Eigentlich hatte sie überhaupt keine Zeit dafür, sich mit dem jungen Mädchen, welches erst vor kurzem den Weg in die Hallen der Legion gefunden hatte, zu beschäftigen. Manchmal fragte sie sich sowieso, warum sie sich das antat, ein Menschenkind zu unterrichten. Es lag ihr nicht, sich um andere zu kümmern und ihnen eine Hilfe oder Stütze zu sein. Bisher war sie sich selbst und ihrem Gott am Nächsten gewesen.
Irgendetwas war es dennoch, was sie an dem kleinen Ding faszinierte. Vielleicht war es diese Wissbegier, die sie an sich selbst erinnerte, als sie bei Kazim um eine Aufnahme in seiner Gilde angesucht hatte. Jung und unerfahren war sie gewesen, aber damals bereits mit der festen Überzeugung, Ogrimar zu dienen. Seitdem war viel Zeit vergangen, so kam es ihr zumindest vor. Auch wenn ihr Äußeres noch immer dem einer jungen Frau entsprach, war ihr Innerstes mittlerweile gereift und eng mit dem Glauben und den Lehren an den einzig Wahren verwoben.
Die glänzenden Augen des jungen Kindes waren es, die sie nun doch hin und wieder in ihrem geschäftigen Tun rund um die Geschehnisse an der Stadtmauer inne halten ließen und ihre Aufmerksamkeit ablenkten. Ogrimar hatte sie schließlich geschworen, die Unwissenden zu leiten, sie in den Lehren zu unterweisen und zu ehrfürchtigen Anhängern zu machen, wie sie selbst es auch war.
Mit einem leisen Seufzen nahm sie dem aufgeregten Kind das Pergament aus der Hand. Eines musste sie ihr an dieser Stelle lassen, dafür, dass es ihr völlig an Übung fehlte, waren ihr die fremden Zeichen durchaus gelungen, welche ihr nun ein amüsiertes Schmunzeln auf die Lippen zeichneten. Was für ein Zufall, dass es gerade der sechzehnte Teil der Doktrinen war, dem sie sich so konzentriert gewidmet hatte. Oder war es vielleicht gar kein Zufall und der dunkle Lord, in seiner unendlichen Weisheit, hatte sie geführt?
Sie war schon versucht, einen Diener herbei zu rufen um die schwungvoll „geschriebenen“ Worte Freyas auf die Stadtmauer anbringen zu lassen, nur als kleine Auffrischung für eben jene, die sich so gerne mit den vergangenen Taten schmückten.Doch in diesem Moment stolperte ein weiterer Bote in die Hallen herein. Bei Ogrimar, sie musste endlich dafür sorgen, dass hier nicht ständig die Boten ein und ausgingen, wie es ihnen beliebte. Nun, der Wachschutz musste in Zukunft sowieso aufgestockt werden nach alledem was sich nun zutrug. Zu traurig, dass die Krieger der Gilde sich auf Reisen befanden, sie hätten gewusst, wie der Wachschutz zu unterrichten war. Sie würde sich mit dieser Aufgabe an Nostrada wenden. Ihm würden sie schon gehorchen.
Ihre Stirn legte sich jäh in Falten, als sie das Pergament in die Hand nahm und das Siegel der Familie ál Ád erkannte. Sie war überrascht, dass es offenbar nicht für die Öffentlichkeit gedacht war. Nun, das konnte nur zwei Dinge bedeuten: Entweder sie würden endlich ihren Fehler einsehen und ihren Forderungen ohne weitere sinnlose Diskussionen und Umschweife nachkommen oder es waren weitere leere und ermüdende Drohungen, die fernab der kirchlichen Ohren stattfinden sollten. Was für sie wiederum einem Eingeständnis gleich kam.Vorsichtig strich sie über das Siegel, so als würde es sogleich eine böse Magie entfesseln, sobald sie es brach. Auch wenn sie nur zu gerne wissen wollte, was darin stand, musste sie sich gedulden. Was auch immer die Zeilen mit sich brachten, sie würde es alleine in Erfahrung bringen wollen.
Deshalb wandte sie sich zunächst wieder an Freya.
Ich muss zugeben, dass Du mich überraschenderweise ein wenig beeindruckt hast mit Deiner Arbeit. Du scheinst mir recht fleißig zu sein in Deinen Studien, hm? Sie überlegte, ob sie dem Mädchen ein kurzes aufmunterndes Lächeln zukommen lassen sollte, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder und betrachtete Freya mit strengem Blick.
Das war schon ein recht passabler Anfang. Damit Du Dich nun aber nicht unnötig langweilst und meine Zeit vergeudest und ich auch ganz sicher sein kann, dass Du das, was Du da „abgeschrieben“ hast, auch wirklich verinnerlichst, wirst Du Dich sogleich wieder in das Studierzimmer zurück begeben und diesen Text nochmals abschreiben.
Es ging ihr bei Weitem nicht darum, dass das Mädchen das für sich selbst tat um zu lernen. Vielmehr wollte sie den Text selbst nutzen. Als Freya sie mit großen, doch etwas enttäuschten Augen anblickte und schon mit gesenkten Schultern von dannen ziehen wollte, zeigte sie doch ein wenig Erbarmen. Auch wenn es ihr nicht passte, aber sie hatte sich als Anhängerin des einzig Wahren nun einmal dazu verpflichtet, die Lehren in seinem Sinne weiterzugeben und den Glauben unter denen, die noch nicht durch seine Prüfung gegangen waren, zu stärken und zu mehren.
Solltest Du diese Aufgabe zu meiner Zufriedenheit lösen, werde ich mir den Abend Zeit nehmen und wir werden darüber sprechen, was die Zeilen bedeuten, ja? Sollten bis dahin noch andere Schriften Dein Interesse wecken, lege sie zur Seite. Der Hüter der Schriften dieses Hauses wird sie Dir vorlesen. Wenn Du Fragen dazu hast, wähle diese Weise. Meine Zeit ist begrenzt und ich langweile mich schnell.
Tanuri war neugierig darauf geworden, welche besonderen Schriftstücke ihr das kleine Mädchen noch vorlegen mochte. Ob es wirklich nur ein Zufall gewesen war, dass das Kind gerade diesen Ausschnitt in ihre Finger bekommen hatte? Das würde sich herausstellen. Wenn nicht, hm.. Nun, vorerst wollte sie diesen Gedanken nicht zu Ende spinnen.
Endlich konnte sie nun ihre Aufmerksamkeit dem Pergament zuwenden, welches sie schon ungeduldig in ihrer Hand hielt. Nachdem sie das Siegel gebrochen hatte und die von Barathrum verfassten Zeilen gelesen hatte, zeigte sie ein süffisantes Lächeln.Daran hatte sie nicht geglaubt, dass es so einfach werden würde. Aber nun ja, bei dem Gedanken zuckte sie mit den Schultern, wer weiß, ob er sich nicht doch auf die Doktrinen besinnt hatte und langsam erkannte, dass die Lehren des dunklen Fürsten auf ihrer Seite waren. Was auch immer es war, das ihn zu diesem Schritt bewegte, ihr sollte es nur Recht sein.
Barathrum ál Ád,
sollte das Treffen wirklich so stattfinden, wie Ihr es mir nun vorschlagt, komme ich diesem selbstverständlich nach. Ich erachte es nicht für notwendig, eine Begleitung an meine Seite zu stellen, dieser Vertrauensvorschuss sei Euch an dieser Stelle gewährt. Der einzig Wahre wird ohnehin über Euch richten, wenn sich dies als eine einfallslose Falle erweisen sollte.
Seid Euch dennoch auch gewiss darüber, dass nicht nur ich, von Euch angesprochene, etwaige Konsequenzen zu bedenken habe, sondern das Ergebnis der Zusammenkunft auch Eure Familie treffen kann – ich stehe zu meinen Worten und nach wie vor sind meine angedrohten Handlungen bei einem Nichteinhalten der von mir ausgesprochenen Forderungen aufrecht.
Mir scheint, so haben wir beide etwas, worüber wir die nächsten Tage sinnieren können, nicht wahr?
Gezeichnet,
Tanuri
Schwungvoll und mit vollster innerer Zufriedenheit unterzeichnete sie das Pergament mit ihrem Namen. Bevor sie es versiegelte, ließ sie es sich jedoch nicht nehmen, die von Freya so mühsam abgezeichneten Doktrinen Ogrimars anzuheften. Sobald das Kind eine weitere Kopie angefertigt haben würde, würde sie diese ohne ein weiteres Schreiben Hipo zukommen lassen. Als kleine Erinnerung. Schließlich wollte sie die Lehren ja als aufrechte Dienerin weitergeben und auch anderen Verirrten den Weg zurückweisen.
Bei diesem Gedanken musste sie amüsiert auflachen.