneswandel? Jahrelang kannte sie nur seinen unnachgiebigen Willen, Freya zu beschützen, koste es was es wolle, und nun wehrte er sich gegen diesen scheinbar einfachen Handel?
 
"Würde ich Dich töten, würde auch die letzte Barriere für Naheniel fallen und sie endgültig in seine Arme treiben. Also fordere nicht einen sinnlosen Tod von mir."

Adrians ganzes Sein, so schmeichelnd, so warm und so vertraut, dass sie sich am liebsten im nächsten Moment darin verloren hätte, versuchte sie zu umgarnen und an dem, was längst beschlossen war, zu nagen und es einzureißen. Ja, endlich waren sie einander so nah, wie Tanuri es sich lange gewünscht und erhofft hatte. Aber dies durfte jetzt kein Hindernis sein, um das zu tun, was das einzig richtige für Freya war. 
 
"Nichts ist sinnlos. Weder der Tod noch das Leben. Es ist meine Aufgabe als Hüterin und das weißt Du genau." Mit beschwörendem Blick und leiser, aber bestimmter Stimme wandte sie sich an ihn und legte ihre Hand fest auf seine Brust, direkt an die Stelle, wo ihr Lichtzauber einst die Narbe hinterlassen hatte. 
 
"Wenn es geschieht, dann durch Deine Hand. Wir müssen diese drei Tage nutzen, gleich auf welche Weise. Es ist alles, was wir derzeit haben. Verschwenden wir also die Zeit nicht, um zu diskutieren, wer die besseren Argumente hat."  
 
Seine Hand legte sich warm und beruhigend auf ihre, und sein Blick fing ihren ein. „Gerade weil es deine Aufgabe als Hüterin ist, sie zu schützen, ist der Tod keine Option. Wir finden einen Weg.“ Die Überzeugung in seiner Stimme war unüberhörbar, doch Tanuri wäre es am liebsten, dass seine Worte stumm blieben. Die Zeit seine Bestimmtheit anzuzweifeln blieb nicht, denn bereits im nächsten Augenblick umhüllten sie seine Schatten und in nahezu vollkommener Schwerelosigkeit wurden sie durch diese zurück in die sicheren Hallen der Legion getragen. 

 


Nach wie vor war es nicht nur Naheniel, der Tanuri Sorge bereitete, sondern auch Etohs Fähigkeit, mit Freya zu kommunizieren. Welche Verbindung er zu ihr hatte und wie er durch das Wasser Kontakt aufnehmen konnte, blieb ihr nach wie vor ein Rätsel. Doch schon in Sturmkante, vor ihres Bruders Erscheinen, war die Idee in ihr gereift, es ihm gleichzutun.

Der Spiegel, in tausend Scherben, aber immer noch das Tor zu Freyas Aufenthaltsort, lag unberührt im Zimmer ihrer verschollenen Adeptin. Um einer weiteren fruchtlosen Diskussion zu entgehen, schlug Tanuri deshalb vor, Lorena aufzusuchen. Gemeinsam mit ihrer Magie des Eises und Wassers und den Spiegelsplitter könnten sie vielleicht eine ähnliche Verbindung herstellen, wie Etoh es bereits vor ihnen vollbracht hatte. Ein Kontakt zu Freya, so kurz er auch sein mochte, könnte Adrian vielleicht zusätzlich daran erinnern, welches Leben es wirklich zu retten galt.
 
Waren erste Details interessant, die ausgetauscht wurden, als sie auf die Inquisitorin trafen und gemeinsam mit ihr das Zimmer von Freya aufsuchten? Vorerst nicht, weshalb sich in der weiteren zusammenfassenden Erzählung auf das Wesentliche beschränkt werden soll. 
 
Die Stimmung war angespannt, als der Dunkelmagier, die Inquisitorin und die Priesterin vor den Scherben standen, die einst ein Ganzes waren. In diesem Moment symbolisierten sie auf beklemmende Weise, wie leicht ein festes Gefüge in tausend Teile zerspringen kann, wenn gewusst wurde, wo man anzusetzen hatte. 
 
Als Tanuri ihren Blick auf den zerbrochenen Spiegel richtete, schloss sie für einen Moment ihre Augen und das zu sortieren, was wie ein wilder Schneesturm in ihrem Gedanken umher stob. Eine überwältigende Verzweiflung ergriff sie und spiegelte ihr mit hämischer Klarheit, wie verloren sie sich fühlte. Ihr fehlte so viel Wissen über die vergangenen Wochen und die Zusammenhänge - wie zum Beispiel über den Besuch ihres Vaters, den Sand in der Gilde oder diese für sie nicht greifbare Bindung zwischen Adrian und Lorena - blieben ihr verborgen.

Es waren lose Fäden, die sie nicht zusammenfügen konnte. Dies war für sie eine neue und beunruhigende Erfahrung, nicht über alles informiert zu sein und dadurch verstehen zu können. Die Ereignisse, die sich während ihrer Gefangenschaft zugetragen hatten, waren schwer einzuschätzen, da ein wirklicher Austausch zwischen ihr und den Gildenmitgliedern bisher nicht möglich gewesen war.  Gleich an was sie dachte oder was sie versuchte, nachzuvollziehen, alles glitt aus ihren Händen. Um nicht auch noch ihren Status zu verlieren, versuchte sie ihre Unsicherheit hinter der stets so unnahbaren Fassade zu verbergen - selbst hier, vor jenen, denen sie eigentlich vertrauen konnte. 
 
"Lorena? Sag, Eis ähnelt einer spiegelnden Fläche, nicht wahr? Könnte man durch dieses die Scherben wieder miteinander verbinden?" Mit einem leisen Funken Hoffnung richteten sich ihre Augen zunächst auf Lorena, nur um gleich darauf zu Adrian zu sehen. "Und könnten die Schatten nach Freya rufen und sie zu fassen bekommen?" 
 
Zunächst überdachte die Inquisitorin die Worte der Priesterin nachdenklich, bevor sie ihr eine Antwort gab. "Ja, Eis hat ebenfalls eine spiegelnde Oberfläche, jedoch nur, wenn das Licht im richtigen Winkel darauf fällt. Wir könnten versuchen eine ebene Oberfläche aus den Scherben zu machen. Allerdings kann ich nicht sagen, ob es so einfach wäre, wie Du es Dir gerade denkst. Möglicherweise würden wir an den unebenen Kanten zersplittern."

Kurz verstummte kurz, gestand dann aber offen ein, dass sie sich mit derartiger Magie nicht wirklich auskannte. Doch was hatten sie noch zu verlieren? Es musste ein Wagnis eingegangen werden, denn nur so war es möglich, vielleicht endlich einen Schritt vorwärts zu machen, anstatt immer und immer wieder hunderte zurückgeworfen zu werden. 
 
"Die Zeit zieht ihre Schlinge immer weiter um uns zu und schon bald werden sich die letzten Möglichkeiten vor uns verschließen. Wir können es nicht riskieren, weiterhin untätig und abwägend herum zu sitzen, während allen anderen nicht nur das Wissen, sondern auch die Gelegenheiten in den Schoß zu fallen scheinen."

Niemals könnte Tanuri es sich verzeihen, wenn der Schlüssel in die Hände der weißen Seite fallen würde und sich das Schicksal zu Gunsten Artherks ausrichtete. Derzeit aber kam es ihr vor, als wäre dies gar nicht mehr so abwegig und umso mehr galt es deshalb, alles daran zu setzen, dass dies nicht geschah. Niemand von ihnen konnte wissen, ob Freya nach all der Zeit noch genug Vertrauen in ihre Gilde und ihre Familie besaß, um nicht von Etoh und auch Naheniel gegen ihren wahren Willen beeinflusst zu werden. 
 
"Also wagen wir es." Es war Lorena, die erlösenden Worte sprach und begann, die Scherben mit vorsichtigen Bewegungen zu sortieren und, soweit es möglich war, zu ihrer Ursprungsform zusammenzusetzen. Eine scharfkantige Ecke fand schnell die andere und nach und nach konnte die Wassermagierin auf der Oberfläche ihr Ebenbild erkennen, verzerrt und nicht ganz klar, aber doch eindeutig sie.

Ein kleiner Zauber entstand zwischen ihren Fingern, von denen sogleich Wassertropfen hinab fielen, um die Fugen zu füllen und sich wie ein schützender Film über die Spiegelfläche zu legen. Dabei sollte es aber nicht bleiben, sondern mit einer Berührung ihrer Handfläche und einer beschwörenden Formel wandelte sich das fließende und in steter Bewegung befindliche Wasser zu Eis. Während Tanuri vorerst nicht mehr tat als zu beobachten, trat Adrian neben Lorena und ließ seine dunkle Macht wirken.

Schatten lösten sich aus den Ecken, verdichteten sich und hüllten den Raum in ein dämmriges Zwielicht. Ohne zu zögern griff Adrian nach dem Dolch an seinem Gürtel und zog die tiefschwarze Klinge, aus dessen Schneide sich feine Fäden reiner Finsternis emporschlängelten, über seine Handfläche. Schwarzes Blut floss in einem dünnen Rinnsal hinab, traf auf den Spiegel und verband sich, einem Spinnennetz gleich, mit dem Eis, das von Lorene beschworen wurde. 
 
Zuerst wirkte es so, als würde der Zauber, der auf den Spiegel wirkte, gelingen. Schemenhaft zeichnete sich ein Bild auf der Oberfläche ab, doch war noch nicht in seiner Gesamtheit zu erkennen, ob auf der anderen Seite tatsächlich jemand anderes stand, oder sich nur Lorenas Spiegelung aufgrund des Eises verzerrte. Als Tanuri näher trat, um selbst einen Blick hineinzuwerfen, begannen die Scherben plötzlich zu zittern und zu beben. Zeitgleich erfüllte ein unheimliches Knistern den Raum und die Oberfläche begann zu flackern.

"Lorena?" Die Augen der Priesterin richteten sich auf die Eismagierin, die sichtlich unter der Macht, die von ihr ausging, zu kämpfen hatte. Hörte sie sie überhaupt, oder war sie vollkommen vereinnahmt von der Kälte, die sich ausbreitete und in kleinen Eiskristallen auf die Möbel, den Boden und die Personen legte? Nochmals wiederholte Tanuri den Namen ihrer Gildenschwester und streckte ihre Hand nach ihr aus, um sie sacht zu berühren. Doch noch bevor ihre Fingerspitzen den Arm Lorenas berühren konnte zersprang der zuvor durch Eis und Blut geflickte Spiegel in tausend Scherben.

Wie gläserne Dolche wirbelten sie durch die Luft, gefolgt von einem kalten Windstoß, der durch den Raum fegte und das düstere Zwielicht der Schattenmagie, die von Adrian ausging, auslöschte. Für einen Atemzug blieben die glitzernden Spiegelfragmente in der Luft hängen, bevor sie mit einem lauten Klirren zu Boden fielen, um dort ein chaotisches Mosaik aus Reflexionen zu bilden, die nichts als Leere zeigten. 


"Nein…" Ihre Lippen formten das Wort, doch kaum gelang es ihrer Stimme, es auszusprechen. Ihre beste, nein, wahrscheinlich ihre einzige Chance, mit Freya Kontakt aufzunehmen, war - im wahrsten Sinne des Wortes - zerbrochen. 

Ja, mein Herr und Meister, ich bin Deine Dienerin!
Lege Deine Finger auf meine Lippen und berühre mit Deiner Hand meine Zunge
auf dass ich Deinen Willen und Dein Wort verkünde!


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~~ Priesterin der dunklen Kirche und Mentorin ihrer Adeptin Freya ~~ 

Anführerin der Legion des Schattens
Frau des Adrian Al Saher 
Mutter der Nymeria Al Saher 
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#1502

Beitrag: # 55175Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Das klirrende Geräusch erklang sowohl an dem einen als auch an dem anderen Ort. Die Silhouette, die sich in dem Spiegel, der sich in Freyas Zimmer befand, abgezeichnet hatte und eben nicht, wie vermutet, Lorenas Abbild war, zeigte ein zufriedenes Lächeln. "Sie darf nicht gehen", flüsterte die Gestalt selbstvergessen, während sie sich langsam von dem zerrissenen Oberfläche zurückzog. 
Es war nicht die Schuld der Inquisitorin gewesen, auch wenn es außer ihr niemand wissen würde. Aber das kümmerte sie nicht, denn ihr war nur daran gelegen, es aufzuhalten. 

So war nur ein warmer Atemhauch nötig gewesen, der sich gegen die Kälte von Lorenas Magie gestellt hatte. Dadurch war die Spannung auf der Oberfläche zu groß geworden und konnte nicht länger standhalten. 

Ein leises, fast bedauerndes Seufzen entwich ihr, nachdem der Spiegel im Zimmer der Adeptin unrettbar zerborsten war. Eigentlich war es eine Schande, solch etwas Schönes zu zerstören. Doch es war notwendig, ja, womöglich sogar ihre einzige Rettung. Sie musste bleiben. Genau hier, bei ihr. Langsam hob sie ihre Hand dem von den vielen Spiegeln entgegen, der nur zersplittert, aber nicht vernichtet war.
Als Freya nach dem Splitter in ihrer Tunika griff, wurde dieser warm und immer wärmer, bis er beinahe zu glühen begann.

"Ich kann Dich immer noch sehen. Du mich auch?"
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#1503

Beitrag: # 55176Beitrag -Freya- »

Freyas Finger schlossen sich um die Scherbe in ihrer Tunika, als eine unheimliche Wärme durch den Stoff hindurch bis an ihre Haut drang. Nicht nur seine scharfen Kanten konnte sie spüren, sondern ebenso ein sanftes Pulsieren gegen ihre Handfläche. Zunächst kaum spürbar, dann mit einer Intensität, die ein Kribbeln durch ihre Adern jagte. Was hatte das zu bedeuten? Zittrig holte Freya Luft, während das Glühen des Fragments sich verstärkte. Ein leichtes Beben, das von ihren Lippen ausging.

Nein, es war keine Einbildung. Sie hörte das Flüstern. Worte, die sie nicht greifen konnte, aber spürte, wie einen kalten Hauch im Nacken.
War es das, wovor sich Ardyn fürchtete? Oder war es die Antwort, die sie suchte? Es gab nur einen Weg, es herauszufinden.

„Ich sehe dich nicht“ Ihre eigene Stimme war bedeutend leiser, kaum mehr als ein Atemzug, während ihre Augen über die Oberfläche hinwegwanderten und sie einzig ihr eigenes Spiegelbild erblickte, dessen Fingerspitzen sich an ihre legten. Nein, sie konnte nur sich sehen, 
blasse Haut und das Blau ihrer Augen, welches langsam über die feinen kaum mehr sichtbaren Risse hinweg zu ihrer Hand wanderte.

„Nur ich bin hier. Aber ich weiß, dass du da bist.“ Wusste sie es wirklich? Oder war es das, wovor Ardyn sie gewarnt hatte? Eine Fantasie, in der sie sich verlieren würde, eine unerreichbare Hoffnung, der sie abermals nachjagte? Kurz biss sie Freya sich auf die Lippen, ehe sie die Scherbe in ihrer Tunika verborgen fester umschloss, als wäre sie ein Anker inmitten eines Sturms, der nur in ihrem Inneren tobte. „Wer… wer bist du?“
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#1504

Beitrag: # 55178Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Verwundert über die Antwort legte sie zunächst ihren Kopf zur Seite und verfiel in Schweigen. Was für seltsame Worte es schon wieder waren, die sie zu hören bekam. Nicht wirklich das, was sie erwartet hatte. Oder womöglich genau das, was sie erwarten musste?

Nachdenklich krauste sich ihre Stirn und sie wendete sich ab.
"Was für eine Frage… wer ich bin." Das wirre dunkle Haar fiel bei einem Kopfschütteln in ihr Gesicht, welches eigentlich ganz deutlich zu erkennen gewesen war. "Das ist doch ganz offensichtlich!"

Sie entfernte sich einige Schritte von dem Spiegel und wendete diesem und Freya ihren Rücken zu. "Oder willst Du etwa Scherze mit mir treiben?" Abrupt stoppte sie, drehte sich wieder herum und versuchte, sich, stumm mahnend, in Geduld zu üben. Eine Tugend, die ihr über die Jahre allerdings ziemlich abhanden gekommen war.

Genauso wie ihr Humor.
Wobei, bedachte sie es genau, war diese charakterliche Eigenschaft ihr nie sonderlich im Blut gelegen. Wie so vielen in ihrer Familie.


"Du siehst Dich doch ganz deutlich, oder nicht? Also bin ich Du. Oder Du bist ich. Ganz so wie es Dir genehm ist."
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#1505

Beitrag: # 55180Beitrag -Freya- »

Freyas Blick verengte sich, während sich ihre Stirn in nachdenkliche Falten legte, doch sie schwieg. Die Antwort war rätselhaft, verwirrend – und doch lag ein Hauch Wahrheit darin, der sie innehalten ließ.

Unsicher musterte sie das lange, wirre Haar, das wie ein dunkler Strom über den Rücken der Gestalt im Spiegel floss. Ihre Finger strichen suchend über die Oberfläche hinweg, als könnten sie die Erscheinung erfassen - eine Erklärung oder Bedeutung finden. Doch im selben Augenblick wandte sich ihr Ebenbild herum. Blaue Augen, die sie mit solcher Intensität trafen, dass Freya ihre Hand instinktiv unmittelbar zurückzog.

Blinzelnd konzentrierte Freya sich wieder auf die Züge der Gestalt, während ihre andere Hand sich fester um die Scherbe legte, deren Hitze noch immer auf ihrer Haut kribbelte. Doch die scharfen Kanten, die sie spüren konnte, waren echt. Ein Gefühl, das sie unterbewusst für sich suchte.

„Wenn du ich bist oder ich du …“ Leise und bedacht, erhob sie ihre Stimme, welche fast nur ein Flüstern formte, als fürchtete sie, die Tür könnte sich jeden Augenblick öffnen und jemand ihre Worte aufschnappen. 

…dann weißt du, woher ich komme – und was ich will.“ Eine Braue hob sich kaum merklich, während sie die Erscheinung einen Moment lang schweigend betrachtete, als suchte sie in den vertrauten und doch fremden Zügen nach Antworten. Sag mir, ist es möglich? Gibt es einen Weg?“
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#1506

Beitrag: # 55182Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Je länger Freya die Scherbe in ihrer Hand hielt, desto heißer schien sie zu werden und sich tief in ihre Haut zu graben. "Mach sie nicht kaputt." Raunte die Stimme und blickte das Spiegelbild zurechtweisend an.

"Es ist schließlich schon genug zu Bruch gegangen, denkst Du nicht?" Leicht schürzte sie ihre Lippen und trat wieder näher an die Risse heran, die durch ihre Nähe nun leicht zu vibrieren schienen. "Dummerchen. Natürlich weiß ich, woher ich komme."

Mürrisch senkte sich ihre Stimme und atmete einmal tief ein und wieder aus. "Oder wie ich hierher gelangt bin. Hinein. Hinaus! Die Frage ist immer noch die gleiche, nicht wahr? Seit Jahr und Tag. Die Dunkelheit kam, die Dunkelheit ging. Doch ich blieb hier."

Eine ihrer Hände ballte sich wütend zu einer Faust, doch sie zügelte sich, mit dieser nicht gegen den brüchigen Spiegel zu schlagen. "Oder soll ich mich nun selber daran erinnern?" Erschrocken weiteten sich ihre Augen, die Faust löste sich kraftlos und ein Erstaunen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. "Fange ich tatsächlich an zu vergessen?"

Sie richtete ihren Blick nach unten, fort von dem Bild vor ihr und verlor sich für einige Momente im Schweigen. "Will er von mir, dass ich vergesse?" 
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#1507

Beitrag: # 55184Beitrag -Freya- »

Freya spürte, wie die Scherbe in ihrer Hand immer heißer wurde, während die Worte der Gestalt – Mach sie nicht kaputt“ – in ihrem Kopf widerhallten. Doch sie lockerte ihren Griff nur minimal, gerade so weit, dass ihre Fingerspitzen behutsam über die scharfen Kanten gleiten konnten, um sich beim leisesten Anzeichen eines weiteren Albtraums selbst in die Wirklichkeit zu holen. Nein, sie durfte sich weder verlieren noch vergessen.

„Wer will, dass wir vergessen?“ flüsterte sie die Worte wie einen leisen Gedanken, der sich kaum über ihre Lippen stahl, während ihr Blick über die vibrierenden Risse im Spiegel glitt. Dunkelheit und Vergessen. Sie wusste, wer sie war, oder zumindest, wer sie einst gewesen war. Etwas, das hier keine Bedeutung hatte. Eine Tochter und eine Schülerin. Eine Adeptin Ogrimars. Allerdings hatte das Spiegelbild recht: Die Erinnerungen verblassten, wurden zu Schemen, die ihr entglitten.

 "Warte …"  Ihre Lippen wurden zu einer schmalen Linie, ehe sie ihre Gedanken klärte und den nach unten gerichteten Blick ihres Ebenbildes betrachtete. - Was hatte sie da gerade gesagt? - Mit entschlossenen Schritten trat sie näher, während ihre Finger nervös an den spitzen Rändern des Splitters spielten.

„Hinein – hinaus. Es gibt also einen Weg.“ Ihre Stimme bebte leicht, nicht aus Furcht, sondern aus kaum gezügelter Hoffnung. Das Blau ihrer Augen schimmerte aufgeregt. Ein ungeduldiger und fordernder Blick, der sich auf den Spiegel richtete. „Nein, nein, nein. Du darfst nicht vergessen. Erinnere dich. Lichthafen, der Felsendom. Wie kommen wir dorthin zurück?
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#1508

Beitrag: # 55185Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Und Er...
 


Sie rümpfte ihre Nase, sah nach oben und starrte ihr Ebenbild abfällig an. "Ich hatte doch schon vor Jahren gesagt, dass wir nicht mehr darüber sprechen! Nicht über Lichthafen, nicht über den Felsendom, nicht über zu Hause. Und auch nich über das, was dort auf uns wartet." Rügend schüttelte sie dazu knapp ihren Kopf und war schon dabei, sich erneut abzuwenden.

"Und außerdem, was hilfts, wenn ich fortgehe? Er wird mich wieder finden. Denn er findet mich immer und überall." Sie verharrte, blickte sich in die Augen, als erhoffte sie dort etwas zu erkennen, was sie längst verloren hatte. 

"Ich war doch schon fort. Ziemlich weit. Aber er fing mich ein und tut es noch. Wieder und wieder, wie in einem Spiel. Und dann verfange ich mich in seinen Schatten und er hält mich mit diesen fest." Ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser und leiser, bis sie schon fast verstummte. "Aber das muss er ja auch. Er hats schließlich versprochen: Mich für immer bei sich zu behalten und auf mich aufzupassen." Ein trauriges Lächeln zeichnete sich auf ihren blassen Lippen ab, bevor sie sich im nächsten Moment bereits wieder fasste und ihren Körper gerade richtete.

"Warum sollte ich also dorthin zurück wollen?" 


 
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#1509

Beitrag: # 55186Beitrag -Freya- »

Freya zog die Stirn kraus, als das Spiegelbild ihre Frage nicht beantwortete, sondern weiterhin dieses traurige, rätselhafte Lächeln trug – jenes Lächeln, das nicht ihr gehörte und dennoch auf ihren Lippen lag. Ihre Augen verengten sich leicht, während sie prüfend über das Gesicht wanderte, das ihr so ähnlich war – dieselben Wangenknochen, dieselbe Stirn, derselbe Blick – und doch lag in den Augen ein dunkler Schimmer, ein Hauch von Wissen, das sie selbst nicht besaß.

Im gegenteil, sie warf immer weitere Fragen auf. Unsicherheiten und Zweifel. Hatte jemand sie beobachtet? Lenkte jemand ihre Schritte, wie ein Puppenspieler, verborgen hinter Schleiern und Spiegelglas?

Nein, es gab weder Grund noch Konstante auf ihrem Weg – nur den Kater, der bei der Gräfin geblieben war. Ein leises Seufzen entkam ihr. Ihre Schultern sanken kaum merklich, während ihr Blick im Spiegel ins Leere driftete.

So viele Möglichkeiten, so viele Gesichter… Der Reiter, dessen Augen sie nie vergessen konnte. Aber er war tot.  Oder meinte sie den Prinzen? Er hatte es zugegeben, dass er ihren Weg verfolgt hatte, aber er konnte nur in ihre Welt sehen, nicht hineingreifen. Wäre es anders, würde er ihre Hilfe nicht brauchen.

Ihre Fingerspitzen glitten wie von selbst über die raue Kante der Scherbe. Eine feine scharfe Linie, an der sie sich entlangbewegte, ehe ein scharfes Stechen sie in die Wirklichkeit zurückriss.
Unmittelbar wich der träumerische Ausdruck von ihrem Gesicht, während sich das Blau ihrer Augen klärte.

„Ich muss zurück.“ Ihre Stimme war nicht mehr das leise, unsichere Flüstern von eben. Es war eine Forderung. An sich selbst. Eine Verankerung. Die Kälte darin war nicht Herzlosigkeit, sondern Entschlossenheit. „Ich habe ein Leben dort – Familie, Freunde… eine Bestimmung. Genau wie du.“

Sie schüttelte den Kopf. Ein winziger, aber spürbarer Versuch, die letzten Schleier aus Gedanken zu vertreiben und gleichzeitig ihrem Ebenbild mit nur einer Geste zu zeigen, dass sie nicht aufgeben würde. Unnachgiebig sah sie dem Spiegelbild ins Gesicht. In diese fremd-vertrauten Augen, in denen ein anderes Leben zu liegen schien.

Sie war nicht ohne Grund hier. Nein, sie war nicht einfach entwurzelt worden – man hatte sie aus dem Leben gerissen. Und das bedeutete, dass es einen Ursprung gab. Einen Anfang. Eine Absicht. Etwas oder jemand, vor dem man sie warnen wollte.

„Wen meinst du mit ‚er‘?“ Ihre Stimme war leiser geworden, fast schon eindringlich. Nicht wütend, sondern das Suchen einer Wahrheit, die sich immer wieder entzog. „Wer oder was hält dich hier?
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#1510

Beitrag: # 55187Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Und Er

Für den ein oder anderen mochte es verwirrend sein, mit sich selbst zu sprechen. Für sie aber war es seit langer Zeit die einzige Möglichkeit, ihre Stimme zu hören. Wie lange sie bereits hier war, das hatte sie vergessen. Oder wollte es vielmehr vergessen und redete es sich ein, es nicht zu wissen.

Familie, was für ein seltsames Wort.

Aber sie wusste noch, was es war. Ihre Familie. Diese war so weit weg, aber irgendwie weiterhin so greifbar. Sie könnte sie wahrscheinlich sehen, wenn sie wollte. Aber würde sie den Schmerz ertragen? Das Bild ihres Vaters? Und ihrer Geschwister? Wenn sie sie mit vorwurfsvollen Blicken ansahen, weil sie es doch selbst gewesen war, die sich für den Fall hinein in diese Welt entschieden hatte. Oder war es nicht ihre freie Wahl gewesen? Wie sollte sie das noch beantworten können?


"Glaubst Du wirklich daran, dass sie noch auf Dich warten? Dass sie Dich aufnehmen mit offenen Armen? Du hast Dich gegen sie gewandt mit Deiner Entscheidung."

Ihre leise Stimme verstummte vollständig und ein resignierender Ausdruck machte sich auf ihrem schmalen, im Schatten des Spiegels und der Umgebung kränklich scheinenden Gesicht breit.

"Nein. Sie werden mich nicht mehr wollen." Sie trat erneut zurück und ging weg, so dass sie nicht mehr zu sehen war. Trotzdem aber sprach das Ebenbild weiter. Eine Tatsache, die sie verwirrte. Spiegelbilder konnten nicht sprechen, wenn man nicht direkt in sie hineinsah. Wurde sie etwa verrückt?

"Wer oder was hält Dich hier?" 


Wie aus dem Nichts stand sie plötzlich wieder vor der gesplitterten Oberfläche, legte ihre flachen Hände darauf und übte gegen das Glas Druck aus, als wolle sie es mit einem heftigen Ruck von sich schubsen. Als das nicht gelang, begann sie laut zu kreischen und ihr erhitzter Atem setzte sich auf ihrer Spiegelung ab, so dass kaum mehr von ihr zu sehen war, als nur ein verzerrter Schemen ihrer selbst.

"Warum fragst Du mich das immer wieder? Du weißt es doch!" Tränen füllten ihre Augen, lösten sich jedoch nicht aus ihnen und zeigten womöglich gerade deshalb umso mehr den Bruch in ihr, den sie nicht zulassen durfte. "Der Schöpfer!"


 
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#1511

Beitrag: # 55188Beitrag -Freya- »

Unbewusst wich Freya einen Schritt zurück, als ihr Ebenbild seine Verzweiflung in einem Kreischen zum Ausdruck brachte. Ein Gefühl, das sie selbst zu gut kannte und dem sie nur allzu oft hatte nachgeben wollen.  Ihr Atem stockte kurz, als sie den verzerrten Schemen sah, die flachen Hände, die gegen das Glas drückten, und diesen Blick – resigniert, gebrochen, doch so vertraut. Sie kannte diesen Schmerz, das Gefühl, vergessen zu sein, unfähig zu entkommen.

„Du hast Dich gegen sie gewandt.“ Die Worte hinterließen einen stechenden Schmerz in ihrer Brust. Nein. – Ihre Augen verengten sich ein wenig, nicht in Zorn, sondern in einer entschiedenen Überzeugung – wie jemand, der eine Lüge erkennt, die viel zu oft wiederholt wurde, um noch glaubwürdig zu sein.

„Du irrst dich.“ Ihre Stimme war ruhig, fast zärtlich – als würde sie ein Kind zurechtweisen, das sich in einem Albtraum verloren hatte. „Ich bin nie gegangen, weil ich es wollte.“

Sie trat näher an den Spiegel, ließ ihren Blick nicht von dem schemenhaften Bild ab, das in der feuchten Spur des Atems hinter dem Glas kaum noch zu erkennen war. Ihre eigene Stimme klang plötzlich fremd und stark zugleich, getragen von einem Wissen, das tief in ihr ruhte – und vielleicht auch von der Hoffnung, die sie sich nicht einfach wieder nehmen lassen wollte.

„Du sprichst von offenen Armen, als wären sie nur für die Fehlerlosen reserviert. Aber das ist weder Familie noch Freundschaft.“ Erklärte sie überzeugt, auch wenn sie die Hysterie des Spiegelbildes nachfühlen konnte. Die Furcht, wenn das Einzige, was zu Hause auf sie wartete, die bittere Erkenntnis war, dass niemandem etwas bedeutete.

„Ist es das, wovor du dich fürchtest? Abgelehnt zu werden?“  Ihre Augen verengten sich, suchend, während sie einen Schritt näher trat. Getroffen von diesem Blick, der nicht nur Schmerz, sondern auch Erkenntnis trug, hielt Freya inne. Ja, sie wusste, wie es war – gefangen, verloren und einsam. War das ihr eigener Zweifel, der sie anstarrte?

„Du weißt, wie es ist, nicht fliehen zu können…“ murmelte sie, eher zu sich selbst, „ … und auch, wie es ist, gefunden werden zu wollen.“ ... allein zu sein und niemand kam. Ein Gedanke, den sie beiseitewischte und leicht das Kinn anhob, nur eine Nuance, doch es reichte, um etwas Herausforderndes in ihre Haltung zu legen – kein Trotz, kein Hohn, sondern eine Hoffnung an die sich sich klammerte. Eine entschlossener Glaube, an dem sie sich festhielt „Der Schöpfer? Ogrimar selbst lehrt uns, dass wir uns nicht kampflos ergeben sollen. Wir müssen zurück.“

Auch wenn niemand gekommen war, wollte sie den Gedanken nicht zulassen, dass niemand auf sie warten würde. Ihre Hand hob sich ihrem Ebenbild entgegen. Eine langsame vorsichtige Bewegung, während sie das Vibrieren des Oberfläche unter ihren Fingern spürte. Ein Kribbeln, das sich über ihre Haut hinweglegte. Dennoch legte sie ihre Handfläche an die ihres Spiegelbildes. „Warum sollte der Schöpfer uns hier festhalten oder den Willen haben, uns vergessen zu lassen, wer wir sind?“

Was tat sie hier eigentlich? Scheinbar hatte Ardyn doch recht und es war ein Fehler. Alles was sie hörte waren tiefbegrabene Zweifel, denen sie nicht länger lauschen durfte. Eine Illusion, die sie besser wieder unter dem Stoff verhüllte, um kein weiteres Mal in Versuchung zu geraten. Langsam lösten sich ihre Finger, ehe Freya ihre Wimpern niederschlug und sich herumwandte, um sich nach dem großen Tuch zu bücken.
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#1512

Beitrag: # 55189Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Das Fremde - Das Bekannte - 
Das Ich - Das Du

Und Er. 


"Du sprichst von Ogrimar, klammerst Dich an ihn. Dabei hat er hier doch keine Relevanz."

In einem unerwarteten Wandel verschwand das vor Wut verzerrte Gesicht und wich einer Leere, die nur schwer zu ertragen war. Leise schnalzte sie mit ihrer Zunge und strich zärtlich mit ihren Handflächen über die durch die Risse aufgeraute Oberfläche des Spiegels. "Jetzt verstehe ich. Du denkst, es ist leichter, wenn man so tut, als wisse man von nichts. Als wäre alles wie damals."

Tief seufzte sie und versuchte der Leere in ihrem Gesicht mit dem Anflug eines Lächelns eine Emotion zu verleihen. "Willst Du etwa wieder von vorn beginnen? So als wär es der erste Tag? Was bringts, wenn alles nochmal neu gelernt werden muss?" Leicht nur blinzelte sie und die Tränen, die nur wenige Sekunden zuvor noch so zahlreich ihre blauen Augen überdeckten, verschwanden. Ganz so, als wären sie nie gewesen.

"Freude, Familie. Sie sind nicht hier. Sie können keine Sicherheit geben oder es aufhalten. Dabei wussten sie es doch, haben mich vor ihm gewarnt. Ich habe mich selbst gewarnt. Und trotzdem…"

Trotzdem war sie hier. All die Ratschläge, all die Wahrheiten. Sie hatte es gesehen, aber ihren Blick abgewandt. War dem Flüstern in ihrem Kopf gefolgt, welches ihr sagte, dass es richtig ist, denen den Rücken zu kehren, die sie tatsächlich beschützten und stattdessen immer weiter auf seine Nähe zuzulaufen.

Ihre Stimme wurde nun wieder etwas lauter und wesentlich fester, als sie sich zurechtweisend an Freya richtete.
"Immer wieder dieses "Warum". Als wüsstest Du es nicht. Wüsstest nicht, um die Macht, die der Schöpfer wirkt. Wollen wir nun so tun, als wärst Du blind?" Wie schon kurz zuvor rümpfte sie ihre Nase und schüttelte ihren Kopf, so dass sich dunkle Strähnen wirr in ihr dünnes und ausgezehrtes Gesicht legten. "Das ist ein ziemlich dummes Spiel."


 
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#1513

Beitrag: # 55190Beitrag -Freya- »

„Hüte dich, so etwas zu sagen!“ Die Worte verließen ihre Lippen in einem Flüstern, das wie ein Befehl klang. Freyas Stimme bebte vor Entrüstung, und gleichzeitig ballten sich ihre Hände zu Fäusten, sodass der Stoff in ihren Fingern zerknitterte. „Wage es nicht, die grenzenlose Macht des Meisters anzuzweifeln.“ Doch dann hielt sie inne, als ein flüchtiger Gedanke sie durchzuckte. Ihre Brauen zogen sich zusammen, als sie das Gesicht vor sich betrachtete – dieses vertraute Spiegelbild, das sie nicht nur tadelte, sondern ihr vorwarf, blind zu sein.  

Ihre Nase verzog sich unwillkürlich, als sie den Blick vom Spiegel abwandte. Ihre Augen glitten zum Boden, als würde sie mit ihren eigenen Gedanken ringen, sich nicht von der Leere einholen zu lassen, die sie aus dem Spiegel heraus ansah.

„Das Spiel ist dir zu dumm?“ Ihre Augenbraue zuckte auf, und sie richtete sich auf, schüttelte das Tuch aus, sodass es für einen Moment in der Luft wehte, nur um dann wieder in die vertrauten Falten zu sinken. „Mir auch", murmelte sie, doch der Ton in ihrer Stimme verriet eine entschlossene Festigkeit.

„Ja, du hast recht, man hat mich vor vielen Dingen gewarnt“, sprach sie leise, aber fest, während das Tuch in ihren Händen ein weiteres Mal aufbauschte. „Vor dem rothaarigen Jungen, im Waisenhaus, vor dem Vampirlord, vor Naheniel, vor dem weißen Priester, davor Schwäche zu zeigen, davor andere offen zu kritisieren, irgendjemandem zu vertrauen …“

Mit jeder Erwähnung schüttelte sie das Tuch aus, ließ es in der Luft flattern, nur um es wieder in sich zusammenfallen zu lassen. Ihre Lippen pressten sich zusammen, als sie den Spiegel ein weiteres Mal herausforderte. „… und auch davor, mich im Spiegel zu verlieren.“

Schweigend betrachtete Freya, wie der aufgeschlagene Stoff sich beinahe schwebend vor ihr auf den Boden senkte, bevor sie tief Luft holte. Es gab einiges, das ihr so bekannt war. Vieles, wo sie glaubte, sich erkennen zu können, nur um dem Spiegelbild im nächsten Moment schon nicht mehr folgen zu können. „Ich weiß nichts über den Schöpfer...“

Ein trotziger Schimmer glitt über das Blau ihrer Augen, als Freya sich dem Spiegel zuwandte. Eine kühle und zugleich abwehrende Entschiedenheit, mit der sie die Zweifel, die in den Tiefen ihrer selbst noch immer vorhanden waren, unter einem Tuch begraben würde. „… und wenn du mir nicht helfen willst, dann hast du keinen Nutzen für mich. Ich finde auch selbst die Antworten.“
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#1514

Beitrag: # 55191Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Die Fremde. 
Die Bekannte. 
Ich. 




 
"Dafür, dass Du Deine Antworten selber finden willst, stellst Du zu viele Fragen." Bemerkte sie spitz, richtete sich gerade und zog ihre Hände von der spiegelnden Fläche zurück. "Aber so war ich schon immer. Viele Fragen, doch waren sie immer nur in meinem Kopf. Erst wenn ich die Antworten kannte, sprach ich über sie. Was hat sich geändert?"

Nachdenklich legte sie ihren Kopf zur Seite und suchte ihre Umgebung mit den Augen ab, als fände sie dort etwas, das ihr half. Doch es gab nichts, was ihr helfen konnte, das hatte es nie gegeben. Nicht, seit jenem Tag, an dem er in ihr Leben getreten war. Vorsichtig streckte sie ihre in die Leere und dachte dort etwas zu spüren. Der Schimmer einer anderen Dunkelheit, die mit dem Frost gekommen war.

Ein Gefühl, ein Hauch von zu Hause? Doch nein, das konnte nicht sein. Es war nie gewesen, seitdem sie hier war.

Er war es, er musste es sein. Er war hier, so wie er es früher auch immer war, als sie seine Nähe noch suchte. Oder war es doch .... Eilig, als hätte sie in ein Feuer gegriffen zog sie ihre Hand wieder an sich heran und verbot sich jeglichen weiteren Gedanken. 
 
"Nichts über den Schöpfer weiß sie. Das behauptet sie zumindest."  Ihr Blick verlor sich nun im Nichts, während ihre Worte mal leiser, mal lauter wurden, nur um sich ineinander zu vermischen und zu einem wilden Stimmengewirr anzuschwellen, welches sich zwischen dem Rahmen des Spiegels hin und her warf.

"Dabei weiß sie doch eigentlich genau das, was sie wissen soll. Sie kennt ihn. So wie ihn alle kennen. Solange ist er bereits in meinem Leben, wie kann ich da nur behaupten, nichts über ihn zu wissen?" Erschrocken zuckte sie zusammen, löste ihren Blick von dem Nichts und legte ihren Zeigefinger auf die Lippen. "Schhhhhh. Ich muss still sein. Er soll nicht böse sein mit mir. Oder hast Du etwa vergessen, wie es ist, wenn er das ist?"

Mit einem Mal war es still, erdrückend still. Als wäre jedes Geräusch, welches es in ihrer Umgebung gab, von dem Tuch, das Freya flattern und in sich zusammenfallen ließ, zugedeckt worden. "Die anderen haben Dich gewarnt und nun warne ich Dich. Hör auf Dich zu belügen."
 
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Lorena
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#1515

Beitrag: # 55192Beitrag Lorena »

In den Hallen der Legion

Umgeben von vollkommener Finsternis hatte es sich Lorena in ihrem Zimmer in der Sitzecke nahe des Fensters bequem gemacht.
In ihren Händen drehte sie einen alten metallenen Schlüssel, während sie die letzten Stunden im Geiste Revue passieren ließ.
Die einzige Lichtquelle, die sich ihr bot, war der Mondschein, welcher diffuse Schatten in ihr Zimmer warf.
Ihr Verstand spielte ihr immer häufiger Streiche, gaukelte ihr Dinge vor, die nicht real waren.
Doch das, was im Zimmer der Adeptin geschehen war, sollte keine Einbildung gewesen sein, es war etwas, mit dem sie sich
auseinandersetzen musste.


Vor ihrer Rückkehr in die Hallen der Legion hatte Lorena die vergangenen Tage damit zugebracht, die Bibliotheken Altheas nach
alten Schriften über Spiegelmagie zu durchforsten. Wie es schien war die Kunst der Spiegelmagie äußerst tückisch, kaum jemand
schien wirklich darüber im Bilde zu sein, wie jene wirkte und was bei ihrer Anwendung zu beachten war.
Ihre Ausbeute war ernüchternd, denn jeder, den sie neben ihren Recherchen befragt hatte, hüllte sich entweder in Schweigen
oder aber äußerte wage Theorien über das Gleichgewicht notwendiger Intelligenz, benötigter Wissensstärke und Ankerwesen.
Auch die Gelehrten waren sich uneins, einige taten diese Form der Magie als betrügerische Trickserei ab, um gutgläubige
Menschen in die Irre zu führen. Andere beriefen sich eher auf die esoterischen Aspekte, welche jene Objekte für sich
beanspruchten, während wieder andere von machtvollen Spiegelprojektionen sprachen, die viel Dunkelmagie und ein Blutopfer
benötigten.


Alles in Allem, nichts Halbes und nichts Ganzes. Eine Erkenntnis, mit der sie unzufrieden in die Legion zurückgereist war,
um noch mal zum Ursprung zurückzukehren. Ihr Plan sah vor, alle Hinweise erneut durchzugehen, um sicherzustellen, dass sie
nicht übersehen hatten. Als aber auch der Informationsaustausch mit Tanuri und Adrian zu keinem Durchbruch führte, fanden
sie sich wenig später erneut im Zimmer der jungen Adeptin ein. Alles, was ihnen jetzt noch blieb, war eine Meer aus Scherben.
Ein Mosaik aus scharfkantigem Glas, welches wieder zusammengefügt werden musste.


Die Priesterin ahnte wohl als Erste, dass ihnen keine weitere Option blieb. Der Spiegel musste wieder zusammengesetzt werden,
wenn sie vorankommen wollten. Das Problem in dieser Angelegenheit war jedoch, dass Lorena mit ihrer Eis Magie die Scherben
zwar wieder zusammenfügen könnte, doch das alleine würde nicht ausreichen. Es brauchte ebenso Tanuri als Ankerwesen und die
Magie des Dunkelmagiers, wenn sie versuchen wollten, ein Spiegelportal in Naheniels Anderswelt zu errichten. Auch ohne ihre
Schattenseele waren solche Rituale riskant und gefährlich, dennoch mussten sie es einfach versuchen.


Um nicht weitere kostbare Zeit zu verschwenden legte die Eismagierin also nach und nach jede einzelne Scherbe wieder an ihren
Platz im Rahmen, bevor sie selbst ihre Magie wirkte, um das Glas wieder zu einen. Ein Unterfangen, welches als solches keine
größere Herausforderung darstellen sollte, bis Adrian den Bluttrinkerdolch zückte und sein Blutopfer brachte, um nach der Kraft
des Dolches zu greifen.


Mit jedem Tropfen schwarzen Blutes, welches sich über die spiegelnde Oberfläche ergoss, wurde mehr und mehr Finsternis
hinaufbeschworen. Eine Dunkelheit, die Adrian zu eigen war, aber eben auch seit einer verhängnisvollen Nacht in ihrer Seele
innewohnte. Verdammnis und eisige Kälte verlangten beide nach ihr, drohten sie zu zerreißen und trieben die Magierin an den
Rand ihrer Grenzen. Vermutlich hatten sowohl Adrian als auch sie längste geahnt, dass es irgendwann zu solch einer Situation
kommen würde.


Ihr Blick war starr auf den Spiegel gerichtet, sie spürte die Spannung unter welchem das Konstrukt vibrierte. Ein leises Knacken
kündigte an, dass es nicht reichen würde, wenn sie ihre Magie nur oberflächlich wirken würde. Also legte sie ihre Hände direkt
auf das Glas und blickte unweigerlich in die von Dunkelheit durchzogenen Scherben, konzentrierte ihre Gedanken und ließ sich
von ihrem eigenen Element durchfluten.


Es kümmerte sie in dem Moment nicht, dass ihr Zauber den Weg über den Spiegel hinausfand und sich über die Dielen des
Holzes auf den Boden ausdehnte. Sie selbst spürte die Kälte nicht, stattdessen sah sie in jedem einzelnen Scherbensplitter
einen Teil ihrer eigenen Vergangenheit. Adrian beschwor erbarmungslos weitere Dämonen der Finsternis und machte auch vor
denen der Inquisitorin nicht halt. Die Tücken der Spiegelmagie bekam sie so nun uneingeschränkt am eigenen Leib zu spüren.
Ihre Muskeln zitterten unter dem massiven Kraftaufwand, welche beide Magieformen von ihr forderten.  Blut rann ihr aus der
Nase, doch nichts davon nahm sie wahr, ihr Geist war erfüllt von Dunkelheit, verlangte  immer mehr Raum, bis das Glas
letztendlich direkt unter ihren Händen zerbarst.

 
Doch auch wenn der Bann des Rituals gebrochen war, die dunklen Schlieren von Adrians Schatten sich zurückgezogen hatten,
konnte sie selbst, der Finsternis in ihren Gedanken nicht entkommen. Ein Ritus genährt von Dunkelheit, stärkte ihre inzwischen
wohl nicht mehr allzu gut versteckte Schattenseele. Adrian selbst konnte es fühlen, aber auch der Priesterin war ihre
Wesensveränderung nicht entgangen. Nur am Rande registrierte sie es, wie sich Tanuri ihr besorgt näherte, sie akribisch
musterte keinen Zweifel offenließ , dass Lorena gegenwärtig nicht in der besten Verfassung befand. „
Lorena? Ich brauche euch
beide bei vollen Kräften und mit eurer absoluten Aufmerksamkeit auf eine Sache gerichtet. Was ist mit dir? Oder ist die
korrekte Formulierung:  Was ist mit euch beiden?“
 


Es war eine Frage, welche verständlich, aber nicht leicht zu beantworten war. „Tanuri wir haben dafür keine Zeit. 
Wir haben alle getan, was getan werden musste. Lorena, Du und ich.“
Faszinierend, dass ausgerechnet Adrian, der sie zuvor
noch bis an ihre Grenzen getrieben hatte, sie nun davor zu bewahren schien, diese äußerst prekäre Frage beantworten zu müssen.
Aber vielleicht war dies auch nur reiner Selbstschutz, immerhin hätte dann auch er eine ganze Menge zu erklären.


Aber auch selbst wenn Lorena gewillt gewesen wäre ihrer Gildenschwester eine adäquate Antwort  auf deren Frage zu geben,
wäre sie zu jenem Zeitpunkt nicht dazu in der Lage gewesen. Ein Umstand, der ihr weitaus mehr Sorgen bereitete.
Ihre Schattenseele hatte sie fest in seinen Klauen gehabt, nutzte den Moment der Schwäche und drängte in den Vordergrund,
um sowohl ihren Körper als auch ihr Handeln zu kontrollieren. Besonders in der Nähe des Dunkelmagiers fand der Dämon offenbar
eine Art Nährboden, um seinen Einfluss auf sie zu verstärken. Ein weiterer Grund, warum sie den anderen aus der Legion,
aber besonders Adrian in letzter Zeit immer mehr aus dem Weg gegangen war.


Normalerweise war dies etwas, dass nur in ihrem Kopf stattfand, etwas das sie mürbe machen sollte, um ihren Verstand in den
Wahnsinn zu treiben. Doch das aktuelle überaus perfide Machtspiel, welches unter den Augen von Tanuri und Adrian stattfand,
sollte sich nicht gegen sie selbst, sondern gegen den Dunkelmagier richten. Ohne, dass sie es hätte beeinflussen können,
veränderte sich ihre Stimme und ihr gesamtes Auftreten, während aus ihrem Mund fremde Worte kamen, die etwas in Adrian
triggern sollten. Es schien fast so, als beschwor der Dämon eine Szenerie aus der Vergangenheit des Dunkelmagiers hervor
während ihr selbst nichts anderes übrigblieb, als tatenlos dabei zuzusehen.


Die Konsequenz daraus war, dass Adrians Beherrschung sichtlich an seine Grenzen kam, was wiederrum dazu führte, dass er
Lorena unmissverständlich spüren ließ, dass er keine Auflehnung oder gar Widerworte dulden würde. Weder von ihr noch von
dem Dämon, der sich in ihrer Seele eingenistet hatte. Kein Erbarmen, keine Rücksicht, noch ein Funken Einsicht war zu erkennen
gewesen, als er seine Kräfte nutzte, um sie zu maßregeln. Er forderte blinden Gehorsam und hatte keine Skrupel dafür auch die
Fähigkeiten einzusetzen, welche der Bluttrinker ihm verliehen hatte. Für ihn heiligte der Zweck die Mittel, um sein eigenes
Handeln zu legitimieren. Niemand konnte abschätzen, wie weit er noch gegangen wäre, wenn Tanuri nicht eingeschritten wäre…

 

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~ Großinquisitorin der dunklen Kirche~
~ Mitglied der Familie Zar ~



❖Wer sich auf dünnes Eis begibt, sollte sicher sein, dass er gut schwimmen kann, andernfalls wird er vom ewigen dunklen Meer verschlungen.❖
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#1516

Beitrag: # 55193Beitrag -Freya- »

Die Stille lastete schwer, nur unterbrochen vom leisen Rascheln des Tuches, das sich im Wind bauschte, als wollte es sich gegen Freyas Willen sträuben. Krampfhaft umschlossen ihre Finger das helle Tuch, an dessen Ecke eine Spur von Rot hervortrat, als sie sich in ihrer Absicht, den Spiegel zu verhüllen, innehielt. Blinzelnd betrachtete sie die Wellen, die der Stoff über den Boden hinwegformte, während ihre Lippen sich öffneten, ohne einen Laut von sich zu geben. Stattdessen spürte sie, wie ihr Herz schneller schlug, als sie die Worte des Ebenbildes in sich nachklingen ließ. Ein Wirbel aus Zorn auf sich selbst, weil sie sich hatte verleiten lassen, unter den sich zunehmend Verwirrung mischte.

„Ich kenne ihn nicht – wie oft muss ich das noch sagen?“ stieß sie hervor, ihre Stimme weich, aber schwer von dem Nachdruck ihrer Überzeugung. Alles, was sie über den Schöpfer wusste, hatte Yasin ihr über den Glauben hier erzählt.

„Du sprichst, als wüsste ich mehr, als würde ich etwas verbergen. Aber woher soll ich das alles wissen? Niemand redet mit mir.  Und du gibst mir auch keine Antworten, nur neue Rätsel!“ Ihre Augen funkelten, suchten die der Gestalt, doch je länger sie hinsah, desto mehr verschwammen die vertrauten Züge mit etwas Fremdem, das sie nicht greifen konnte. Angst? Sehnsucht?

Alles, was Freya wollte, war ein Weg nach Hause, doch alles, was der Spiegel ihr gab, waren verschwommene Unklarheiten.

Die zurückzuckende Bewegung, als hätte ihr Spiegelbild eine Glut berührt, war ihr nicht entgangen. Vielleicht waren es die falschen Fragen, die sie stellte. Die falschen Antworten, die sie suchte.  Möglich, dass der Spiegel ihr eine vollkommen andere Wahrheit zeigen wollte, als jene, die sie suchte. Eine Warnung, was geschehen würde, wenn sie einem falschen Weg folgte. Seufzend senkte Freya ihre Lider. Ihr Ebenbild wirkte verloren und verzweifelt, so wie sie, allerdings wesentlich intensiver. War das, was sie im Spiegel sah, die Zukunft? Würde sie an der Suche zerbrechen?

Mit einem Wimpernschlag sah sie wieder in die leeren Augen, die ihr entgegen schimmerten. Ruhig, fast einfühlsam hob sich ihre Stimme. „Wer ist er? Wieso sollte er dir böse sein? Was hat dir der Schöpfer angetan?“ 
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#1517

Beitrag: # 55194Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Das Fremde, das zum Bekannten wird. 
Das Ich, das zum Du sich wandelt. 



 "Du kennst ihn nicht und doch weißt Du genau, wer er ist." Ihr Kopf senkte sich, so dass ihr Gesicht hinter einem Vorhang aus nachtschwarzen Haar verborgen war. Erstmal geschah daraufhin gar nichts, was einen trügerischen Moment der Leere darstellte, der Freya vorgaukelte, der Spuk sei wieder vorüber. Wie so oft zuvor, wenn fremde Stimmen in ihrem Inneren verhallten und die Visionen und Illusionen, die sie quälten, verblassten.

"Siehst Du sie nicht mehr, die Male Deiner Pein, mit denen Du Dich unauslöschlich gezeichnet hast?" 
Doch diesmal war nichts wie sonst. Niemand verstummte und auch das Bild vor ihren Augen verging nicht. Sondern alles blieb so, wie es wenige Atemzüge zuvor schon gewesen war. Und genau das war es, was viel erschreckender sein sollte, als die ganze falsche Realität, die ihr zuvor begegnet war und ihren Geist heimgesucht malträtiert hatte. 
"Deine Arme und Deine Hände. Dachtest Du, ich wüsste nicht mehr, wie es begann?" Durch den Haarschleier blitzten ihre blauen Augen hindurch und suchten herausfordernd den Blick ihres Spiegelbilds in dem brüchigen Glas.

"Es werden mehr Narben, immer mehr. Bis sie schließlich Deinen Leib wie ein blutiges Leichentuch bedecken und Du keine unversehrte Haut mehr findest, die neue Wunden erleiden kann." 

Langsam hob sie ihre Hand auf die Höhe ihrer rechten Schulter und ließ das Leinen ihres Gewandes von dort gleiten, nur um es auf der anderen Seite zu wiederholen. Als ihr Arm sank, fiel der Stoff über ihren dürren Körper und landete lautlos auf dem Boden. 

"Schau hin. Das bin ich heute. Zerschnitten und Zersplittert. Genauso wie der Spiegel, in den ich sehe. Aber er…" Ein liebevoller und doch entrückter Ausdruck legte sich auf ihr Antlitz und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie die Narben betrachtete, die ihren Körzer zeichneten. Kaum ein Fleck der einst hellen und makellosen Haut war geblieben. Stattdessen ein Netz aus roten und weißen Linien, tief und flach, Zeugen von Stichen, Schnitten, Schlägen. Eine lange Geschichte, die auf ihr zu lesen war, wenn man es denn ertrug, genauer hinzusehen. 

"Er, der Schöpfer, war es nicht. Daran kannst Du Dich erinnern. Und doch trägt er die Schuld für all dies." Nun hob sie den Blick vollständig und zum ersten Mal schien sie mit ungetrübter Klarheit durch den Spiegel hindurchzusehen. 

"Du hast seinen Namen doch bereits genannt. Wieso fragst Du mich also immer noch danach, wer er ist?" Sie tat einen tiefen Atemzug und ließ ihre Worte in aller Ruhe verklingen. Mit einem winzigen Schritt stand sie nun ganz dicht an der spiegelnden Oberfläche und betonte jedes folgende Wor . "Wer ist der Schöpfer?" 

 
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Tanuri
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#1518

Beitrag: # 55195Beitrag Tanuri »

 
"Hör auf damit, es reicht."
Das waren Lorenas Worte gewesen, bevor die Situation mehr und mehr außer Kontrolle zu geraten schien. Was genau aber geschah, das verstand Tanuri nicht. Ein Pakt der Dunkelheit, ein Geheimnis zwischen Adrian und der Inquisitorin, das der Priesterin nie offenbart worden war. Weshalb? Aus Mangel an Zeit? Oder aus Furcht? Oder war es schlicht ein stillschweigendes Übereinkommen, jenes namenlose Band nicht zu erwähnen, das die beiden plötzlich aneinander kettete und Adrian eine Macht über Lorena verlieh, die Tanuris Verständnis bisher noch überstieg. 
 
Zudem konnte sie erkennen, dass es ihm eine Art von düsterer Freude bereitete, ihrer Gildenschwester durch die Kontrolle, die er über sie hatte, Schmerz zu bereiten. Die Spannung, die von Herzschlag zu Herzschlag zunahm, war beinahe mit den Händen greifbar. Oftmals waren Inquisitorin und Dunkelmagier aneinandergeraten und im Streit auseinander gegangen. Aber das hier war … anders. 
Denn auch wenn die Dunkelheit für sie unsichtbar blieb, spürte Tanuri sie mit jeder Faser ihres Körpers, wie sie sich ausbreitete und nach allem fasste. Vor allem nach Lorenas inneren geistigen Leben. 
 
Was, im Namen seiner ewigen Lordschaft, ging zwischen den beiden vor sich? 
 
"Adrian." Mit bemüht sanfter Tonlage versuchte sie, zu ihm durchdringen, doch der Wandel in Lorenas Wesen war bereits vollzogen. Mit fremder Stimme und fremden Sein durchdrang die Anwesenheit der Inquisitorin in aller Plötzlichkeit den Raum und die Temperatur fiel gefährlich tief. 
 
"Hilf mir, befreie mich." Düster und bedrohlich, doch zugleich schmeichelnd, sprach das, was eigentlich Lorena sein sollte, aber nicht mehr war auf Adrian ein, während ihr Kopf sich langsam, als würden an den Fäden einer hübschen Puppe gezogen werden, nach oben hob. "Du hast es schon einmal getan, es ist doch gar nicht so schwer." 
 
Tanuri erkannte ihre Gildenschwester nicht wieder. Nichts an ihr war Lorena und doch war alles davon sie. Erschrocken und auch offenkundig überfordert, trat sie einige Schritte zurück und warf Adrian einen fragenden Blick zu. "Was geschieht…", doch sie schaffte es nicht, ihren Satz zu vollenden, denn das, was von Adrian ausging, das, was sie in seinen Augen und seinem Gesicht sah, ließ sie vorerst verstummen. "Bist Du daran Schuld? Was tust Du mit ihr?"
 
 
 

 
 
Einige Zeit später
 
Kein Wort wechselten sie. Stattdessen begaben sich Adrian und Tanuri schweigend in ihr Gemach. In ihres. Nicht in seins. Aus einem sehr guten Grund, über den zu sprechen jetzt aber nicht der richtige Zeitpunkt war. Eines Tages, das wusste sie, musste sie es ihm offenbaren, jenes Wissen, das der Prediger ihnen über Kenna durch den Zauber seiner Schale zuteilwerden hatte lassen. 
 
Vorerst war es zu schwer einzuschätzen, wie Adrian darauf reagieren würde und gerade in diesem Moment musste sie alles daran setzen, dass nicht erneut die Dunkelheit, deren Stärke sie mittlerweile nicht mehr einschätzen konnte, ihn und auch die Situation derart beherrschen würde. 
 
Nun hockte sie im Schneidersitz auf ihrem Bett vor ihm, tunkte ein Tuch in kaltes Wasser und legte es ihm immer wieder kühlend an jene Stellen in seinem Gesicht, die von der Faust ihres Bruders gezeichnet waren. Eine geraume Weile verstrich, ehe sie sich dazu entschied, ihre Stimme zu erheben. "Wir werden ihm geben, was er verlangt." 
 
Kein Wort über das, was sich gerade noch in Freyas Räumlichkeiten zugetragen hatte. Zumindest fürs Erste. Die Bilder und das Gesagte waren tief in ihr Gedächtnis gebrannt und wiederholten sich dort auch jetzt immer und immer wieder.


 


 
 
Auch wenn es zu sehen gewesen war, wie Lorena damit rang, die Kontrolle über ihren zusammengesackten Körper und über sich zurückzuerlangen und das eisige Blau ihrer Augen immer wieder in ihrer Iris durchschimmerte, konnte sie sich dem, was sie gefangen hielt, nicht so einfach entwinden. 
 
"Warum hilfst Du mir nicht?" Es war nicht nur Lorenas ausgesprochene Frage, die auf Adrian getroffen war, sondern auch die Bitte, die in Tanuris Augen lag. "Warum hilfst Du ihr nicht?" 
 
"Sie kann aufstehen. Sie will es nur nicht."
Fassungslos ob der Kälte, die von Adrian ausging, war Tanuri vor ihn getreten, um ihn mit ihrer Hand zu berühren - ihm etwas zu geben, an was er sich festhalten konnte. 
 
Weder er noch Lorena waren in diesem Augenblick jene, die sie seit Jahren zu kennen glaubte und da ihre eigene Magie hier nichts bewirken konnte, da die Kollision von Licht und Dunkelheit womöglich alles nur noch in tiefere Finsternis stürzen würde, versuchte sie mit ihrer Nähe den Einfluss, den Adrian auf Lorena auszuüben schien, irgendwie zu unterbrechen. Auch wenn das, was von ihm ausging, auf eine Weise, die ihr bisher völlig fremd war, angsteinflößend war, suchte sie seinen Blick und bemühte sich, etwas in ihm zu finden, das ihr noch vertraut war. "Wer bist Du?" 


 

 
 
 
Mit einem Kopfschütteln verscheuchte sie die Bilder, wrang erneut das Tuch aus, nur um es gleich darauf wieder auf sein Gesicht zu legen. "Meine Entscheidung wird nicht diskutiert. Es ist meine Aufgabe und mein Eid, Freya zu beschützen und sie durch ihre Bestimmung zu führen." Unnachgiebiger als beabsichtigt drückte sie den kühlen Stoff auf seine Haut und sah ihm dabei fest in die Augen. "Ehe es jemand anderes macht." Und da begann sie zu erzählen, so knapp wie möglich, aber doch mit jenen Details, die nötig waren, damit er verstand. Wider Willen musste sie Einzelheiten von Etohs Besuch offenlegen, zumindest jene, die Freya betrafen. 
 
Dass er sie in der Wüste sah und dort mit ihr sprach. Adrian lauschte zunächst stumm, obgleich Tanuri die Finsternis spürte, die weiterhin in ihm lauerte und auszubrechen versuchte, vor allem zu jenem Zeitpunkt, als sie auf Freyas Aufenthaltsort zu sprechen kam. 
 
"Bei den roten Sanden also." Seine Kiefer pressten sich fest aufeinander und mit einem sichtlichen Ringen um seine Beherrschung sah er Tanuri an. "Dann wurde sie von der Gräfin feilgeboten." 
 
Ungläubig über das, was die Priesterin soeben gehört hatte, ließ sie ihre Hand sinken. Bereits im nächsten Moment erhob er sich und trat ihr den Rücken zugewandt an eines der hohen Fenster heran. "Von was sprichst Du?" Und so war es an ihm, ihr - so wortkarg wie es seine Art war - zu erklären, wer die Gräfin war und was es bedeutete, wenn Freya in der Wüste gesehen wurde. Steif erhob sich Tanuri während seiner Worte von ihrem Bett und bemühte sich um Fassung angesichts der neuen, beunruhigenden Informationen, die sie soeben erhielt.  
 
"Du willst mir sagen, dass meine Adeptin von einer Menschenhändlerin für eine Auktion vorbereitet und verkauft an einen Wüstenprinzen wurde?" Die Abscheu, die sie allein bei dem Gedanken überkam, war kaum zu ertragen und es fiel ihr schwer, ihn nicht einfach anzuschreien. Auch wenn er an Freyas derzeitigem Schicksal unschuldig war, musste sie dieser Hilflosigkeit, die sie übermannte, an irgendjemandem auslassen. Doch sie versuchte, so wie sie eben schon immer gewesen war, in der Rolle, die von ihr verlangt wurde, zu bleiben. 
 
"Willst Du wirklich immer noch mit mir darüber diskutieren und verhandeln, ob mein Tod eine Option ist? Wir müssen Freya dort herausholen, so schnell wie nur möglich." Plötzlich drehte er sich zu ihr um und seine ganze Präsenz war von der Finsternis umhüllt, die sich an ihn gebunden hatte. Pechschwarz waren die Augen, in die sie blickte, als seine Hand nach ihrem Oberarm griff und er sie mit einem harschen Ruck zu sich heran zog.

"Meinst du etwa, ich weiß nicht, wie sehr die Zeit drängt und was es zu bedeuten hat, wenn sie beim Prinzen ist?" 
 
Es war nicht nur Angst, um den Schlüssel - um Freya -, die Tanuri in ihm und seinen Worten erkannte, sondern auch … tiefgreifende Sorge. Zudem schien das, was seit einiger Zeit in ihm lebte und auch wütete, einen Kampf um die Vorherrschaft seines Seins zu führen. Wer am Ende gewann, war allerdings noch längst nicht entschieden. 
 
"Das, was Dich begleitet, wird stärker." Bereits in Sturmkante, dann in Freyas Zimmer gegenüber Lorena und nun auch hier war es nicht mehr länger zu leugnen, wie das, was zu einem Teil seines Wesens geworden war, zügellos nach allem griff. Eine Finsternis, die ihren Herrn schützte. "Muss ich mich vor Dir fürchten?" 

Kurz blitzte ein Schimmer hellen Blaus in der Schwärze seiner Augen auf, als er sie losließ und zärtlich eine ihrer Strähnen aus dem Gesicht strich, um sie hinter ihr Ohr zu legen. "Du musst dich nicht fürchten. Ich bin immer noch ich." 
 
Etwas, das Tanuri bezweifelte, was sie jedoch nicht aussprach. Stattdessen beschloss sie, seine heftige Reaktion auf die Möglichkeiten darauf, was mit Freya gerade in diesem Moment in dem Palast, in den sie verkauft wurde, für sich zu nutzen. Denn die Priesterin wusste, dass es erstmal zu nichts führen würde, ihm weiterhin darzulegen, weshalb der einzig logische Weg ihr Tod war. Worte waren nur Worte. Adrian aber musste es sehen. 
 
"Das, was in Freyas Gemach geschah, zwang nicht nur Lorena zur Ruhe und zur Sammlung neuer Kräfte, sondern sollte auch Dir mittlerweile die Grenzen Deiner eigenen Macht vor Augen führen. Komm." Sanft verschränkten sich ihre Finger in seine und langsam zog sie ihn mit sich auf ihr Bett. "Wir müssen ruhen, zumindest ein wenig. Morgen werden die Bürden, die wir tragen und denen wir uns stellen müssen, immer noch da sein." 
 
Ohne ihn oder sich zu entkleiden, schmiegte sie sich dicht an ihn, berührte die Haut seines Halses mit ihrem Atem und strich mit ihren Fingerspitzen über seine Stirn und Schläfen. Es mochte als Zeitverschwendung erscheinen, gerade jetzt die Stunden einem langen Schlaf zu opfern - gewöhnlich wäre dies auch ihre Kritik gewesen - doch in diesem Fall diente es einem höheren Zweck. Langsam sank Adrian in den Schlaf und wehrte sich gegen die Unruhe der Dunkelheit, die ihn umgab, um ihn wachzuhalten. 
 
Als Tanuri sicher genug war, dass er sie nicht mehr hören würde, flüsterte sie leise, in jener fremden Sprache, die sie seit ihrer Geburt begleitete, während der Hauch eines Lichts aus ihren Fingern stob. Behutsam glitten ihre Lippen über sein Ohr und ihre Stimme berührte das Innerste seiner Seele. "Träum." 
 
Etwas, vielleicht der Funken eines schlechten Gewissens, welcher von Minute zu Minute anwachsen konnte, keimte in ihr auf, doch sie versuchte ihn zu verdrängen. Es musste sein und irgendwann würde er es verstehen. Mit einem zärtlichen Blick betrachtete sie sein Gesicht, das plötzlich so ungewohnt friedlich war und strich ihm eine blonde Strähne zur Seite. "Verzeih mir…" Ein Kuss streifte seine Stirn, bevor sie sich langsam von dem gemeinsamen Lager aus weichen Decken und Polstern erhob, um den schlafenden Mann zurückzulassen. Auf Zehenspitzen entfernte sie sich und schlich sich heimlich in das Kellergewölbe, wo noch immer einige der damals gerufenen Magier verweilten, um den gewobenen Schutz aufrecht zu halten. 
 
Einer von ihnen, wohl der Älteste, trat, gehüllt in eine tiefrote Samtkutte, an sie heran. "Priesterin. Was führt Euch zu uns?" Knapp nur nickte Tanuri ihm zum Gruß und deutete gleich darauf mit einer stummen Geste, ihr zu folgen, um nicht von fremden Ohren belauscht zu werden. "Sagt, was wisst Ihr über den Tod?"

 

Ja, mein Herr und Meister, ich bin Deine Dienerin!
Lege Deine Finger auf meine Lippen und berühre mit Deiner Hand meine Zunge
auf dass ich Deinen Willen und Dein Wort verkünde!


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~~ Priesterin der dunklen Kirche und Mentorin ihrer Adeptin Freya ~~ 

Anführerin der Legion des Schattens
Frau des Adrian Al Saher 
Mutter der Nymeria Al Saher 
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#1519

Beitrag: # 55202Beitrag -Freya- »

Als das Gewand zu Boden fiel, stockte Freya der Atem. Ungläubig und erschrocken zugleich starrte sie die Gestalt im Spiegel an – zerschnitten, zersplittert. Ein Netz aus Narben, das ihren eigenen Körper sein könnte.
Die Worte des Ebenbildes bohrten sich in ihren Geist, während ihre Finger sich um das Tuch krampften und sich daran festklammerten.  Worte, die sie lähmten, die in ihrem Geist widerhallten und für einen erschreckenden Augenblick die Zeit einfach stillstehen ließen und Freyas Blick schweigend in die Leere glitt.

 

„Dachtest Du, ich wüsste nicht mehr, wie es begann?"

„Es werden mehr Narben, immer mehr.“
   
Schmerzhaft pulsierte ihr Herz und schlug gegen ihre Brust. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde etwas ihre Lungen einschnüren, während sie das Rauschen ihres eigenen Blutes in ihren Ohren hörte.
  
„Du kennst ihn nicht und doch weißt Du genau, wer er ist.“ 

„Du hast seinen Namen doch bereits genannt.“

„Dummerchen …“

„Du weißt es doch …“ ... „Du weißt es doch …“ .... „Du weißt es doch …“


Wie ein Echo ihrer tiefsten Angst, wirbelten die Worte durch ihre Gedanken, denn nur einen Namen hatte sie genannt. Einen einzigen hatte sie ausgesprochen. Ohne zu blinzeln, klärte sich ihr Blick, der nach dem der Gestalt griff. Doch selbst ihre Lippen zitterten, als sie lautlos und ungläubig einen einzigen Namen formten. Einen, den nur ihr Abbild von jenen ablesen konnte.

„Nein…“, flüsterte sie, ihre Stimme kaum hörbar, als der Name in der Stille verhallte. Nein, das konnte unmöglich wahr sein. Freyas Augen weiteten sich, suchten den leeren Blick des Ebenbildes, die durch den Schleier aus nachtschwarzem Haar blitzten.

„Warum sollte er…?“ Die Frage erstickte in ihrer Kehle, während ihr Herz schneller schlug, ein Sturm aus Verrat und Zweifel in ihr tobte. „Er sagte, er wäre mein Freund“, wiederholte sie, doch die Worte fühlten sich an wie ein Verrat an sich selbst, als sie sah, wie das Ebenbild sie exakt nachformte, mit derselben Verzweiflung, demselben Schmerz. „Das ist nicht wahr. Das kann nicht wahr sein.“

Doch die Klarheit in den Augen des Ebenbildes, die Worte „Er trägt die Schuld für all dies“, ließen ihre Überzeugung wanken. War das die Zukunft? Eine Freya, zerstört von einem Freund, dem sie vertraut hatte?

„Warum sagst du das?“ Ihre Stimme war noch immer gedämpft. Ein Aufbäumen gegen die Wahrheit, die Freya nicht akzeptieren wollte. Er war nicht hier. Wäre er es, würde er ihr helfen. Nein, es musste eine Lüge sein, um sie zu verunsichern. Sie womöglich an diesem Ort zu brechen und sie hier zu binden. „Und wenn es so ist, wie du sagst, warum? Wieso hilfst du mir nicht, einen Weg nach Hause zu finden?“

 
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In den Momenten, in denen nichts mehr bleibt, sieht man die unsichtbaren Fäden, die uns wirklich halten.
Ein Name allein hat dabei keine Bedeutung. Er kann verblassen, wie Tinte auf einem Pergament - wie ein leeres Versprechen.
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#1520

Beitrag: # 55207Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Das Fremde, das zur Wahrheit wird. 


Mit süßlicher Leichtigkeit flog ein Lächeln über ihre blassen Lippen. "Er ist mein Freund. Immer noch und wird es immer sein." Es war eine zarte Berührung, mit der ihre Fingerkuppen über einige der schwulstigen Narben, die ihren Bauch und ihren Brustkorb zierten, strichen. 

"Es hat sich nichts daran geändert, oder dachtest Du das etwa?" Ein wenig schüttelte sie ihren Kopf und folgte mit ihrem Blick ihrer Hand. "Und ich bin seine Freundin. Wahrscheinlich die einzige, die er hat. Denn ich bin die, die ihn vor denen beschützen kann, die nicht das sehen dürfen, was ich sehen kann."

Plötzlich schlang sie ihre Arme fest um ihren Oberkörper und versuchte sich so fest zu drücken, wie sie konnte. Ganz so, als würde sie dadurch irgendeine Nähe erhalten, die sie seit so langer Zeit vermissen musste.

"Sie haben versucht, mich zu verstehen, aber konnten es nicht. Ich nehme es ihnen nicht böse darüber, dass ihre Augen blind waren und wahrscheinlich immer noch sind."

Fest um sich selbst geschlungen, beugte sie sich dem Spiegel entgegen und suchte dabei ihren eigenen Blick.
"Wenn sie überhaupt noch sind. Kann ich es wissen? Gibt es sie noch?" Etwas wie ein Hoffnungsschimmer flammte in ihren Augen auf, doch so schnell wie er kam, verlosch er bereits wieder. "Wohl kaum. Eher hat er sie längst getötet, so wie er auch andere tötete... weil er es muss."

Sie hielt inne, betrachtete den Hauch ihres Atems, der sich auf der Oberfläche ablegte und gleich darauf wieder verging. "Du weißt, dass es die Wahrheit ist. So viele mussten bereits sterben und es werden noch viele mehr folgen."

Zögernd löste sie ihre Umklammerung und fuhr mit ihren zittrigen Händen an ihrem zerstörten Körper entlang. "Vielleicht eine Narbe für jeden von ihnen." Sprach sie dabei leise und fühlte für einen Moment die Schuld, die sie womöglich trug, da sie es und ihn nie aufgehalten hatte, obwohl es möglich gewesen wäre.

Ob es ihrem Ebenbild im Spiegel Erklärung genug war? Wahrscheinlich nicht. Aber was sollte sie auch sagen? Vor langer Zeit hatte sie sich entschieden, war gegangen und würde es auch wieder tun, ganz gleich, wie zerschunden sie zurückbleiben musste. 


Ungeduldig zog sie ihre Brauen zusammen und ballte ihre Hände zu Fäusten. "Schon wieder fragst Du nach einem zu Hause. Es gibt keines mehr. Ich habe es verlassen, aus gutem Grund. Ich muss hier bleiben. Nein…" Tief atmete sie ein und aus und schlug mit ganzer Kraft gegen den bereits brüchigen Spiegel.

"Du willst hierbleiben! Du gehörst hier her. Du bleibst bei ihm."
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Adrian
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#1521

Beitrag: # 55208Beitrag Adrian »

In den Hallen der Legion
  

Die Morgensonne hatte die Nebelschlieren kaum durchdrungen, als Adrian allein in dem Raum stand, der von der kalten Dämmerung verschlungen war. Tanuris Schritte waren längst in Richtung des Felsendom verhallt, während die Schatten der Nacht ihn selbst noch immer in Aufruhr hielten.

Die Luft war kühl und trug noch immer den beschwichtigenden Duft Tanuris mit sich. Er starrte auf die von den ersten Strahlen erwachenden Schatten, doch seine Gedanken kreisten um den Traum, der ihn in der Nacht ungehindert verfolgt hatte und die quälende Auseinandersetzung, die den Morgen eingeläutet hatte.

Tanuri hatte den Streit am Abend vermieden, auch wenn sie ihn mit ihrem Entschluss, sich zu opfern, konfrontiert hatte. Doch sie erlaubte keine Diskussion, sondern kümmerte sich um die Spuren, die das Aufeinandertreffen mit Naheniel bei Adrian hinterlassen hatte.

In einem flüchtigen Moment der Stille hatte sie mit einem kühlen Tuch die Spuren von Naheniels Angriff auf seinem Gesicht nachgezeichnet. Sanft und behutsam, ohne ihm einen Widerspruch zu erlauben. Dennoch entging ihm nicht die Furcht, die er in ihren Augen gesehen hatte. Die Angst vor der Dunkelheit, die in ihm lauerte, während sie mit überlegten Worten ihre Entscheidung vor ihm zu begründen versuchte.

Scheinbar hatte die Gräfin Freya an den Wüstenprinzen weitergegeben. Auf welche Weise sollte sie sonst inmitten der roten Sande gelangt sein. Welche Konsequenzen das für das Mädchen bedeuten sollte, darüber wollte er nicht nachdenken, auch wenn Tanuri vermutlich genau darauf abzielte.

Doch offenbarte es noch mehr als das. Naheniel hatte es hingenommen. Und nicht nur das. Er hatte Adrians Verbindung zu der Adeptin gekappt. Jene eine Person aus dem Spiel genommen, mit der er derzeit hätte einschreiten können. Liadan.

Dass sein alter Freund nun Tanuris Leben forderte, war ein Schlag, den Adrian jedoch nicht akzeptieren würde. Es würde weder ungeschehen machen, was dem Kind widerfahren war noch würde es Naheniel aufhalten.

„Wir müssen ruhen. Morgen werden die Bürden, die wir tragen und denen wir uns stellen müssen, immer noch da sein. Wir brauchen alle einen klaren Kopf.“  Der Blick in ihren blauen Augen war weich gewesen, als sie die Falten aus seiner Stirn gestrichen hatte.

Erschöpft hatte er Tanuris List nicht erkannt. Auf ihrem Bett war er eingeschlafen, ihrem Atem lauschend, ihrem Herzschlag, während seine Augen sich geschlossen hatten. Ihre Magie hatte ihn in einen Traum gestoßen, der ihm jedoch keine Ruhe verschafft hatte, sondern ihn nun in finsterer Klarheit verfolgte.
 


  
Es hatte mit weißem Licht begonnen, warm, ein blumiger Duft, der ihn täuschte. Doch der Nebel hatte sich gelichtet und Freya erschien in einem Palast, umgeben von Palmen und sprudelnden Quellen. Bodentiefe Fenster ließen Sonnenlicht herein, das auf sie herabfiel, als sie auf Kissen neben Yasin, dem Wüstenprinzen, saß. Sein Lächeln, charmant und gefährlich, während Freyas unbeschwertes Lachen ihn wie ein Dolch traf.

Sie scherzte mit den Prinzen in einer gelösten Leichtigkeit, wobei ihre Stimme sich immer deutlicher zu einem Flüstern senkte, das ihn an ihren Lippen hängen ließ.

Die Erinnerung an Yasins Hand, kurz vor Freyas Gesicht verharrend, strahlte eine Intimität aus, die Adrians Herz schneller schlagen ließ, ein Schmerz, der ihn zu ersticken drohte. „Vielleicht fühlst du dich in meinem Palast ja irgendwann so wohl, dass du nicht mehr gehen willst?“

Freya, eine Dattel stehlend, ihre Augen weit vor Genuss, ein kindliches unbefangenes Schimmern in ihnen, das er selbst bei der Adeptin nur aus der Ferne beobachtet hatte. 

„Ich möchte dir eine andere Welt zeigen“, hatte Yasin gesagt, während seine Augen forschend das Mädchen in ihren Bann zogen und er sie ansah wie ein Juwel, das er seiner Sammlung hinzufügen wollte, „eine, in der du nicht nur eine Adeptin bist, sondern eine Shahbanu – meine Frau.“

Plötzlich verdunkelte sich das Bild. Yasins Gestalt wurde von Naheniels überlagert. Sein blondes Haar ersetzte das dunkle, seine helle Haut die gebräunte. Blaue Augen durchdrangen Freya, ein Grübchen unter seinem Bart, als er lächelte. Seine Hand näherte sich ihrem Gesicht, eine Geste wie eine Aufforderung. „Wir sind alle Jäger“ Worte, die in seinem Geist widerhallten. „Die Frage ist, wer die Beute zuerst erlegt.“ Die Dunkelheit verschlang die Szene, ein Nebel, der Adrians Bewusstsein umklammerte, während Naheniels Worte in ihm widerhallten: ein Leben für ein Leben. Tanuri gegen Freya.
  



  
Die Schatten hatten von Kontrollverlust geflüstert, seine Hände hatten gezittert, als er die kalte Luft einatmete. Doch die Finsternis hatte sich bereits erhoben gehabt - ein Nebel, der Adrians Bewusstsein umklammerte und sich kalt und verschlingend um ihn ausgebreitet hatte, als der Traum ihn am Morgen zurückließ.

Er war erwacht, seine Finger hatten das leere Kissen neben sich ertastet, wo Tanuris Wärme fehlte.
Ihre Silhouette hatte in der Dunkelheit gestanden, von Schatten umwoben, die nach ihrer Seele griffen. Umgehend hatte er sich aufgerichtet und war auf sie zugegangen.

Erneut hatte er die Furcht in ihren Augen gesehen. Doch er würde ihr nichts tun.  Nur jedem anderen, der ihr zu nahe kommen würde, würde er in der Luft zerreißen. „Dir ist bewusst, dass ich für dich sterben würde, um dich zu retten? Und nun forderst du, dass ich dich töten soll?“

Hatte sie die geringste Ahnung, was sie von ihm forderte? Was es bedeutete? Nein, schließlich konnte er die Angst in ihrem Gesicht erkennen, während sie selbst die Bedrohung spüren konnte. Den Atemzug einer Endlichkeit, der sich um ihre Lungen schnürte.

Tanuri hatte ihn zu sich gezogen, aber so sanft ihre Berührungen waren, eiskalt war ihre Überzeugung - Naheniels Plan sei der einzige Weg. Adrian hatte seine Magie entfesselt, eine Finsternis, die ihre Lungen einschnürte, um die Bedrohung zu zeigen. „Kannst du es spüren?“

Unnachgiebig hatte er an ihrem Blick festgehalten, bevor er die Schatten um sie herum gelöst hatte. Nur für einen Augenblick, der sie daran erinnern sollte, wie kalt der Tod sich anfühlen konnte. „Ich werde es nicht tun. Ich habe ihre Mutter bereits getötet, um ihr das Leben zu retten.“

Doch die Priesterin war stur geblieben. Wie so oft, versuchte Tanuri ihren Kopf, ihren Willen durchzusetzen. „Ein Tod, der ein Leben gerettet hat. Das ist ein guter Tausch.“

„Ich werde nicht riskieren, beides in einem Atemzug zu verlieren.“ Ein Schatten hatte sich über seine Augen hinweggelegt, ein kurzer Atemzug, der seinen Blick warnend verfinsterte. „Entweder wir tun es auf meine Weise, oder du musst dir jemand anderen suchen. Jemanden, den ich nicht vorher umbringe.“

Nun stand er allein, sein Blick in die Ferne gerichtet, die Lippen schmal zusammengepresst. Die Schatten in ihm tobten, doch seine Entschlossenheit in dem hellen Blau seiner Augen war unberührt. Er würde Freya zurückholen, Tanuri retten und Naheniel zerschmettern – koste es, was es wolle.

Unter Blinzeln sah er zu der Tür, durch die Tanuri verschwunden war, der letzte Kuss ein verblassender Schmerz. Ihre Entschlossenheit hatte ihn beeindruckt und gleichzeitig erschüttert, das konnte er nicht abstreiten, doch würde er sie nicht opfern. Kein weiteres Mal. Adrians Kiefer presste sich fest zusammen, während seine Hände sich zu Fäusten ballten. Noch immer ließen die Bilder sich nicht abschütteln und flammten immer wieder wie Lichtblitze vor seinen Augen auf.

Doch ihm war bewusst, dass es ein Opfer ohne Bedeutung war, denn es war zweifellos Teil von Naheniels Plans, Tanuri aus dem Spiel zu nehmen. Auch die Priesterin würde es erkennen. Durch ihren Tod, würde Freya am Ende allen Boden und Halt verlieren. Den Glauben und das Vertrauen in jeden von ihnen, sodass niemand mehr bleiben würde, außer Naheniel selbst. Es gab nur einen Weg, all das zu beenden. 

Unter einem ungläubigen Kopfschütteln wandte er sich ab. Drei Tage blieben ihm. Drei, die er nutzen musste. Naheniel wollte einen Krieg auf allen Ebenen. Er sollte ihn bekommen. Sein Freund hatte ihm Alyssa und Liadan genommen, doch nun ging er einen Schritt zu weit. Nun würde er ihm etwas nehmen. Etwas von Bedeutung. Etwas, das Naheniel spüren sollte. - Syndra. -
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✟ Oberhaupt der Familie Al Saher ❖ Gemahl der PriesterinTanuri Al Saher
❖ Bruder des Verlion Al Saher ❖
Gnade oder Mitleid haben noch nie einen Feind besiegt. ❖
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#1522

Beitrag: # 55210Beitrag -Freya- »

Warum? Wieso? Nein, das konnte nicht wahr sein. Doch wenn Freya nicht einmal länger sich selbst – ihrem eigenen Ich – vertrauen konnte, wem dann?

Ungewollt stockte ihr Atem, als das Ebenbild die Arme um sich schlang, als wollte es eine verlorene Nähe bewahren – eine Geborgenheit, die Freya ebenso vermisste. Eine Einsamkeit, die ihre Brust umklammerte. Sie war allein, ihre Familie, ihre Freunde, in einer unerreichbaren Ferne.

Schmerzhaft pochte ihr Herz, als sie das süßliche Lächeln im Spiegel betrachtete, welches ihr im Sonnenlicht entgegensah. „Er ist mein Freund. Immer noch und wird es immer sein“ – Worte, die falsch klangen, während sie auf das Netz aus Narben starrte, als würde der Spiegel ihre schlimmsten Ängste offenbaren. Ein Freund würde solches Leid nicht zulassen. Es konnte einfach nicht wahr sein.

Ihre Augen brannten, suchten nach einem Funken in der Gestalt, der ihre Worte als Lüge entlarven würde, während ihre Hand in die Tasche ihrer Tunika glitt und ihre Finger unbewusst die scharfe Kante der Scherbe umklammerten.

Die plötzliche Wucht, mit der das Ebenbild jedoch gegen den brüchigen Spiegel schlug, ließ Freya zusammenzucken. Sie taumelte zurück, während ein leises Knirschen den Raum erfüllte, unter dem die feinen Risse im Glas erneut sichtbar wurden und sich weiter über die Oberfläche ausbreiteten.

Die Gestalt widersprach sich – oder erkannte sie es nun selbst? Wenn er ihr Freund war, wie konnte er der Schöpfer sein und all das zulassen? Es war widersprüchlich. Und selbst wenn – wovor musste man ihn schützen?

„Das stimmt nicht“, flüsterte sie leise. Ein ungläubiges, zerrissenes Schimmern legte sich über Freyas Blick hinweg, als sie die leeren Augen der Gestalt suchte, die durch den Schleier aus nachtschwarzem Haar glitzerten. Ein warmer Windhauch bauschte die Vorhänge auf, trug den süßen Duft von Jasmin tiefer in den Raum. „Wenn er der Schöpfer ist, wie du behauptest, warum sollte er mich leiden lassen? Warum hält er mich hier fest?“

Es gab keinen Grund. Keinen erkennbaren. Er war immer für sie da gewesen, hatte sogar sein Leben riskiert, um sie zu schützen. Nein, das war kompletter Unsinn!

Unwirsch wandte sie sich ab, ihre Finger lösten sich von der Scherbe, als sie zum Fenster trat. Die goldenen Dächer der Stadt schimmerten in der Sonne, doch weder der Anblick noch die Worte des Ebenbildes ließen sie los. „Ich bin die, die ihn vor denen beschützen kann, die nicht das sehen dürfen, was ich sehen kann.“ – die Worte bohrten sich tiefer. Beschützen? Wovor? Narben, Tote, Schuld – alles wirbelte in ihrem Geist.

„Warum willst du ihn schützen, wenn er die Schuld an all dem trägt? Vor wem?“ Ihre Stimme bebte, als sie sich wieder dem Spiegel zuwandte, die Hand krallte sich in den Stoff ihres Gewandes. Ein weiterer Windhauch, durchsetzt mit Jasmin, jagte ihr einen kühlen Schauer über den Nacken. Wieso sollte er sie hier gefangen halten? Warum sollte sie bleiben wollen?

„Du willst nicht gehen! Das ist es, oder?“ Die Worte hallten in ihr nach, begleitet von einem eisigen Schauer, der über ihren Rücken lief. Eigentlich sollte sie den Spiegel umgehend erneut zerschlagen. Niemand würde es merken, sobald sie das Tuch wieder über ihn legen würde. Aber was, wenn ein Funken Wahrheit in all dem lag? War sie bereits Teil dieser zerstörerischen Zukunft, ohne es zu wissen? „Er ist nicht hier. Nur du und ich. Sag mir warum. Warum willst du, dass ich bleibe? Was siehst du?“
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#1523

Beitrag: # 55213Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Das Fremde - Das Bekannte - 
Das Ich, das Du und die Einsamkeit

"Wie kannst Du alles vergessen haben?" Weiß vor Zorn traten ihre Fingerknöchel hervor und sie starrte ihrem verzerrten Spiegelbild entgegen. 

"Du stellst Fragen, deren Antworten Du kennst. Wieder und  wieder. Und nochmal von vorn. Dabei weißt Du alles genau. Du hast doch gesehen, warum Du ihn schützen musst. Das Beben der Erde, das Feuer und die Glut. Das grelle Licht und die Schatten, die Dich verfolgen." 

Ihre Faust entspannte sich und mit einer zärtlichen Geste fuhr sie über die gesprungene Oberfläche des Spiegels. "Die Prophezeiung verlangt es." Ihre Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern, ein Hauch, der kaum zu hören war, aber genau deswegen umso durchdringender wirkte. "Du musst es tun, damit der Schlüssel überlebt." 

Die scharfen Kanten des zerbrochenen Glases rissen neue Furchen in ihre Haut, doch zuckte sie nicht zusammen. Vielmehr hatte es den Anschein, als spürte sie nichts davon und wäre erneut entrückt in ihre eigene Welt der alten Erinnerungen. Die Bilder, die Visionen, sie klammerten sich immer noch an sie. Kaum vermochte sie sich noch zu erinnern an eine Zeit, zu der es sie nicht gab. 

Die Möglichkeiten einer Zukunft, einer Vergangenheit und auch einer Gegenwart. Zu Anfang war es eine Bürde gewesen. Als sie aber verstand, was sie sah, wusste sie, dass sie alles daran setzen musste, das zu verhindern, was irgendwann gefordert werden würde: Seinen Tod. 

Früher gab es wenigstens ihre Vertrauten, die sie hielten und auffingen, wenn es zu schwer zu ertragen war, was die Visionen ihr zeigten. Auch wenn es ihr oft genug nicht gelang, Worte für das zu finden, was sie sah, waren sie auf die ein oder andere Art bei ihr gewesen. 

Hier aber war sie mit allem vollkommen allein und es wurde immer schwerer zu unterscheiden, was wirklich geschah, was bereits passierte und was erst noch kommen würde. 

"Begreifst Du es immer noch nicht?" In ihren hellen Augen zeichnete sich ein Unverständnis ab und sie runzelte fragend ihre Stirn. "Er hält Dich nicht fest. Die Ketten, die Dich fesseln, hast Du Dir ganz allein geschmiedet und angelegt." Ketten, die sie nicht nur an diesen Ort banden, sondern ihr auch die Sicherheit gaben, in seiner Nähe bleiben zu können. Doch das wusste sie doch hoffentlich selbst. Oder nicht?

"Der Pfad hinaus … er lag immer offen vor Dir. Denn die Tore, durch die man kommt und geht, stammen von mir." Sie blinzelte, legte ihren Kopf zur Seite und zog langsam ihre Hand zurück, um diese eingehend zu betrachten. Die roten Linien, die sich wie eine Zeichnung über ihre Handfläche zogen, waren für sie nicht neu und doch untersuchte sie sie mit ihrem Blick, als hätte sie ähnliches noch nie gesehen.

"Ja … er ist nicht hier." Setzte sie wieder flüsternd fort, so dass genau zugehört werden musste, um zu verstehen, was sie sprach. "Aber dorthin, wohin es Dich zieht… nach Hause… dort wartet auch niemand mehr." 


 
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Tanuri
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#1524

Beitrag: # 55218Beitrag Tanuri »

Im Felsendom
Teil 1
 
Beim Betreten des Felsendoms wurde sie bereits von Vargus erwartet. Mit ruhigen Schritten näherte er sich ihr und begrüßte sie höflich, mit einer leisen, warmen Stimme. Niemand, der das frühe Gebet suchte, sollte unterbrochen oder gestört werden, weshalb er der Priesterin nahezu unhörbar zuflüsterte, dass jemand bereits auf sie wartete. 
 
Seitdem Tanuri die Legion verlassen hatte, waren bereits einige Stunden ins Land gezogen, denn sie war nicht auf direktem Weg angereist. 
Natürlich gab es für sie die Möglichkeit, sich mit Hilfe ihrer Portalmagie fortzubewegen und an gewissen Orten schneller und müheloser zu sein, doch mochte sie diese Form des Reisens nicht besonders gern und noch dazu wollte sie einige Stunden nur für sich alleine haben. Wo sie gewesen war? Es blieb vorerst ihr Geheimnis. 
 
Mittlerweile stand die Sonne aber schon hoch am Himmel, als sie von Vargus mit dem Hinweis, jemand suche das Gespräch, zum Beichtstuhl geführt wurde. Die Stimmung zwischen der Priesterin und jener, die auf der anderen Seite saß, war schwer zu fassen. Auf der einen Seite konnte man meinen, wenn man genau hinhörte, sie kannten einander bereits seit Jahren. Und doch waren sie sich so fremd, wie man sich nur sein konnte. Nie zuvor hatten sie miteinander gesprochen oder sich gesehen, und doch waren sie verbunden. Nicht durch gemeinsame Erlebnisse, sondern durch die Innigkeit zu ihrem Glauben.
 
Aus den Worten der verhüllten Person ließ sich leicht schließen, dass sie einst tief verbunden zur Glaubensgemeinde war, sogar einem Orden angehörte. 
 
Warum dies nicht mehr so war, konnte Tanuri vorerst nur mutmaßen, doch wurde schnell klar, dass die Frau mittlerweile dem Magierzirkel angehörte, welcher im Gewölbe der Legion seit einiger Zeit ihren Dienst tat. 
 
"Ihr, Hochwürden, verlangt bei meinen Brüdern und Schwestern danach, zu sterben? Und Ihr begründet es damit, dass es der Wille des Lords sei, dass Eure Seele in die Dunkelheit wandert, um einen Schlüssel zu finden, der seine Tore öffnen wird? Seid Ihr Euch dessen bewusst, dass dies ein bedeutender Schritt sein wird, der schwerwiegende Folgen haben könnte, wenn Ihr Euch täuscht?" 
 
"Die Folgen sind nicht nur ein "könnte", sondern sie sind eindeutig und nicht zu beschönigen. Aber lass mich Dir eines sagen: Manches Wissen, das in einem ruht und einen antreibt, lässt sich nicht erklären. Genauso wenig wie die Götter sich erklären lassen. Dass sollte jemand wie Du doch genau wissen, oder nicht?" In Tanuris Stimme schwang ein mahnender Unterton mit, als müsste sie eine junge Dienerin des Tempels für ihren Zweifel am göttlichen Wort zurechtweisen. "Betrachten wir es fernab von unserem Glauben, denn das ist es doch, worauf Du abzielst. Was geschieht, wenn ich es nicht tue?" 
 
Durch das schmale, verzierte Fenster des Beichtstuhls, das sie trennte, konnte Tanuri die Regungen der Frau nicht erkennen. Dennoch spürte sie die Körpersprache in deren Antworten sehr deutlich. 
 
"Zweifel ist das falsche Wort, Priesterin. Sicher etwas, womit Ihr viele in diesem Moment zum Schweigen bringt oder gar überzeugt. Allerdings sind wir beide vermutlich über jenes Wissen hinaus, das die Worte bedingungslos und blind zu unterscheiden weiß, nicht wahr?"

Eine rhetorische Frage, die von der namenlosen Person in den Raum gestellt wurde und somit nicht in das übersichtliche Regelwerk ihrer Konversation eingreifen sollte. "Wenn jemand vor Euch treten würde und behauptet, Ogrimar selbst fordere Euren Tod, würdet Ihr ihm nicht blind Euren Dolch in die Hand reichen. Daher frage ich euch, was Euch Gewissheit gibt." 
 
"Bisher dürfen alle nach wie vor mit mir sprechen, dass ich also jemanden zum Schweigen bringe, mit einem einzigen Argument, wäre äußerst vermessen anzunehmen. Wir sind beide nicht blind, aber auch nicht sehend, Trotz unserer Nähe zu Gott. Auch Du besitzt diese nach wie vor." Für einige Sekunden herrschte Stille, bevor Tanuri mit etwas kälterer Stimme fortfuhr. "Nicht Ogrimar fordert meinen Tod, sondern ich selbst. Das ist ein bedeutender Unterschied."
 
"Nun gut, dann wollen wir offen reden. Ihr sucht einen Zauber. Einen, der in die Dunkelheit führt und den Tod bringt. Doch bevor ich Euch meine Hilfe anbiete und etwas tue, das unwiederbringlich eine Schuld auf mich legen kann, verdiene ich Antworten, oder? Immerhin wird es Gründe haben, warum Ihr nicht den General darum bittet." 
 
Da es unklug wäre, sich den Weg zu verbauen, den Tanuri selbst in den Kellergewölben ihres Gildenhauses gesucht hatte, versuchte sie ihre Worte vorerst bedacht zu wählen, auch wenn die Zeit drängte und ihr von Minute zu Minute mehr durch ihre Finger rann. Aber sie wusste, dass jene Person auf der anderen Seite eine gute Chance bot, das zu erhalten, wonach sie verlangte. 
 
"Ja, ich suche einen solchen Zauber. Eine Schuld tragen wir alle, Du musst nur wissen, ob diese schwerer wiegt als das, was bewirkt wird." Als die Frau allerdings Adrian erwähnte, verengten sich Tanuris Augen misstrauisch und ihr Körper versteifte sich. "Der General, ja? Warum fragst Du mich ausgerechnet nach ihm und nicht nach jemand anderem aus meiner Gilde?" 
 
Ein hörbares Lächeln schlich sich auf die Lippen der Unbekannten, als sie antwortete. "Eine interessante Wahl Eurer Frage an mich. Meines Wissens nach beherrscht er die Dunkelheit, im Gegensatz zu den meisten anderen in Eurer Gilde." Ihre Stimme besaß eine einnehmende Sanftheit, die Tanuri jedoch nur noch mehr verunsicherte.
"Ich wollte Euch meine Hilfe anbieten. Doch ohne zu wissen, was genau Ihr sucht, wird es mir schwer fallen, Euch das zu geben, worum Ihr bittet." 
 
"Wonach ich suche? Ich suche jemanden, der den Mut besitzt, über sich und seinen Egoismus und seine Angst, etwas Falsches zu tun, hinauswächst und eine Priesterin tötet." 
 
Die Frage zwischen Recht und Unrecht eines gewünschten Todes würde sich nicht beantworten lassen, gleich wie bedacht die Gesprächspartnerinnen ihre Worte wählten. Beide verfolgten ihre eigenen Überzeugungen und so dauerte es nicht sonderlich lange, bis die Unterredung einiges an Deutlichkeit und Schärfe gewann. 
 
"Du hast Dein Gelübde gebrochen. Jenes über das Schweigen, dass Du Dir auferlegt hattest. Was hält Dich also zurück, erneut mit Dir zu brechen und eine Glaubensschwester zu töten? Noch dazu, da diese danach verlangt?" 
 
Damals, als die Priesterin noch lange keine Priesterin war, sondern lediglich eine einfache Magd in jener Schule, in welche ihr Bruder und Adrian unterrichtet wurden, erledigte sie häufig Botengänge zwischen dem Kloster der schweigenden Schwestern und der obersten Gelehrten. Der Weg war weit und dauerte, je nach Witterung, oft mehrere Tage, weshalb sie hin und wieder im Kloster für einige Zeit ruhen durfte. 
 
Dort war es anders als an dem Ort, an dem sie ihren Dienst verrichtete. Die Frauen waren gleichgesinnt, das spürte und wusste sie, obwohl keine von ihnen jemals mit ihr sprach. Saßen sie jedoch gemeinsam in der Kirche beim Gebet, waren sie wie eins. Verbudnen durch das Eine, was über ihnen stand und für immer stehen würde. 
 
Die Nonnen waren alle gleich, keine besser, keine schlechter und alle ohne einen Namen, der irgendetwas präsentieren sollte. Den Namen zählten für sie nicht nur der Glaube und die Aufrichtigkeit dem dunklen Lord gegenüber. 
 
Als sich die Stimme ihres Gegenübers zum ersten Mal erhob, hatte Tanuri es gefühlt, diesen kurzen Augenblick einer Geborgenheit und einer Wärme der Vergangenheit. Auch wenn das Kloster in der Durchsetzung des Willens kalt und grausam war und nahezu jedes Fehlverhalten hart bestraft wurde, war dort immer etwas gewesen, was sich für Tanuri wie ein Stück wahres Zuhause anfühlte. 
 
Gerade wollte die Frau den Vorhang zur Seite schieben, um den Beichtstuhl zu verlassen, doch nun hielt sie jäh inne. "Urteilt nicht über Dinge, von denen Ihr nicht ahnt, wovon Ihr sprecht, Priesterin." Die Stimme blieb sanft und doch lag ein Tadel darin, mit dem sie sich das Recht nahm, Tanuri in die Schranken zu weisen. "Mein Leben gehört Ogrimar. Ein Schwur, den ich zu keinem Moment gebrochen habe. Könnt Ihr dasselbe von Euch behaupten?" 
 
"Urteile nicht über Dinge, von denen Du nicht ahnst, wovon Du sprichst, Nonne." Wiederholte die Priesterin daraufhin in einem nahezu perfekten Gleichklang die Worte der Unbekannten. "Wenn Du also so überzeugt davon bist, Dich gegen mein Begehr zu stellen, warum genau bist Du dann noch hier? Worauf wartest Du? Der Weg nach draußen steht Dir frei." 
 
Erneut legte sich ein feines Lächeln hörbar auf die Mundwinkel der Unbekannten, während ihre Fingerspitzen bereits den Vorhang berührten. "Ihr wart es, die die Magier des Zirkels in Euren Gewölben angesprochen habt, auf der Suche nach dunkler Magie." Leicht schob sie den Stoff beiseite, wobei ein kühler Luftstoß den zarten blumigen Geruch, der ihr anhaftete und durch ihre Bewegung zusätzlich aufstieg, zu Tanuris Nase trug. Ob sie sich erinnerte? 
 
Ungläubig über das, was sie wahrnahm, riss die Priesterin ihre Augen auf und ein Zittern, welches sie fast in die Knie zwang, durchzog ihren gesamten Körper. Wie? Das konnte nicht sein. Wie hatte sie es nicht sehen, nicht hören, nicht vermuten können? 
 
Die einstige Nonne, nun ein Teil des Zirkels, geschützt und verborgen in ihrem eigenen Gewölbe, war…. sie?
 
Tausende Gedanken strömten durch ihren Kopf, alle gleichzeitig und noch dazu in einer Lautstärke, die es ihr unmöglich machte, einen klaren Gedanken zu fassen. 
 
Wie konnte er nur? Adrian… er hatte sie zu ihr geschickt? Warum? Was für ein dummer und unüberlegter Zug von ihm! Was dachte er sich dabei? Dass sie eine Verbindung spürte, zu einer, die einst auf ähnliche Weise den Glauben lebte wie sie? Ja tatsächlich, sie hatte es gefühlt. Aber nur bis zu jenem Moment, als der Geruch von Sünde und Begierde sie berührte und die Erinnerungen zurückholte, die ihr - wie bereits damals - einen tiefen Stich versetzte.

Deshalb die Frage nach dem General. Nun machte plötzlich alles Sinn. Das Gespräch über Glauben und der Versuch, sie davon zu überzeugen, ihre Entscheidung zu überdenken. Er hatte es tätsächlich gewagt, ausgerechnet jene Frau ins Vertrauen zu ziehen, um seinen Willen durchzusetzen. 
 
Tief holte Tanuri Atem, versuchte, sich und ihren Herzschlag zu beruhigen, nur um kurz darauf selbst zwischen dem Vorhang hervorzutreten, und jener, die für sie nicht mehr länger unbekannt, sondern nun schmerzlich bekannt war, direkt in die Augen zu sehen.

"Er schickt mir seine Hure." 

Ja, mein Herr und Meister, ich bin Deine Dienerin!
Lege Deine Finger auf meine Lippen und berühre mit Deiner Hand meine Zunge
auf dass ich Deinen Willen und Dein Wort verkünde!


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~~ Priesterin der dunklen Kirche und Mentorin ihrer Adeptin Freya ~~ 

Anführerin der Legion des Schattens
Frau des Adrian Al Saher 
Mutter der Nymeria Al Saher 
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Beitrag: # 55222Beitrag -Freya- »

 „Ich bin nicht freiwillig hier!“, flüsterte sie, ihre Stimme bebte vor Zorn, während ein bitterer Zug um ihren Mund zuckte. „Ich wollte niemals hier sein und auch nicht bleiben!“

Freyas Atem stockte, als die Stimme ihres Ebenbildes verhallte, dessen blutige Hand die gesprungene Spiegelfläche verließ. Wie ein Déjà-vu flammte das Symbol vor ihren Augen auf – in diesem Augenblick ein Trugbild und doch hatte es zuvor existiert, da war sie sich sicher.

Doch was sollte all das bedeuten? Ihre Augen schimmerten im Sonnenlicht vor Verzweiflung, als sie den Blick im Spiegel suchte. Jene Gestalt, die von Prophezeiungen und dem Schlüssel sprach. Niemand hatte es in den letzten Monaten erwähnt, geschweige denn interessiert, als hätten jene Worte nie existiert. Bis jetzt. War es also doch vielleicht Einbildung? Etwas, das sie wachrütteln sollte? Sie sollte sich erinnern, aber woran? Was hatte sie gesehen?

 „Würde ich die Antworten kennen, müsste ich nicht fragen, doch keiner sagt mir etwas.“, fauchte sie, ihre Brauen zogen sich zornig zusammen. „Ja, selbst du, mein eigenes Spiegelbild, lässt mich im Dunkeln! Warum?“

Tief atmete sie ein und sah erneut in Richtung des Balkons. Hinweg über die Stadt. Die bunten Baldachine. Bei Ogrimar, was tat sie hier? Verbarg sich hinter all den Worten eine Bedeutung?

Sie drehte sich im Kreis. Immer und immer wieder. Andauernd kamen neue Fragen auf, die sie immer tiefer in eine Spirale drängten. Es war als würde jemand mit ihr spielen und eine gnadenlose Freude daran haben, dabei zuzusehen, wie sie immer weiter daran verzweifelte, dass sie nach etwas suchte, was es womöglich gar nicht gab. Was übersah sie?
  

„Du hast doch gesehen, warum Du ihn schützen musst.“
  
Wie Gedankenblitze, sah sie vor ihrem inneren Auge ihre eigene Hand, durch die ein kleines Messer fuhr. Ein Wimpernschlag, unter dem ein kühles stechendes Blau sie fragend ansah, ehe sich seine Hand vor ihren Blick hob und blutig offenbarte. „Wir müssen herausfinden, was es bedeutet.“

Worte, die einst Träume in ihr geweckt hatten, nur um in einem einzelnen Atemzug zusammenzubrechen. ~Uns verbindet etwas einzigartiges~


Ein Lächeln, das ihr einst Trost gab und nun einen eisigen Schauer über ihren Nacken legte. ~Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem sie das in Dir sehen, was ich in Dir sehe.~

„Nein!“, formten ihre Lippen immer wieder stumm. Als könnte ein einzelnes Wort, das abwehren, was ihr Geist offenlegte. Erinnerungen, die in ein vollkommen anderes Licht getaucht wurden. Eine Bedeutung, die Freya wie ein Zittern durchfuhr, ehe sie erneut einen Schritt zurückwich. 


Naheniel. Der Name flammte in ihren Gedanken auf, begleitet von der Vision, die sie in unzähligen Facetten heimsuchte: sein Schatten, der sich wie ein düsterer Mantel über sie legte, der kühle Hauch von Zedernholz, der seine Nähe umwob, seine Hand, die eine Klinge führte. Ihr Blut, das in dunklen Strömen den Boden tränkte, während ihre Schreie auf ihren Lippen erstarben und die Welt sich in Finsternis legte.

Unbewusst legte Freya eine Hand auf ihren Bauch, als könnte sie die Wunde spüren, während ihr Puls wild unter der Haut hämmerte. - Wenn sie blutete, blutete auch er.

„Das kann nicht stimmen.“, murmelte sie, ihre Lippen zitterten, als sie den Kopf schüttelte, als könnte sie die Wahrheit vertreiben. Den Gedanken und Träume über den Tod. Nein, das durfte nicht wahr sein.

Ihre Finger zuckten unruhig, während sie ihren Kopf in den Nacken legte und für einen Moment die Augen schloss, um sich zu besinnen.  Der Drang, ihre Fäuste gegen den Spiegel zu schlagen, bis nur Scherben und Stille blieben, tobte in ihrem Inneren.

~Du und ich, wir kennen die Wahrheit. Und wir kennen den Wert unserer Freundschaft. ~

Unter einem zarten Wimpernschlag verbannte sie die einnehmende Stimme aus ihren Gedanken und ihr Blick legte sich durchdringend auf die hellen Augen der Gestalt, die von Prophezeiungen und einem Schlüssel sprach.

„Was verbindet den Schöpfer mit mir? Hat er mich deshalb hier eingesperrt? Sag mir, was bedeutet das alles?“, schrie sie, ihre Stimme überschlug sich, gefangen in dem Anblick der roten Linien welche die Hand ihres Ebenbildes auf den Spiegel gezeichnet hatte.

Die Antwort darauf übermannte bereits Freyas Geist und suchte in dem Blick ihres Gegenübers die Bestätigung dafür, was sie nicht glauben konnte – nicht glauben wollte. Eine Hoffnung, die in Rauch aufging und ein schmerzendes Brennen in ihren Augen hinterließ, als sie spüren konnte, wie in ihr etwas unaufhaltsam auseinanderbrechen wollte.

„Dorthin, wohin es Dich zieht… nach Hause… dort wartet auch niemand mehr.“ Die Worte hallten in ihr nach, ein giftiges Gespinst, das sich um ihr Herz legte. „Eher hat er sie getötet, so wie er andere tötete… weil er es muss.“

„Nein!“ Ein eisiger Schauer lief über ihren Rücken, als die Erkenntnis sie übermannte. Ihre Hand fuhr zu ihrer Brust, die Bürde der Prophezeiung pochte in ihr, während ihre Augen sich in jähem Entsetzen weiteten. 

Die Bilder längst verblasster Visionen flammten vor ihrem Geist auf. Ein Chaos, das mit jedem Wimpernschlag gnadenlos Erinnerungen hervorrief. Die leblosen Körper ihrer Freunde und ihrer Familie. Gesichter des Todes, die das Ende all jener beschrieb, die ihr wichtig waren. Das helle Blau seiner Augen, in das sie bei ihrem eigenen letzten Atemzug blickte.

War sie die ganze Zeit so blind gewesen? Hatten sie alle am Ende recht und sie selbst hatte sich all die Zeit über blenden lassen? Beim Lord, sie musste nach Hause. Wenn das alles keine Illusion war, dann musste sie einen Weg finden.

„Er weiss es.“ Ihr Atem bebt, während das Licht der Sonne goldene Funken in ihren Augen auftanzen ließ. Zarte Fäden, die unter den glasigen Tränen, die Freya zurückhielt, hell aufglänzten, sodass das Blau ihrer Augen tiefer und dunkler wirkte. „Er weiss, dass ich der Schlüssel bin.“
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Geboren aus dem Wissen einer dunklen Vergangenheit - verblasst mein altes Leben im Schatten einer neuen Zeit.
~ Einfach Freya ~

In den Momenten, in denen nichts mehr bleibt, sieht man die unsichtbaren Fäden, die uns wirklich halten.
Ein Name allein hat dabei keine Bedeutung. Er kann verblassen, wie Tinte auf einem Pergament - wie ein leeres Versprechen.
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