Der in Ungnade gefallene Ork
Bei jedem Schritt knirschte der Schnee unter den Schritten des alten Orks. Ein Geräusch, dass nur vom Heulen des eiskalten Windes übertönt wurde. Oznark musste sein Bein jedesmal weit in die Höhe heben, um es aus dem tiefen Schnee zu ziehen, nur um mit dem nächsten Schritt wieder tief in den Schnee einzusinken.
Eine unwirtliche Welt, die der alte Ork lange Zeit gemieden hatte. Er zog den braunen Fellumhang, der unlängst von Schnee bedeckt war, enger zusammen und grunzte laut, während er sich weiter durch die Schneelandschaft bewegte.
Um ihn herum standen nur vereinzelte kahle Bäume und Oznark war sich sicher, dass diese seit langer Zeit bereits tot waren. Tot wie der Rest dieses Landes.
Nur ein Lebewesen war ihm bekannt, dass freiwillig dieses kalte Tal sein Zuhause nannte.
Oznark war alt, doch der Ork dessen Heim er aufzusuchen gedachte war noch viel älter. Der Schamane, der vor vielen Jahren die Abgeschiedenheit gesucht hatte, gehörte zu den ältesten seiner Art und war unter den seinigen nur als „Lungawai oio Ladazum“ bekannt, der seit langer Zeit sehende Bote. Ein Titel den die Orks, der unter Fürst Salidor vereinten Stämme, nicht grundlos vergeben hatten, denn man sagte diesem alten Schamanen nach, dass ihm der Gott der Diplomatie Ook'Tok selbst die Gabe des Sehens verliehen hätte, um einen direkteren Einfluss auf die Geschicke der Orks zu haben.
Noch immer durchbohrte die Kälte den alten und kranken Körper des gealterten Oznarks. In früheren Zeiten wäre dieser Weg unbequem, jedoch keine Herausforderung für ihn und seine Magie gewesen. Jetzt jedoch nagte das Alter an ihm und seine magische Axt Abaschado war verschwunden. Seine Macht war gebrochen und selbst die einstiege schamanische Magie wollte sich heute nicht mehr seinem Willen fügen. Er zwang sich weiter durch den Schnee, in den er unlängst bis zum Gürtel versank. Um so tiefer er sich in das Tal kämpfte, um so mehr verwehrten ihm Kälte und Wind das weitergehen. Unbeirrt trieb sein Wille den geschundenen Körper weiter.
Es dauerte einige Stunden bis Oznark die angestrebte Höhle erreichte. Er blickte nach oben und sah mit tiefen Kerben orkische Schriftzeichen in den Fels geschlagen. „Aia bolg Schago lungawai oio Ladazum“ - Ich bin der große Schamane seit langer Zeit sehender Bote.
Ein letzter weiter Schritt und Oznark hatte die Höhle betreten. Im selben Moment fielen Kälte und Erschöpfung von ihm und er wusste, dass dies nur das Werk der schamanischen Magie sein konnte.
Er folgte einigen Fackeln die den Weg durch die Höhle beschrieben und der Schwarzork war sich sicher, dass Lungawai ihn längst erwartete. Am Ende des Weges lag eine große Kammer. Ihre Wände und der Boden war mit verschiedenen Teppichen und Fellen geschmückt. In der Mitte saß Lungawai vor einem kleinen Feuer über dem ein ebenso kleiner Topf hing. Er rührte kräftig in einer brodelnden dickflüssigen braunen Substanz, die im Topf vor sich hin köchelte.
Oznark näherte sich ruhigen Schrittes und schweigend dem Älteren.
„Ich habe dich bereits erwartet Schwarzork, du hast dir viel Zeit gelassen!“, sprach Lungawai in orkischer Sprache ohne den Blick vom Topf abzuwenden, „du hättest beinahe meinen Ratten- und Wolfseintopf verpasst!“.
Oznark fragte sich kurz, woher der alte Schamane in diesem Tal überhaupt die Zutaten bekommen hatte, behielt diese Frage aber für sich und lächelte der Mahlzeit entgegen. „Du hast mich also erwartet weiser Schamane!“, begann der Schwarzork das Gespräch, nachdem er sich dem Schamanen gegenüber ans Feuer gesetzt hatte.
Lungawai reagierte auf die Frage nicht, sondern reichte einen Holzlöffel an Oznark und deutete ihm, sich aus dem Topf zu bedienen, bevor er selbst einen Löffel herausnahm und sich in den Mund schob. Oznark tunkte dankbar den Löffel in den Eintopf. Als er ihn wieder hervor zog, lag neben ein paar Haaren, Brühe auch ein dickes Wolfsauge auf seinem Löffel. Der Schwarzork freute sich, da die Augen seines Erachtens nach das Beste an einem derartigen Eintopf waren und schob sich den Löffel grinsend in den Mund.
„Du willst von mir wissen, wo Abaschado ist. Deine Axt, die vielleicht mächtigste von sterblichen Orks geschaffene Waffe.“, begann Lungawai, der mit sichtlichem Unmut das Wolfsauge auf Oznarks Löffel gesehen hatte und nun seinerseits nach einem der leckeren Augen im Eintopf suchte.
Der Schwarzork nickte nur. „Wer außer dir könnte wissen wo sich meine Axt befindet, wenn ich sie nicht spüren kann. Abaschado ist ein Teil von mir. Ich habe ihre Anwesenheit immer gespürt und mein Körper und Geist sind durch ihre Abwesenheit geschwächt. Hilf mir alter Lungawai und sag mir, wer sie versteckt hat und wo sie versteckt wurde!“.
Jetzt blickte Lungawai in die Augen Oznarks. „Das kann ich aber nicht!“, war alles was er Oznark entgegnete.
Die dunkelgrüne Haut des Schwarzorks zeigte Anzeichen von Blässe und sein Kinn fiel herab. Welche Magie musste im Spiel sein, wenn selbst Lungawai oio Ladazum seine Axt nicht finden konnte?
„Ich kann es nicht, weil Ug'Nag selbst es war, der Abaschado zerschlug, Xruu'Grug den Geist der lebenden Axt an sich nahm, Gralg'Vik ihr die Zauber nahm und ihre Reste von Kronk verschlungen wurden, damit du sie nie wieder finden würdest. Unsere Götter zürnen dir dummer Schwarzork!“, die Augen Lungawais hatten sich bei diesen Worten mit Zorn erfüllt und Oznark hatte das Gefühl, ihm würde der Atem versagen.
Seine Götter zürnten ihm? Welchen Fehler hatte er begangen, dass sie ihn derartig bestraften? Sein Verstand konnte die Situation nicht begreifen und dennoch ergab alles einen Sinn. Wer sonst hätte seine Axt ansich nehmen können und warum sonst sollte seine Magie ihm verwehrt bleiben, wenn nicht die Götter selbst ihn nicht hören wollten? Sein Schädel brummte noch mehr als zuvor und ihm wurde schwindelig. Er blickte verzweifelt zu dem Älteren, dessen Blick nun wieder weicher geworden war.
„Die Götter hatten dir alles gegeben Oznark. Mächtige Magie, große Stärke und du führtest eine der größten Waffen, die ein Ork je in der Hand hielt. Unser Fürst gab dir Befehl über Armeen von uns und was hast du zum Wohle der Orks getan? Wie oft standest du vor den Toren der Menschenstädte und hast du auch nur eine eingenommen? Du bist in Ungnade gefallen und die Götter wollten dir das Leben nehmen.“, die letzten Worte nuschelte der Seher nur noch, da er sich erneut den Holzlöffel in den Mund geschoben hatte und dabei weiter sprach. Eine Tat die Oznark nur mit Unbehagen beobachtete, nicht weil die Hälfte des Löffelinhaltes aus dem Mund fiel, sonder weil der Ältere tatsächlich ein Wolfsauge auf dem Löffel hatte.
„Aber du hast auch viel Gold für unser Volk gesammelt und Waffen, sowie Rüstungen für unsere Armeen gekauft. Des Wegen sprachen die Göttinnen Hiurhka und Krull'Nua zu Ug'Nag und baten darum, dir eine weitere Chance zu geben.“, Lungawai rührte erneut mit dem Löffel in der Suppe in der Hoffnung, nun eins der Rattenaugen zu finden. Eine Tat die Oznark ihm umgehend mit hektischen Bewegungen gleich tat, woraufhin auch Lungawai nach einem kurzen Grunzen hektischer in der Suppe rührte. Plötzlich riss Oznark den Löffel hoch und erblickte gleich beide Rattenaugen auf seinem Löffel mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck, wendete er seinen Blick zu dem Seher. Dieser jedoch schoss nach Vorne und umschloss Oznarkslöffel mit seinem Mund, woraufhin er grinsend die beiden Augen verschlang. Der Schwarzork musste seine Niederlage einsehen und seufzte lautstark. Ein wirklich schwarzer Tag für den einst mächtigen Oznark Gul.
„Die Götter haben entschieden: Abaschado soll für alle Zeiten verloren sein. Solltest du aber jedem unserer heiligen Götter eine Ehre erweisen, die sie als außergewöhnlich anerkennen, so werden Sie dir deine Jugend wiedergeben und du wirst die Gelegenheit bekommen, unserem Fürsten, unserem Volk und unseren Göttern der Diener zu sein, der du sein solltest!“, Lungawai lächelte zufrieden, lehnte sich zurück und streichelte sich den runden Bauch, um seinem Sieg über Oznark und den schmackhaften Augen Ausdruck zu verleihen.