#1
Verfasst: Di 3. Apr 2012, 23:34
>Ayani, Haldor. Es wird Zeit für euch ins Bett zu gehen.<Mit diesen Worten schaute Mutter sie und ihren älteren Bruder über die noch vom abendlichen Essen gedeckte Tafel hin an. Ein Blick, der keine Widerrede duldete, die aber auch gar nicht erst aufkam. Stattdessen gähnte sie nur müde, nickte artig und rutschte von ihrem Stuhl hinunter. Schnell lief sie zu Mutter, stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, so weit wie nur irgendmöglich, um ihr einen feuchten Kuss auf die Wange zu drücken. Danach auch gleich zu Vater und das Ganze noch einmal. >Gute Nacht!< Klang die helle Kinderstimme noch zu den Eltern, ehe sie mit dem Bruder gemeinsam das Zimmer verließ, um zu Bett zu gehen. Oben auf dem Flur bekam natürlich auch Haldor noch einen Schmatzer auf die Wange. >Gute Nacht, Haldor!< Rief sie noch dem vier Winter älteren Bruder hinterher und lief schnell mit wehenden Haaren zu ihrem Zimmer. Dort angelangt streifte sie das Kleid ab, wusch sich geschwind das Gesicht in der Waschschüssel, so wie Mutter es ihr beigebracht hatte und bürstete das lange weiß-blonde Haar. Danach war auch schon das Nachthemd übergezogen und sie war fertig und bereits fürs Bett. Einen kleinen Blick warf sie noch zum Fenster hinaus in die vom Mond beleuchtete Nacht, öffnete das Fenster einen Spalt breit und rutschte unter die Daunen des Himmelbettes, das so herrlich nach der Seife duftete, mit der Marta das Bettzeug gewaschen hatte.
Das laute Klappern von vielen Hufen auf dem gepflasterten Weg, welches durch das geöffnete Fenster zu ihr herein drang, weckte sie einige Stunden später bereits wieder und riss sie aus dem herrlichen Traum, den sie gerade gehabt hatte. Verschlafen schaute sie sich um, ehe sie Männerstimmen hörte, was nachts eigentlich ganz und gar nicht üblich war. >Sucht -..., ich will jeden -...?! Aber macht -..!<
Verzerrt drangen diese Worte an ihre Ohren und sie blickte verwirrt und nun gar nicht mehr verschlafen an die Decke. Was war nur los? Was wollten diese Männer und warum schlugen die Hunde nicht an? Unruhig kaute sie auf der Innenseite ihrer Wange herum, bis sie beschloss, dass das sicher Besuch für den Vater war, denn ganz selten empfing er am späten Abend noch Gäste. Und sicherlich würde sie eine Standpauke zu hören bekommen, wenn sie nun hinaus lief und lauschte, was die Männer zu besprechen hatten. Also rollte sie sich wieder unter der Decke zu einem kleinen Bündel zusammen und schloss die Augen ganz fest. Die Worte der Männer, hatte sie bereits wieder vergessen.
Schreie einer Frau, Männerstimmen und das Klirren von Waffen, die aufeinander schlugen rissen sie geschwind wieder aus dem Dämmerzustand, in den sie gerade verfallen war. Entsetzt sprang sie nun aber doch aus dem Bett. >Mutter?< Rief sie leise ängstlich, als sie bereits im Flur stand und sich hinter das Geländer duckte um nicht von den kämpfenden Männern gesehen zu werden, die wie wild geworden auf Vater einhieben. Was taten sie da? Und warum waren die überhaupt hier? Doch bevor sie noch weiter darüber nachdenken konnte, kam Mutter bereits angelaufen mit losem Haar und im Nachtgewand, was eigentlich gar nicht ihre Art war, um Fremde zu empfangen. Furcht stand in ihrem Gesicht, als sie leise nach ihr rief. >Ayani, komm schnell weg von dort!< Mutter fasste sie bei der Schulter und schob sie kurz darauf in das elterliche Schlafzimmer und zum Wandschrank hin. >Bleib dort, bis ich dich rufe und sei still! Ich werde Haldor holen.< Brav nickte Ayani und kletterte in den Wandschrank dessen Türen aus Holz und geflochtenem Bast bestanden.
Ganz klein kauerte sie sich zusammen und lauschte auf die Stimmen und Geräusche aus dem Flur. Einen lauten Schrei konnte sie vernehmen, als Mutter gerade wieder in den Flur stürzen wollte. Der Schrei ihres Vaters! Sie hatte ihren Vater noch niemals so schreien gehört und genau dies machte die Furcht nur noch größer. Kurz darauf vernahm sie noch einen weiteren Schrei. Haldor! Was war nur los? Was geschah dort und warum sperrte Mutter sie hier im Schrank ein? Ängstlich machte sie sich noch kleiner, drückte die kleine Hand fest auf den Mund, als sie durch das Geflecht sah, wie ihre Mutter bis ins Zimmer hinein zurückwich. Zwei Männer folgten ihr mit Klingen in der Hand, von denen das Blut auf den Boden hinunter tropfte. >Na, was haben wir denn da?< Konnte sie die Stimme von einem der Männer mit wogendem schwarzem ungepflegtem Bart vernehmen, der Mutter auf seltsame Weise anblickte. Hilflos beobachtete sie, wie Mutter weiter zurückwich und die Männer entsetzt anstarrte, als diese über sie herfielen, sie zu Boden stießen und Dinge taten, an die sie sich noch lange erinnern würde, aber die sie jetzt noch nicht verstand. Entsetzt hörte sie Mutters Schreie, das Lachen der Männer, wie sie sich um sie drängten und der Reihe nach über sie herfielen, wie ausgehungerte Wölfe. Irgendwann hatte Mutter nicht einmal mehr geschrien, sondern nur noch da gelegen mit leerem, starrem Blick. Und nachdem der Letzte fertig war, konnte Ayani aus dem Schrank heraus sehen, wie einer der Männer ihr den Hals aufschlitzte, noch einen Moment lang zusah, wie das dunkle Blut aus ihrem Hals einem nicht enden wollenden Strom gleich, floss und das Leben ihrer Mutter mit hinaus riss. >Das müssten alle gewesen sein!< Danach schaute sich der Letzte der Männer noch einmal im Raum um, ehe er sich abwandte und wie die anderen zuvor das Zimmer verließ, ohne das 7 Winter alte Mädchen, das dort zitternd die Hand fest auf den Mund gepresst im Schrank hockte und auf die Stelle starrte, an der die Mutter verblutet war und auch jetzt noch blutete, zu bemerken. Wie viel Zeit verging, bis die Männer schließlich das Haus verließen und sie die Hufe auf dem Hof vernehmen konnte, wusste sie nicht. Starr auf den Leichnam blickend in die leeren Augenhöhlen, die jegliche Wärme und Herzlichkeit verloren hatten. Keine Regung ging mehr durch den jungen Körper und wohl hätte so manches Kind schon längst hysterisch geschrien. Doch kam kein Laut über ihre Lippen, nicht ein einziger.
Es mochten gut zwei Tage vergangen sein, ehe wirklich wieder eine Regung durch das Mädchen ging, das so lange im Schrank versteckt ausgeharrt hatte. Ein wenig hatte sie geschlafen, doch immer wieder waren die Bilder der Mutter aufgetaucht, die Schrei aus dem Haus, das Lachen der Männer, sodass der Schlaf nicht wirklich erholsam gewesen war, ganz im Gegenteil. Doch nun, nachdem sie noch einen Blick auf Mutters leere Augen geworfen hatte und der Bauch vor Hunger schmerzte, der Hals vor Durst ebenso, kletterte sie aus dem Schrank. Reckte die steifgewordenen Glieder und lief auf die Mutter zu. War sie wirklich tot? Leicht rüttelte sie an der Schulter, der geliebten Schulter, die immer da gewesen war, wenn sie oder ihr Bruder Kummer gehabt hatten. Doch nichts, keine Regung. Stattdessen war der Körper steif und kalt. Und Mutter war so unendlich blass. Entsetzt starrte sie noch einen kleinen Moment lang auf die zerfetzten, blutigen Röcke, wandte sich ab und lief in den Flur. Dort angelangt blieb sie jedoch bereits wieder schlitternd stehen... Haldor! Das musste er sein, im Schlafrock lag er da - auf dem Bauch - das Haar, so braun und glatt wie das ihre, wirr vom Kopf abstehend und wäre da nicht der Dolch zwischen seinen Schulterblättern und das Blut gewesen, so hätte sie fast gedacht er schliefe. Doch nach einem leichten Anstupsen stellte sie fest, dass auch er, ebenso wie Mutter, keine Regung mehr zeigte.
Starr hatte sie mit leeren Augen auf den Bruder geschaut bis der Magen sich zu Wort meldete und fordernd nach etwas Essbarem und Wasser knurrte. Schnell wandte sie den Blick von ihrem leblosen Bruder ab und lief die Treppe hinunter. Zwei fremde Männer lagen an deren Ende, schwer verwundet und ebenfalls tot, wie die anderen, die sie gefunden hatte auch. Vorsichtig und darauf bedacht sie nicht zu berühren kletterte sie an ihnen vorbei die Treppe hinunter und lief durch die Halle zur Küche, blieb schlitternd stehen, als sie die Magd und die Köchin ebenfalls mit aufgeschlitzten Kehlen und zerissenen Kleidern vorfand. Doch dieses Mal stupste sie sie nichteinmal mehr an, sondern wandte, wie bei den fremden Männern zuvor, schnell den Blick ab und lief zum Arbeitstisch, auf dem sie einen Becher und einen Krug mit Wasser fand, der bereit gestellt worden war, bevor die Männer hierher gekommen waren und alles zerstört hatten. Nach einigen gierigen Schlucken setzte sie den Krug endlich wieder ab und stibitzte noch etwas vom Brot und dem Käse auf der Anrichte, ehe sie die Küche schnell wieder verließ, um nicht länger, wie nötig dort zu verharren.
Kauend und den eisernen, süßen Geruch von Blut noch in der Nase trat sie wenige Augenblicke später auf den Hof und lief einige Schritte auf diesen hinaus, die frische Luft gierig einatmend und das Brot samt Käse in Windeseile essend. Dabei streifte sie ein langer, dunkler Schatten, hielt sie nur einen kurzen Moment von der wärmenden Sonne fern, doch lange genug, dass sie den Kopf hob und erst jetzt das Kreischen der Raben vernahm... Doch der Anblick, der sich nun zuletzt bot, mochte wohl der Schlimmste sein, von alldem, was sie bisher gesehen hatte in den letzten zwei Tagen. Dort hing ein Mann, sie konnte ihn an dem schwarzen Tartar erkennen, denn der Rest erinnerte nicht mehr an ihren Vater. Das aufgequollene, blaue Gesicht, die geschwollene heraushängende Zunge, die leeren Augenhöhlen und der schlaffe Körper, um dessen in der Sonne verwesendes Fleisch sich die kreischenden Raben schlugen. Den Blick starr auf das, was einst ihr Vater gewesen war, wich sie zurück, die Überreste des Brotes vielen auf den Boden, auch das letzte kleine Stückchen Käse, während sie weiter zurückwich. Kein Mucks kam über ihre Lippen, keine Träne rollte die Wange hinunter. Nur der starre Blick und Bilder, die sich für immer in ihren Kopf einbrennen würden und sie fortan verfolgen würden. Schließlich stolperte sie über weiches Fell, verscheuchte im Fall einige Raben und saß, die Beine noch halb in der Luft auf dem Boden neben einem der Hunde, der mit aufgeschlitzter Kehle ebenfalls nichts anderes mehr war, als Futter für die Krähen.
Wie lange es letztendlich gedauert hatte, bis sie den Gutshof vollständig abgesucht hatte, ohne eine lebende Seele anzutreffen, vermochte sie nicht zu sagen. Doch war es dunkel gewesen, als sie schließlich aufgebrochen war, in die Kleider eines der Stallburschen gekleidet und mit einem Dolch bewaffnet, und sich in die umliegenden Wälder geschlagen hatte. Dort hatte sie einige Wochen überlebt. Der Vater war oft mit ihnen in den Wald gegangen und hatte sie gelehrt, dort zu überleben... Erinnerungen, die immer wieder schmerzend aufbrachen und sogleich mit den quälenden Bildern in Verbindung gebracht wurden. Doch während ihres stillen Lebenswandels im Wald hatte sie sich absichtlich immer weiter von ihrem früheren Zuhause entfernt und war schließlich auf einen alten Mann mit einem Ochsenkarren gestoßen, der sie einige Zeit mit sich hatte fahren lassen. Ansonsten war sie zu Fuß gelaufen. Hatte, so gut wie eben möglich, die Städte und Dörfer gemieden, um niemandem zu begegnen. Während dieser Zeit, in der sie durch das Land lief oder hier und da auch mit anderen freundlichen Leuten mitfuhr, hatte sie kein einziges Wort mehr gesprochen. Nicht mehr, seit die Männer in das Haus eingedrungen waren und ihre Familie ausgelöscht hatten. Nach langer Reise, die geschätzt 3 Mondzyklen angedauert hatte, war sie schließlich in einem Wald angelangt, der sich weit weg von ihrem früheren Heim befand. Eine Stadt, deren Namen sie durch Zufall aufgeschnappt hatte, Lichthafen, lag nahe an diesem Wald. Doch hatte sie sich nie näher heran gewagt, als bis zum Waldrand, nur um kurze Zeit später wieder im schattenhaften Dunkel zu verschwinden. Den Menschen aus dem Weg gehend, hatte sie sich entfernt von den Wegen ein kleines Lager errichtet, Fallen aufgestellt, wie es ihr Vater gezeigt hatte, Beeren und Wurzeln gesammelt um zu überleben. Und sie hatte es geschafft... Sie lebte noch. Wenn auch als Einzige ihrer Familie!
Unruhig, wie in jeder Nacht, schlief sie auch in dieser Nacht, während die Bilder sie abermals heimsuchten, wie sie es in jeder Nacht taten und den Schlaf zur Qual machten, nicht zur Ruhe. Vom eigenen Schreien geweckt fuhr sie schließlich auf, spürte Tränen auf der Wange, doch jetzt, wo sie erwacht war, konnte sie nicht mehr weinen und war auch nicht mehr in der Lage zu schreien. Schnell wischte sie die Tränen von den Wangen und rappelte sich vom Waldboden auf und schaute sich um. Nichts... Alles war, wie es immer war und doch, war alles anders. In die Decke, die einer der Fahrer ihr gegeben hatte, eingekuschelt setzte sie sich auf. Schob einen Stein von ihrem Versteck, unter dem sie das Essen aufbewahrte, und nahm sich eine Hand voll mit Beeren, um lustlos darauf herum zu kauen, während die Schrecken des Traumes sie nicht loslassen wollten.
Das laute Klappern von vielen Hufen auf dem gepflasterten Weg, welches durch das geöffnete Fenster zu ihr herein drang, weckte sie einige Stunden später bereits wieder und riss sie aus dem herrlichen Traum, den sie gerade gehabt hatte. Verschlafen schaute sie sich um, ehe sie Männerstimmen hörte, was nachts eigentlich ganz und gar nicht üblich war. >Sucht -..., ich will jeden -...?! Aber macht -..!<
Verzerrt drangen diese Worte an ihre Ohren und sie blickte verwirrt und nun gar nicht mehr verschlafen an die Decke. Was war nur los? Was wollten diese Männer und warum schlugen die Hunde nicht an? Unruhig kaute sie auf der Innenseite ihrer Wange herum, bis sie beschloss, dass das sicher Besuch für den Vater war, denn ganz selten empfing er am späten Abend noch Gäste. Und sicherlich würde sie eine Standpauke zu hören bekommen, wenn sie nun hinaus lief und lauschte, was die Männer zu besprechen hatten. Also rollte sie sich wieder unter der Decke zu einem kleinen Bündel zusammen und schloss die Augen ganz fest. Die Worte der Männer, hatte sie bereits wieder vergessen.
Schreie einer Frau, Männerstimmen und das Klirren von Waffen, die aufeinander schlugen rissen sie geschwind wieder aus dem Dämmerzustand, in den sie gerade verfallen war. Entsetzt sprang sie nun aber doch aus dem Bett. >Mutter?< Rief sie leise ängstlich, als sie bereits im Flur stand und sich hinter das Geländer duckte um nicht von den kämpfenden Männern gesehen zu werden, die wie wild geworden auf Vater einhieben. Was taten sie da? Und warum waren die überhaupt hier? Doch bevor sie noch weiter darüber nachdenken konnte, kam Mutter bereits angelaufen mit losem Haar und im Nachtgewand, was eigentlich gar nicht ihre Art war, um Fremde zu empfangen. Furcht stand in ihrem Gesicht, als sie leise nach ihr rief. >Ayani, komm schnell weg von dort!< Mutter fasste sie bei der Schulter und schob sie kurz darauf in das elterliche Schlafzimmer und zum Wandschrank hin. >Bleib dort, bis ich dich rufe und sei still! Ich werde Haldor holen.< Brav nickte Ayani und kletterte in den Wandschrank dessen Türen aus Holz und geflochtenem Bast bestanden.
Ganz klein kauerte sie sich zusammen und lauschte auf die Stimmen und Geräusche aus dem Flur. Einen lauten Schrei konnte sie vernehmen, als Mutter gerade wieder in den Flur stürzen wollte. Der Schrei ihres Vaters! Sie hatte ihren Vater noch niemals so schreien gehört und genau dies machte die Furcht nur noch größer. Kurz darauf vernahm sie noch einen weiteren Schrei. Haldor! Was war nur los? Was geschah dort und warum sperrte Mutter sie hier im Schrank ein? Ängstlich machte sie sich noch kleiner, drückte die kleine Hand fest auf den Mund, als sie durch das Geflecht sah, wie ihre Mutter bis ins Zimmer hinein zurückwich. Zwei Männer folgten ihr mit Klingen in der Hand, von denen das Blut auf den Boden hinunter tropfte. >Na, was haben wir denn da?< Konnte sie die Stimme von einem der Männer mit wogendem schwarzem ungepflegtem Bart vernehmen, der Mutter auf seltsame Weise anblickte. Hilflos beobachtete sie, wie Mutter weiter zurückwich und die Männer entsetzt anstarrte, als diese über sie herfielen, sie zu Boden stießen und Dinge taten, an die sie sich noch lange erinnern würde, aber die sie jetzt noch nicht verstand. Entsetzt hörte sie Mutters Schreie, das Lachen der Männer, wie sie sich um sie drängten und der Reihe nach über sie herfielen, wie ausgehungerte Wölfe. Irgendwann hatte Mutter nicht einmal mehr geschrien, sondern nur noch da gelegen mit leerem, starrem Blick. Und nachdem der Letzte fertig war, konnte Ayani aus dem Schrank heraus sehen, wie einer der Männer ihr den Hals aufschlitzte, noch einen Moment lang zusah, wie das dunkle Blut aus ihrem Hals einem nicht enden wollenden Strom gleich, floss und das Leben ihrer Mutter mit hinaus riss. >Das müssten alle gewesen sein!< Danach schaute sich der Letzte der Männer noch einmal im Raum um, ehe er sich abwandte und wie die anderen zuvor das Zimmer verließ, ohne das 7 Winter alte Mädchen, das dort zitternd die Hand fest auf den Mund gepresst im Schrank hockte und auf die Stelle starrte, an der die Mutter verblutet war und auch jetzt noch blutete, zu bemerken. Wie viel Zeit verging, bis die Männer schließlich das Haus verließen und sie die Hufe auf dem Hof vernehmen konnte, wusste sie nicht. Starr auf den Leichnam blickend in die leeren Augenhöhlen, die jegliche Wärme und Herzlichkeit verloren hatten. Keine Regung ging mehr durch den jungen Körper und wohl hätte so manches Kind schon längst hysterisch geschrien. Doch kam kein Laut über ihre Lippen, nicht ein einziger.
Es mochten gut zwei Tage vergangen sein, ehe wirklich wieder eine Regung durch das Mädchen ging, das so lange im Schrank versteckt ausgeharrt hatte. Ein wenig hatte sie geschlafen, doch immer wieder waren die Bilder der Mutter aufgetaucht, die Schrei aus dem Haus, das Lachen der Männer, sodass der Schlaf nicht wirklich erholsam gewesen war, ganz im Gegenteil. Doch nun, nachdem sie noch einen Blick auf Mutters leere Augen geworfen hatte und der Bauch vor Hunger schmerzte, der Hals vor Durst ebenso, kletterte sie aus dem Schrank. Reckte die steifgewordenen Glieder und lief auf die Mutter zu. War sie wirklich tot? Leicht rüttelte sie an der Schulter, der geliebten Schulter, die immer da gewesen war, wenn sie oder ihr Bruder Kummer gehabt hatten. Doch nichts, keine Regung. Stattdessen war der Körper steif und kalt. Und Mutter war so unendlich blass. Entsetzt starrte sie noch einen kleinen Moment lang auf die zerfetzten, blutigen Röcke, wandte sich ab und lief in den Flur. Dort angelangt blieb sie jedoch bereits wieder schlitternd stehen... Haldor! Das musste er sein, im Schlafrock lag er da - auf dem Bauch - das Haar, so braun und glatt wie das ihre, wirr vom Kopf abstehend und wäre da nicht der Dolch zwischen seinen Schulterblättern und das Blut gewesen, so hätte sie fast gedacht er schliefe. Doch nach einem leichten Anstupsen stellte sie fest, dass auch er, ebenso wie Mutter, keine Regung mehr zeigte.
Starr hatte sie mit leeren Augen auf den Bruder geschaut bis der Magen sich zu Wort meldete und fordernd nach etwas Essbarem und Wasser knurrte. Schnell wandte sie den Blick von ihrem leblosen Bruder ab und lief die Treppe hinunter. Zwei fremde Männer lagen an deren Ende, schwer verwundet und ebenfalls tot, wie die anderen, die sie gefunden hatte auch. Vorsichtig und darauf bedacht sie nicht zu berühren kletterte sie an ihnen vorbei die Treppe hinunter und lief durch die Halle zur Küche, blieb schlitternd stehen, als sie die Magd und die Köchin ebenfalls mit aufgeschlitzten Kehlen und zerissenen Kleidern vorfand. Doch dieses Mal stupste sie sie nichteinmal mehr an, sondern wandte, wie bei den fremden Männern zuvor, schnell den Blick ab und lief zum Arbeitstisch, auf dem sie einen Becher und einen Krug mit Wasser fand, der bereit gestellt worden war, bevor die Männer hierher gekommen waren und alles zerstört hatten. Nach einigen gierigen Schlucken setzte sie den Krug endlich wieder ab und stibitzte noch etwas vom Brot und dem Käse auf der Anrichte, ehe sie die Küche schnell wieder verließ, um nicht länger, wie nötig dort zu verharren.
Kauend und den eisernen, süßen Geruch von Blut noch in der Nase trat sie wenige Augenblicke später auf den Hof und lief einige Schritte auf diesen hinaus, die frische Luft gierig einatmend und das Brot samt Käse in Windeseile essend. Dabei streifte sie ein langer, dunkler Schatten, hielt sie nur einen kurzen Moment von der wärmenden Sonne fern, doch lange genug, dass sie den Kopf hob und erst jetzt das Kreischen der Raben vernahm... Doch der Anblick, der sich nun zuletzt bot, mochte wohl der Schlimmste sein, von alldem, was sie bisher gesehen hatte in den letzten zwei Tagen. Dort hing ein Mann, sie konnte ihn an dem schwarzen Tartar erkennen, denn der Rest erinnerte nicht mehr an ihren Vater. Das aufgequollene, blaue Gesicht, die geschwollene heraushängende Zunge, die leeren Augenhöhlen und der schlaffe Körper, um dessen in der Sonne verwesendes Fleisch sich die kreischenden Raben schlugen. Den Blick starr auf das, was einst ihr Vater gewesen war, wich sie zurück, die Überreste des Brotes vielen auf den Boden, auch das letzte kleine Stückchen Käse, während sie weiter zurückwich. Kein Mucks kam über ihre Lippen, keine Träne rollte die Wange hinunter. Nur der starre Blick und Bilder, die sich für immer in ihren Kopf einbrennen würden und sie fortan verfolgen würden. Schließlich stolperte sie über weiches Fell, verscheuchte im Fall einige Raben und saß, die Beine noch halb in der Luft auf dem Boden neben einem der Hunde, der mit aufgeschlitzter Kehle ebenfalls nichts anderes mehr war, als Futter für die Krähen.
Wie lange es letztendlich gedauert hatte, bis sie den Gutshof vollständig abgesucht hatte, ohne eine lebende Seele anzutreffen, vermochte sie nicht zu sagen. Doch war es dunkel gewesen, als sie schließlich aufgebrochen war, in die Kleider eines der Stallburschen gekleidet und mit einem Dolch bewaffnet, und sich in die umliegenden Wälder geschlagen hatte. Dort hatte sie einige Wochen überlebt. Der Vater war oft mit ihnen in den Wald gegangen und hatte sie gelehrt, dort zu überleben... Erinnerungen, die immer wieder schmerzend aufbrachen und sogleich mit den quälenden Bildern in Verbindung gebracht wurden. Doch während ihres stillen Lebenswandels im Wald hatte sie sich absichtlich immer weiter von ihrem früheren Zuhause entfernt und war schließlich auf einen alten Mann mit einem Ochsenkarren gestoßen, der sie einige Zeit mit sich hatte fahren lassen. Ansonsten war sie zu Fuß gelaufen. Hatte, so gut wie eben möglich, die Städte und Dörfer gemieden, um niemandem zu begegnen. Während dieser Zeit, in der sie durch das Land lief oder hier und da auch mit anderen freundlichen Leuten mitfuhr, hatte sie kein einziges Wort mehr gesprochen. Nicht mehr, seit die Männer in das Haus eingedrungen waren und ihre Familie ausgelöscht hatten. Nach langer Reise, die geschätzt 3 Mondzyklen angedauert hatte, war sie schließlich in einem Wald angelangt, der sich weit weg von ihrem früheren Heim befand. Eine Stadt, deren Namen sie durch Zufall aufgeschnappt hatte, Lichthafen, lag nahe an diesem Wald. Doch hatte sie sich nie näher heran gewagt, als bis zum Waldrand, nur um kurze Zeit später wieder im schattenhaften Dunkel zu verschwinden. Den Menschen aus dem Weg gehend, hatte sie sich entfernt von den Wegen ein kleines Lager errichtet, Fallen aufgestellt, wie es ihr Vater gezeigt hatte, Beeren und Wurzeln gesammelt um zu überleben. Und sie hatte es geschafft... Sie lebte noch. Wenn auch als Einzige ihrer Familie!
Unruhig, wie in jeder Nacht, schlief sie auch in dieser Nacht, während die Bilder sie abermals heimsuchten, wie sie es in jeder Nacht taten und den Schlaf zur Qual machten, nicht zur Ruhe. Vom eigenen Schreien geweckt fuhr sie schließlich auf, spürte Tränen auf der Wange, doch jetzt, wo sie erwacht war, konnte sie nicht mehr weinen und war auch nicht mehr in der Lage zu schreien. Schnell wischte sie die Tränen von den Wangen und rappelte sich vom Waldboden auf und schaute sich um. Nichts... Alles war, wie es immer war und doch, war alles anders. In die Decke, die einer der Fahrer ihr gegeben hatte, eingekuschelt setzte sie sich auf. Schob einen Stein von ihrem Versteck, unter dem sie das Essen aufbewahrte, und nahm sich eine Hand voll mit Beeren, um lustlos darauf herum zu kauen, während die Schrecken des Traumes sie nicht loslassen wollten.