Was zum...!?
Nur wenige Worte die sie mit Anstrengung über die Lippen brachte und zugleich versuchte, sich am Altar wieder auf die Beine zu ziehen. Ihr Blick streifte umher, doch erspähte sie niemanden. Instinktiv griff sie an ihren Waffengurt, den Morgenstern hatte sie bereits an den Golem verloren. So blieb ihr nur noch die Klinge ihres Vaters, für Magie war sie längst zu schwach, ob sie in dem Zustand eine körperliche Auseinandersetzung zustande bringen würde war ebenso mehr als fraglich.
Viel mehr sogar aussichtslos, dessen war sie sich bewusst.
So kampfeslustig, selbst im Angesicht des Todes.
Sag mir, Sterbliche, kannst du dein Ende fühlen?
Wie sich die Macht, die nicht die Deine ist, seinen Weg hinaus kämpft? Wie es dich verzehrt!?
Es schien, als ob die Stimme aus allen Richtungen gleichzeitig an ihre Ohren drang, wie ein Echo, welches sich unaufhörlich ausbreitete und mit fortschreitender Distanz wieder schwächer wurde. Noch bevor Odessa eine weitere Reaktion zeigen konnte, erfasste sie ein schemenhafter Griff, riss sie regelrecht von den Beinen hoch in die Luft.
Was bist du? Ich sehe Menschlichkeit, doch bist du nicht länger nur ein Mensch. Nicht mehr.
Sie spürte einen Atem an ihrem Hals, wie jemand oder etwas ihren Duft einsog. Odessa versuchte sich zur Wehr zu setzen, sich aus den magischen Fängen zu befreien, doch sie war schlicht und ergreifend machtlos. Eine Marionette, die an den Fäden eines Puppenspielers gefangen hing.
Wer gab dir diese Macht? Oder bist du gar ein Dieb?
Kurzerhand spürte sie wie etwas in ihren Kopf eindrang, um sich an ihren Erinnerungen zu laben. Zusammenhängende Bilder ihrer Vergangenheit. Der Tag an dem ihr Vater verstarb, die Trauer die sie empfand, wie man ihr das Familienerbstück überreichte, welches sie bis heute stets in Ehren bei sich trug. Doch drang jenes Wesen noch viel tiefer in sie ein, suchte offenbar nach etwas gänzlich anderem. Etwas bedeutsameren. Es dürstete nach ihren tiefsten Geheimnissen, sie konnte fühlen, mit welch Gier man geradezu in ihr wühlte. Weitere Bilder zeigten sich, die Heiligtümer Zirkels.
In eben jenen Hallen verlieh der Erzmagus ihr einst eine außerordentliche Macht, aus Dankbarkeit für ihre Dienste. Bevor sich die Geheimnisse dahinter jedoch offenbarten, war aus ihrem inneren urplötzlich ein markerschütternder Schrei zu vernehmen, ehe sich aus einem Funken das Zeichen des dunklen Phönix formte und den Eindringling mit Nachdruck aus ihren Gedanken verbannte.
Omni'Thael
Ertönte die Stimme erneut, behaftet mit einem nun freundlichen Unterton. Der Griff um Odessa löste sich und sie schlug hart auf dem kalten Boden auf, augenblicklich erhellte sich der Raum, als die Runen auf dem Altar eine nach der Anderen in der Reihenfolge aufleuchteten, in der sie zuvor berührt worden waren. Eine männliche Gestalt formte sich aus ihrer Kraft genau vor ihren Augen, er trug das Gleiche Gewand, wie die Männer in ihrem seltsamen Traum. Sein Gesicht war deutlich gezeichnet, keineswegs alt, viel mehr spiegelte sich in seinem Gesicht der Ausdruck wieder, den Gefangene nach langen Jahren der Gefangenschaft annahmen, jede Hoffnung darauf aber bereits verloren haben. Sie blickte zu ihm auf, sichtlich überrascht von der dargebotenen Hand.
Verzeiht...amica.
Amica!? So schnell konnten sich Eindrücke gegenseitig widerlegen. Wenn auch zögerlich und misstrauisch griff sie nach der Seinen, um wieder auf die Beine zu kommen. Ihre Augen legten sich prüfend auf sein Antlitz, während er sie behutsam stützte.
Wer seid ihr?
Eine naheliegende Frage, die zunächst unbeantwortet bleiben sollte. Er schob seine Hand unter ihr Kinn und hob es leicht an, einen kurzen Moment kreuzten sich ihre Blicke. Mit einem Lächeln auf den Lippen schob er die Kapuze von seinem Haupt, unbändiges schwarzes Haar kam dabei zum Vorschein. Ein Mann, der gut und gerne in ihrem Alter gewesen sein mochte und dessen blauen Augen durchaus mit einem gewissen Charme aufwarten konnten.
Antworten erfordern Zeit.
Die eine Sache, die du nicht hast. Nicht wahr?
Ohne sie zu Wort kommen zu lassen wanderte seine Hand an ihre Wange, schloss seine Augen um ihr Kraft zu spenden. Wärme breitete sich in ihrem Gesicht aus und durchzog Stück für Stück ihren gesamten Körper. Sie mochte dadurch nicht wieder zu voller Stärke gelangen, doch was der Fremde ihr gab würde genug sein, um vorerst durchzuhalten.
Dankt mir nicht.
Das Unvermeidliche kann auch ich nur hinauszögern.
Kam er ihr zuvor als sie Anstalten machte zu sprechen, sich dabei aber auch einen Schritt weit von ihm entfernte. Sie atmete einmal tief durch, währenddessen sie ihn scharf ansah. Was genau war das hier nun? Eine Frage jagte die Nächste, ihren Gesichtszügen nach zu urteilen musste man auch kein Hellseher sein.
Mein Name lautet Gorgorash, ich bin der Letzte der Shara'thael.
Ich war es, der diesen Tempel einst hat errichten lassen.
Was du gesehen hast, waren meine Erinnerungen.
Ungläubig betrachtete Odessa ihren Gegenüber, in Gedanken jonglierte sie bereits mit diversen Szenarien. Es ergab überhaupt keinen Sinn, entsprechend fiel auch ihre Reaktion darauf aus.
Es heißt, eure Rasse wurde ausgelöscht. Wie konntet ihr überleben?
Mit einem Nicken bekräftigte Gorgorash ihre Worte und bot ihr abermals seine Hand dar.
Es ist einfacher es dir zu zeigen, sieh selbst!
Gleichermaßen fordernd und einladend verharrte er vor ihr mit ausgestreckter Hand. Natürlich hatte sie keinen Grund ihm zu trauen, geschweige denn zu glauben. Was sie zuvor gesehen hatte fühlte sich jedoch zu real an, um an der Echtheit zu zweifeln. Sie kam für Antworten, vielleicht war dies die letzte Möglichkeit sie zu erhalten. So legte sie ihre Hand in die Seine, zaghaft und achtsam. Wieder überkam sie dieses eigenartige Gefühl, dieses Etwas, dass bereits zuvor nach ihr griff und sie aus dieser Welt zog.
Sie fand sich inmitten eines Schlachtfeldes wieder, auf dem sich zwei Heere gegenüber standen. Eine Armee in den Farben die auch Gorgorash trug, ihnen gegenüber standen Männer in schwarzen Roben und einem Banner, dass sie nur zu gut kannte. Der Orden des schwarzen Phönix.
Du erkennst sie wieder, ist es nicht so?
Es war Gorgorash's Stimme die sie vernahm und sie behutsam durch seine Erinnerungen geleitete. Er zeigte ihr den Ausgang der Schlacht, den Untergang der Shara'thael. Nur zu gut erinnerte sich Odessa an die Macht, welche auch hier zum Einsatz kam. Ein gewaltiges Arsenal aus allen bekannten Magieschulen. Verheerend, effektiv, alles in ihrem Weg verzehrend. Die Kulisse wechselte in ein Meer aus Asche und Blut. Ein in die Knie gezwungener Gorgorash, der sich einem jungen Magier gegenüber sah, der augenscheinlich das Kommando über die Seinen hatte. Ein Wortwechsel folgte, dem sie aufmerksam lauschte.
Sideros.
Das ist Wahnsinn. Wir können es noch aufhalten, lasst es uns beenden!
Ja das werden wir. Wir werden vollenden, was Irialtok einst begonnen hat.
Mit eurer Macht werden wir selbst den Zirkel in die Knie zwingen. Aus der Asche eurer aller Niedergang, wird der schwarze Phönix sich erheben und seine Schwingen ausbreiten.
Einprägsame Worte die gesprochen wurden, wie könnte man sie auch vergessen? Odessa selbst stand dem Wahnsinn des Ordens gegenüber und war Zeuge dessen was notwendig war, dieses Pack vom Antlitz der Welt zu tilgen. Die Leben die verloren gingen, die Opfer die gebracht werden mussten, die Bürde die sie nun selbst zu tragen hatte und wiederum ihr eigenes Leben bedrohte. Sie ließ sich weiter im Strom vergangener Ereignisse mitreißen und fand sich sogleich im nächsten Kapitel der Geschichte wieder. Gorgorash teilte sein Schicksal mit ihr. Zurück am Tempel sieht sie Gorgorash, wie er vom Orden hineingezerrt wurde. Bilder die Aufschluss darüber gaben, warum er sein Leben noch nicht verwirkt hatte. Gemessen daran was folgte, war der Terminus Leben aber alles andere als weise gewählt. Im inneren wohnte sie seiner Verbannung bei, ein Fluch der ihm nicht ermöglichte zu altern oder zu sterben. Verdammt dazu für alle Ewigkeit an diesen Ort gebunden zu sein, gefangen mit seinen Erinnerungen, in vollem Bewusstsein seines Scheiterns.
Sie wussten wir haben in diesem Tempel eine Beschwörung durchgeführt.
Wir Shara'thael haben viele Gaben, eine davon macht es unmöglich unseren Geist zu brechen.
Sie mochten sich unsere Magie aneignen, doch diese Hürde war selbst für sie unüberwindbar.
Als Strafe für mein Schweigen haben sie mich hier eingesperrt, als Schatten meiner selbst.
Mein Volk war ausgelöscht, wir wurden restlos aus der Geschichte getilgt. Wir wurden schlicht vergessen.
Der Junge!
Erinnerte sich Odessa in jenem Augenblick, was uns zu einem weiteren Kapitel führen würde.