Ihre Gedanken verlieren sich in die Vergangenheit. An ihre Mutter hat sie keinerlei Erinnerung. Die prägenden Gesichter ihrer Kindheit gehörten ihrem Vater sowie den beiden deutlich älteren Brüdern. Und natürlich Kanthos, der alte Haudegen. Sie schmunzelt kurz angesichts der Erinnerung. Eines Tages tauchte er auf dem Anwesen der Eltern auf. Ein Reisender auf der Suche nach Abenteuern. Was sich wohl auch in seinem Äußeren widergespiegelt hat. Doch ihre Mutter hatte stets ein offenes gutes Herz und gab ihm Essen und eine Unterkunft für die Nacht. Der Dank ließ nicht lange auf sich warten. Bereits wenige Tage später, als er Vater auf die Jagd begleitete, rettet er dessen Leben. Von dem Moment an wurde Kanthos quasi adoptiert. Ein Mitglied der Familie. Und als die Mädchen geboren wurden, war es keine Frage wer als ihr Pate auserkoren wurde.
Zwei Jahre später verstarb ihre Mutter am Fieber und Kanthos wurde auf seine verschrobene Art der Mittelpunkt im Leben der Mädchen. Er unterrichtete sie, lehrte sie in allem was wichtig war, hatte stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Mädchen.
Bis ihn eine Nachricht aus seiner Heimat ereilte und er zurück kehren musste. Es war ein tränenreicher Abschied.
Zwei Jahre später verstarb auch der Vater. Die Verletzungen die er beim Sturz von seinem Pferd erlitt, waren zu schwerwiegend.
Ab da war ihr ältester Bruder Altor der Herr über Titel und Anwesen. Ihr zweiter Bruder Briand war schon längst der Garde des Herrschers beigetreten.
Somit konnte Altor schalten und walten wie es ihm beliebte. Und er entwickelte sich zum Tyrannen.
Die einst so aufgeweckten, lebhaften, teilweise recht frechen Mädchen wurden immer stiller, zogen sich zurück und nur der Umstand, das sie einander hatten, ließ sie nicht verzweifeln.
Als die Mädchen das 16 Lebensjahr erreichten, beschloss Altor sie möglichst nutzbringend zu verheiraten. Und die entsprechenden Kandidaten stürzten die Mädchen in namenloses Entsetzen.
Nicht zum ersten mal dachten sie darüber nach, einfach zu verschwinden.
Man mag es Fügung, Glück nennen, oder einfach nur Schicksal, das sie ausgerechnet in jener Zeit ein Pergament von Kanthos aus dem fernen Althea erreichte.
|An Azura, Azula und Azuna, endlich läuft hier alles seinen Gang und es würde mich sehr freuen meinen Patentkindern einmal meine Heimat zu zeigen. Was haltet ihr von einem Besuch auf dem Anwesen meiner Vorfahren und nun auch meinem, bevor der Ernst des Lebens zuschlägt. Am 1. Tag des 3. Monats verlässt ein Schiff den Hafen mit dem Ziel Althea. Auf diesem habe ich vorsorglich Passagen für euch gebucht. Ich erwarte euch Kanthos| | |||
Die Erinnerung lässt sie leise lachen. Wie selbstverständlich er annahm, dass sie natürlich der Einladung folgen würden, als gäbe es keinen Zweifel daran. Das jene genau zum Richtigen Zeitpunkt ankam, hat er unmöglich vorhersehen können. Seit dem Tode des Vaters hatte der Kontakt sich spärlich gestaltet, was beileibe nicht an Ihnen lag, sondern eher den Gebaren Altors geschuldet ist.
Bei Nacht und Nebel hatten sie sich vom Anwesen geschlichen und bereits wenige Stunden später befanden sie sich auf hoher See.
Nun sitzt sie hier und wartet auf ihre Schwestern, die mit dem Gepäck, insoweit man die drei hastig gepackten Beutel als dieses bezeichnen konnte, hinterherkamen. Sie hatte vorgehen sollen und auf den Boten von Kanthos warten, der sie zu seinem Anwesen leiten sollte.
Erneut blickt sie ungeduldig zurück zum Schiff. Wo bleiben sie denn nur?