Immerhin, dass er mit Ninian an einem Tisch sitzen und Zeuge solch offener Worte werden würde, hätte er vor wenigen Wochen nicht für möglich gehalten. Eine Ehrlichkeit, der er dem Familienoberhaupt gegenüber wirklich Respekt zollte. Zwar schwebten noch viele ungeklärte sowie unausgesprochene Dinge im Raum, und der Krieg war längst nicht zu Ende, doch jener Punkt der Erkenntnis hatte einen Grundstein für diese Gespräche gelegt – ein noch fragiles Fundament, auf dem sich allerdings aufbauen ließ. Ein erster Schritt, den Namayah geebnet hatte, auch wenn sie alle wussten, dass ein Kriegsende mehr als Einsicht verlangte. Er forderte Wandel.
Ein Zurück gab es schließlich nicht, für niemanden. Fehler waren gemacht worden. Ein menschlicher Makel, der jedem anhaftete. Diese zu erkennen war ein erster Schritt. Doch durfte man die Bürde der Schuld daraufhin nicht einfach abstreifen. Würde man einfach über jene hinweg zur Tagesordnung übergehen, so wären die Lehren und Erkenntnisse aus diesen Fehlern verloren. Man musste die Last tragen. Die Konsequenzen. Schritt für Schritt. Ein beschwerlicher Pfad, den er nicht nur von anderen forderte, sondern selbst beschritten hatte. Ein Kampf, den er an manchen Tagen noch immer bestreiten musste. Doch er stand noch immer aufrecht und in mancher Hinsicht entschlossener als je zuvor.
Adrian hob eine Braue, während er die Berichte aus dem Kerker zur Hand nahm. Verhandlungen – ein Fortschritt an der einen Front und doch schien mancher, der es direkt vor Augen hatte erleben können, zu verblendet, um zu sehen, was direkt vor ihm lag.
Faszinierend, wie der Gefangene, der seine Haft wie Monate empfand, noch immer mit solcher Inbrunst die Hexe verteidigte, obwohl eine solche Dauer auch bedeuten würde, dass sie sich seit Monaten ebenso nicht ein einziges Mal nach ihm erkundigt hatte. Glaubte er im Hinblick auf sein Zeitempfinden wirklich, er sei für sie von Bedeutung? Wie viel brauchte es, um zu erkennen, dass er womöglich für sie ersetzbar war, ganz gleich, ob man von Tagen oder Monaten sprach, während die Garde selbst sich seither bemühte, ihn zu besuchen und über seine Freiheit zu verhandeln.
Verletzungen, die sie möglicherweise davongetragen hatte? Eine bequeme Ausrede für jemanden, der hinter einer falschen Wahrnehmung an der mit unangebrachter Erhabenheit im Sumpf untergetauchten Frau festhielt, die seither keinen Finger rührte. Wo war -ihre- Antwort auf die Gefangennahme?
Anstatt sich also dem Wert dieser ‚Freundschaft‘ bewusst zu werden, klammerte man sich stattdessen an eine Illusion, obwohl sie ihn nicht nur zurückgelassen, sondern nun offensichtlich auch noch in Gefangenschaft versauern ließ. Eine Frage, die er dem Gast vielleicht stellen sollte? Allerdings schien ihr Einfluss selbst jetzt noch immer mehr Gewicht zu haben als das Wort seiner eigenen Gilde.
Die Garde hatte sie für ihre feige Flucht und das Zurücklassen eines Gildenbruders aus den Hallen verbannt. Wie sehr sie es genossen hatte, ihn benommen in den Staub zu stoßen und triumphierend zu entkommen, war jener Chaya, Gefährtin des Liam, mehr wert, als ihren Gildenbruder zu schützen. Hochmut kommt oft vor dem Fall. Wie viel ihr das Leben Sorags wert war, zeigte sich derzeit in ihrem Handeln, welches man mit einem einzigen Wort umschreiben konnte – Nichts.
Adrian kannte sie nicht. Aber was verriet allein das über einen Menschen? Was sagte es aus, wenn jemand seine eigene Haut wichtiger war als alles andere? Wenn man über Leichen ging, nur um sich später selbst als Opfer oder Held darzustellen?
Oh sie hatte hoffentlich ihren kleinen Sieg genossen, den er nicht einmal abstritt. Im Gegenteil. Er würde sich immer wieder bereitwillig in den Kampf stürzen und im Dreck landen, um das zu schützen und zu verteidigen, woran er glaubte - was er liebte.
Kopfschüttelnd legte Adrian die Berichte beiseite, wobei sein Blick für einen Moment auf dem kleinen Pergament haften blieb, das für ihn zur Erkenntnis geworden war.

Worte, die ein kleines Lächeln wie einen Schatten über seine Züge wandern ließ, als er sich dem Fenster zuwandte. Sie waren vor langer Zeit geschrieben und doch trafen sie im Kern nicht nur das Gestern sondern auch das Heute. Wandel. Er konnte nicht leugnen, dass vieles auch ihn seither verändert hatte.
Mit ungewohnter Sanftheit legten seine blauen Augen sich auf Tanuri und ihre kleine Tochter. Auch er hatte Fehler begangen. Falsche Entscheidungen getroffen, die Ogrimar ihn gnadenlos hatte spüren lassen. Schmerz und Leid. Eine eigene Finsternis, die ihn seither wie ein Schatten begleitete und beinahe verschlungen hätte, wäre sie nicht gewesen. Eine Schuld, die mit nichts aufzuwiegen war, und doch zweifelte er nicht, sondern vertraute und kämpfte, woran er glaubte, um sich dem, was ihm gewährt worden war, gegenüber als würdig zu erweisen.
Ein Rat, den er nur weitergeben konnte - ganz gleich auf welcher Seite man derzeit stand. Ogrimar war weder barmherzig noch kannte er Gnade.
Einsicht und Erkenntnis waren somit der erste Schritt, doch nun hieß es weitergehen.