Und so beliebt es mir, meine Aufmerksamkeit nun dahin zu wenden, wo neues Leben den Boden Altheas berührt hat. Auf recht ungewöhnliche Art und Weise, wohl wahr, jedoch geschah es ganz ohne Tricks oder faule Karten – oder besser Spielfiguren. So ereignete es sich, dass der Wächter der Tore mit dem dunklen Schatten um den Zutritt in das Reich Ogrimars spielte. Auch wenn der Wächter sich vielleicht noch dafür zu verantworten hatte, dass er sich zu seinem alten Laster verführen hatte lassen, geschah alles mit rechten Dingen. Denn es war allein an Ogrimar zu entscheiden, dem Kind den Zutritt in sein Reich zu gewähren. So wurde dem Kind durch den Gott des Chaos in den Flammen seiner Herrschaft die Wiedergeburt gegeben. Er schenkte ihr das Leben, welches vor ihrem ersten Atemzug schon fast verblüht war.
Ein Leben, auf welches er selbst allergrößten Wert legte, wenn man bedachte, aus welchem Schoß das Kind entsprungen war, geschaffen für eine Bestimmung, die vor Jahren aus den Fugen geraten war. Konnte nun alles zurück an seinen Platz gerückt werden?
Wie? Ihr wisst nicht, wovon ich spreche? Nun, die Protagonisten, welcher wir uns nun zuwenden wusste es auch nicht. Lasst uns also lauschen und die Szenerie betreten, kurz nachdem Tanuri die Vergangenheit ihrer Familie offenbart worden war, um nicht jene zu langweilen, die bereits den Erzählungen des Wächters beigewohnt hatten.
Über die Prophezeiung - erzählt von dem Wächter der Tore
Waechter der Tore hat geschrieben: ↑So 21. Feb 2021, 20:12Eine Vergangenheit
„Es kann nicht sein!“
Die körperlose maskuline Stimme breitete sich um sie herum aus. War mal hier, war mal dort. Verflog zu einem leisen Flüstern, nur um dann mit aller Macht wieder in ihre Köpfe zu dringen.
„Wieso haben beide überlebt? Das ist ein Bruch in der Bestimmung meiner Familie. Einer muss sterben, einer überlebt. So ist es seit jeher und so muss es bleiben! Weib, Du hast versagt!“ Ein gellender Schrei brach über sie herein, legte sich qualvoll und erdrückend auf Tanuri und Naheniel, war getränkt von tiefem Schmerz und unsagbarem Leid.
Dann erstarb der Schrei, so wie auch der Körper starb, der ihn von sich gegeben hatte. „Niemand darf es erfahren, diese Schande, die sie über uns brachte. Ich hätte eine andere als Trägerin der neuen Generation wählen sollen.“ Erbost und voller Zorn war die Stimme des Vaters, der soeben seine Frau, ohne zu zögern, in die Abgründe geschickt hatte. Schemenhaft bildeten sich die Bilder in den Köpfen Tanuris und Naheniels. Ein stattlicher Mann mit schwarzen Schwingen, wie er in der Blutlache einer in Stücke zerrissenen Frau stand. Kalt und mit vor Zorn verzerrtem Gesicht. „Eines muss sterben.“ Abermals hob er die Hand, doch dieses Mal um eines der Neugeborenen, die neben dem zerfetzen Leib ihrer Mutter lagen, zu ermorden. Eine weitere Person trat aus den Schatten der Vergangenheit. Gesichtslos, wie so manche aus Erzählungen, die nur noch in den Köpfen weniger verankert waren. Doch nicht minder unwichtig, für das weitere Geschehen. Seine Stimme, nur ein Echo aus einer anderen Zeit. Und jene gab zu bedenken: „Aber woher wollt Ihr wissen, welches das Richtige ist?“
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Eine Vergangenheit, eine Gegenwart und vielleicht eine Zukunft
Denn so ging eine alte Sage und vieles ist seither geschehen. Die Zeit der Elfen und der Zwerge war vorüber. Sie hatten sich selbst von diesem Weltenboden getilgt, als sie dem Kampf zwischen dem Gott des Todes und dem Gott des Lebens nicht gerecht werden konnten und sie ihre Fehlbarkeit mit der Vernichtung ihres eigenen Volkes einbüßen mussten. So blieb den Göttern nichts anderes übrig, als sich an die Menschen zu wenden. Ein noch niederes Volk, gezeichnet durch mannigfaltige Makel. Erst viele Jahrtausende später, sollten sie zu jenem Geschlecht erstarken, wie wir sie heute kennen.
Zu jener Zeit zogen die Götter sich zurück in ihre Reiche, um ihre Heerscharen zu sammeln und zu kräftigen, bis der Tag kommen würde, an dem die Menschen bereit wären auszuziehen, um ihrem Gott die Macht des anderen zu überbringen. Die Bemühungen einiger darum, das Gleichgewicht der Mächte wieder zu erreichen, auf dass alle friedlich leben konnten, würde auch ihnen nicht gelingen. Götter sind wie sie sind. Ob sie nun der Seite des Lichtes, des Schattens oder aus einer völlig anderen Region entspringen: Ihr Durst nach der vollkommenen Macht wird niemals gestillt sein.
Da das Gleichgewicht aus den Fugen geraten und wahrscheinlich unwiederbringlich verloren war, als die Götter beschlossen, gegeneinander aufzubegehren und ganze Völker ihren Tod fanden, stellt sich nun die berechtigtet Frage: Was wird geschehen, wenn die Götter ohne einander existieren? Gäbe es eine Nacht ohne Tag? Ein Leben ohne Tod?
Und aus dem Gefüge der Begebenheiten heraus, entstand die schicksalhafte Prophezeiung, die der Welt ein endgültiges Gesicht geben würde, sobald sie sich zu erfüllen bereit war. Viele Male wurde sie weitergetragen und natürlich zum Vorteil des jeweilig anderen Glaubens verfälscht. Doch die Fassung, die selbst die Götter nicht leugnen können, verkündet in seiner ursprünglichsten Form:
Vor allen Urkräften und vor den Engelwesen,Eine Prophezeiung, die gedeutet werden kann im Sinne des Lebens und im Sinne der Todes. Jedoch, wer wird ihn bekommen, den Schlüssel, der dazu fähig ist, diese Tore zu öffnen, aus welchem der Gott treten wird, der die Entscheidung über die Welt, auf der ihr euch alle bewegt, bringen wird?
bevor Meer und Himmel und auch die feste Erde entstand,
da waren die Götter schon immer gegenwärtig.
Sie, die keinen Anfang kennen und die die Vergänglichkeit nicht berührt.
Der Eine, der uns alle beherrschen und die Frevler in den Abgrund ziehen wird.
Der Andere, der die Kraft gibt, das Schlechte und das Böse zurückzuweisen.
Drei sollen es sein, denn nach Dreien wird gerufen:
Ein Nachkomme des Feuers wird kämpfen für das ewige Leben,
soll helfen der Weissagung durch der Macht Gewalt.
Die Dunkelheit wird sie begleiten. Weisen des Lichtes Weg.
Aber nur durch das Licht und das Feuer, wird erst der wahre Meister auferstehen.
Und erst dann, wenn des Schlüssels Blut, die Erde berührt,
werden entbrennen die Berge, kein Baum bleibt auf Erden bestehen.
Wenn die Flüsse vertrocknen und das Moor sich selbst verschlingt,
dann wird der Himmel in Flammen sich auflösen.
Und so scheint nicht ein einziger Stern, und nicht die Sonne,
es leuchtet weder der Mond, noch die glänzende See.
Dann wird sich entscheiden, ob aus dem Wasser die Erde wieder ergrünen wird,
oder ob das Chaos entbrennt und sich aus diesem die ewige Dunkelheit gebiert.
Denn dann, wenn das laute Horn erschallt,
wird der hohe Richter sich aufmachen,
um sein Urteil zu fällen, über die Toten und Lebenden.
Mit ihm erhebt sich sein Heer, das Heer des Meisters,
und niemand wird ihm noch widerstehen können.
Die Götter wussten um die Prophezeiung und so war es ihr tunlichstes Ansinnen, sie für sich zu entscheiden. Aber es würde noch lange dauern, bis der Schlüssel bereit war, diese Welt zu betreten. Um vorbereitet und geschützt zu sein bis zu jenen Tag, erwählten sie jeweils einen aus dem Geschlecht der Menschen und erlegten ihm die Bürde auf, die Prophezeiung mit sich zu tragen und ihr Reich zu schützen. Aber nicht nur das, es lag in ihrer Verantwortung, den Schlüssel an sich zu bringen. Stark musste derjenige sein, tief im Glauben und fern des Zweifels. Weitab von der menschlichen Unstetigkeit, sollten sie ihr Leben einzig und allein ihrer Bestimmung widmen.
Ogrimar, der grausamste aller Götter, überlegte sich eine List. Und so erwählte er den ersten Mann unter seinen Jüngern, der seinen Samen weitergeben sollte, um der nächsten Generation der Beschützer seiner Deutung der Prophezeiung das Leben einzuhauchen.
Erschaffe das erste Leben von vielen. Du bildest den Anfang.Ein Mensch allein jedoch, konnte seine Ansprüche nicht erfüllen. Hatte sich jenes Volk bisher doch zu häufig als zu schwach und zu wankelmütig in ihrem Geist erwiesen. Aber Zweien wollte er auch sein Vertrauen, ob dieser komplexen Aufgabe, nicht geben, denn Neid und Missgunst wohnten seit Anbeginn ihres Lebens in den Geistern der Menschen.
Sei mein Schutz, sei meine Vorsicht. Sei der Bote MEINER Prophezeiung.
Doch was, wenn er Zwei zu Einem vereinen würde? Ein gar grausames Unterfangen, doch schließlich ging es um sein eigenes Fortbestehen. Und so trug jede Frau der neuen Generation an Boten, Zwillinge in sich, ganz gleich ob sie selbst die Erwählte war oder nur durch den Mann dazu erkoren wurde. Aber nur eines der Kinder würde die Geburt überleben, auf das die Macht des Sterbenden auf ihn übergehen sollte. So verschmolz ein Geist sich mit dem anderen, zwei Mächte konnten sich vereinen und genug erstarken, um den Schutz Ogrimars aufrecht zu erhalten, bis der Schlüssel die Welt betreten und die Entscheidung darüber bringen sollte, ob die Dunkelheit über das Land fällt oder das strahlende Licht sich über sie legt.
Keine der Mütter weinte, denn sie wusste um die Bedeutung ihres zum Tode bestimmten Kindes. Voller Stolz trugen sie die toten Kinder zu Grabe, mit dem Wissen, dass das Lebende die Bestimmung ihres Gottes weitertrug. Bis es zu einem Bruch eines jahrhundertelangen Erbes kam.
War es nur eine Laune der Natur? Ein unentschuldbares Versehen? Oder sollte es gar etwas völlig anderes bedeuten? Einen unvorhersehbaren Wandel der Dinge herbeiführen?
„Zwei sollten zu Einem vereint werden, Eines sollte sterben. Doch beide haben überlebt. Das hätte nicht geschehen sollen.“
Wer er war, der die Priesterin, die vom Felsendom zurück in ihre Gemächer gebracht worden war, aufgesucht hatte und nun zu ihr sprach? Einmal sind wir ihm bereits begegnet. Dem aufmerksamen Zuhörer mag eine gewisse Ähnlichkeit zu einer jener Stimmen auffallen, die Tanuri und Naheniel in ihrer gemeinsamen Vision über die Vergangenheit begegnet war.
„Tunlichst wurde versucht, die Verfehlung wieder gut zu machen. Neue Kinder zu zeugen mit der Hoffnung, dass eines sterben würde. Oft genug erbarmungslos, von Zorn getrieben, nahm sich dein Vater die Frauen, ohne jegliche Rücksicht darauf, ob sie es wollten oder nicht. Doch sein Vorhaben gelang nicht. Wie sollte es auch? Den Hütern der Prophezeiung ist es nicht bestimmt, tausende von kleinen schreienden Bälgern in die Welt zu setzen und mit einer großen Schar an Kindern und Kindeskindern alt zu werden.“ Bevor der Besucher weitersprach, hob er einen seiner knöchernen Zeigefinger nach oben. „Nur ein einziges Mal ist es ihnen gestattet, ihre Linie fortzuführen.
Hatte er also versagt, dein Vater? Ausgerechnet er, der Ogrimar stets ein solch treuer Diener gewesen war, sollte seine größte Enttäuschung darstellen? Welch eine Schande, die er über seine Familie brachte. Ein jahrhundertelanges Erbe beschmutzt mit seiner Unfähigkeit. Er konnte der Mutter die Schuld geben, doch tief in sich drin, kannte er die Wahrheit. Und jene fraß sich wie ein eiterndes Geschwür immer tiefer hinein in seinen Geist.“ Er gönnte sich nur eine kurze Pause in seiner Erzählung. Viel Zeit blieb ihm ohnehin nicht mehr. Lange genug war er auf dieser Welt gewandelt, längst dafür gedacht gewesen, sie wieder zu verlassen. Doch er hatte warten müssen, bis die Zeit gekommen war, Tanuri zu offenbaren, wohin ihr Weg sie führte.
„Dein Vater, er fiel des Wahnsinns anheim. Schien er doch an der Aufgabe gescheitert zu sein, die der einzig Wahre ihm aufgetragen hatte. Sein Scheitern zerfraß ihn innerlich. Versagt hatte er vor Ogrimar, seinen Willen nicht erfüllt. Was für ein Untertan des dunklen Fürsten des Chaos war er, wenn er es nicht einmal schaffte, seiner Verpflichtung nachzukommen und den nächsten Bewahrer der Prophezeiung und somit den Behüter zur Sicherung von Ogrimars Göttergeschlecht zu erschaffen?
Voll der Scham brach seine Seele entzwei. Und so blieb mir die Aufgabe, jenes seiner Kinder ausfindig zu machen, welches einst dafür gedacht gewesen war, zu überleben. Es musste einen Hinweis darauf geben, welcher von euch der Richtige war.“
Sein Gesicht mochte von einer weiten Kapuze verhüllt sein, doch die Geringschätzung mit derer er sein Gegenüber bedachte, sollte deutlich zu spüren sein. „Ehrlich gesagt, ich hätte nicht gedacht, dass du es bist, den er als den Schutz und als Boten seiner Prophezeiung auserwählt hat. Du wirktest so schwach, so fehlerhaft. Als Kind unscheinbar und deplatziert auf dieser Welt. Ganz und gar wie deine leibliche Mutter es war. Deshalb war es deines Vaters erstes Ansinnen, dich zu töten und deinem Bruder das Leben zu geben. Seinen Fehler zu korrigieren. Aber, wir sind nur aus Fleisch und Blut, weit entfernt von göttlicher Macht. Und so nah wir dem schwarzen Fürsten auch stehen mögen, dürfen wir uns nicht erdreisten, seine Entscheidungen anzuzweifeln oder in sie nach unserem Gutdünken zu verändern.“
Unergründlich waren sie, die Entscheidungen die von den Göttern getroffen wurden. Und selbst wenn man versuchen würde, sie zu verstehen, würde man daran elendig zu Grunde gehen. Denn niemand konnte die Weitsicht und die Weisheit besitzen, die den Göttern allein gegeben worden war.
„Zugegeben, so manches mal packte selbst mich der Zweifel. Nicht über die Entscheidung unseres dunklen Herrn, oh nein. Vielmehr befürchtete ich, dass die Waage sich zu Gunsten des unsäglichen Gottes des Lebens und Frohsinns ausgerichtet hatte und es deshalb dazu kam, dass keiner von euch beiden für den anderen sein Leben gab.
Über Jahre hinweg geschah nichts. Eine Tatsache, die nicht weiter verwunderlich war, denn was sind die Jahre eines Lebens schon für die Götter? Nicht mehr wie ein Wimpernschlag. Mir blieb nichts außer abzuwarten und zu hoffen, dass meine Befürchtungen sich nicht bewahrheiten würden.
Und dann kam er, der Tag an dem die Prophezeiung dich fand und alles begann sich zu einem Bild zusammenzufügen. Dein Vater, er lag falsch. Eure Geburt, die Naheniels und von dir war keine Irritation, kein unachtsamer Fehler. Es war der Beginn der Prophezeiung. Seit jenem Tag, an dem dein Schützling auf deinen Bruder traf, schreitet sie unaufhaltsam voran. Du wirst ihn nicht von ihr fernhalten können, denn es ist ihm bestimmt bei ihr zu sein. Auf ewig verwoben, durch das, was ihm auferlegt ist. Denn er ist einer von den Dreien, nach denen gerufen wurde. Er ist die Dunkelheit, die das Licht führen und begleiten wird.“
Der Besucher hielt in seiner Erzählung inne, neigte den Kopf etwas zur Seite und beobachtete Tanuri, die bisher nur stumm gelauscht hatte. „Aber das wusstest du bereits, nicht?“ Einige stille Momente verstrichen, bevor er mit einer knappen Geste seiner Hand die Stille durchbrach und weitersprach. „Zumindest dumm bist du nicht.“ Auch wenn er sein Gesicht nicht zeigte, man konnte das überhebliche Lächeln in seinem Tonfall merklich heraushören.
„Gehe ich also recht in der Annahme, dass du auch über den Nachkommen des Feuers weißt? Jene, die bekannt werden wird, als die neue Herrscherin über die Elemente und durch die Gewalt dieser Macht bereit sein wird, für das ewige Leben des dunklen Fürsten zu kämpfen?“ Eine Antwort ihrerseits wartete er gar nicht erst ab, da er sie bereits kannte.
„Ein Rätsel hingegen war mir, weshalb auch du wieder Kinder in dir trugst. Der Schlüssel ist gefunden und die Prophezeiung nimmt nun den Verlauf, welcher Ogrimar den Weg in das vernichtende Chaos eröffnen wird. Sie wären also völlig ohne Nutzen und Zweck, diese Kinder. Ein unnötiger Ballast, oder gar viel schlimmer noch, würden sie dich angreifbar und verletzlich machen. Denn so seid ihr Mütter, nicht wahr? Gesteuert von der kranken und überflüssigen Liebe zu euren Kindern. Warum also?“
Einige Atemzüge verstrichen, in denen die Gestalt schwieg. Wusste er die Antwort tatsächlich nicht oder wollte er Tanuri die Möglichkeit geben, selbst darauf zu kommen.
Aber wie bereits erwähnt, seine Zeit würde nur noch kurz währen und so beschloss er, fortzufahren. „Erst mit der Verlautbarung der Geburt deiner Tochter über die Ländereien Altheas hinweg, fügte sich das letzte fehlende Puzzleteil in das Bild hinein und zeigte mir, was ich nicht gesehen hatte. Anders als es deiner Familie bisher vorherbestimmt war, galt es nun nicht mehr, dass eines der Kinder sterben würde. Es zählte nur, dass eines überlebt. Ein Kind der Elemente, geboren in den lodernden Flammen aus Ogrimars Unterwelt. Sie ist die Dritte, nach derer gerufen wurde. Sie ist das Feuer, welches an der Seite des Schlüssels Licht sein wird. Denn nur gemeinsam wird es gelingen, die Macht des Meisters zu erwecken.
Doch ist es nicht an Dir, sie über das zu lehren, was ihr innewohnt. Ein Phönix, ungezähmt und voll der Gier zu brennen, kann nur gezügelt und unterwiesen werden von einer ihres eigenen Blutes: Ihrer Schwester, dem Nachkommen des Feuers, der einzig wahren Erbin des Hauses derer van Darc.
Alles fügt sich ineinander und es zeigt sich, dass alles so geschehen musste. Jede Begegnung hat nun ihren Sinn erfüllt und nun ist es an den Dreien, den Schlüssel mit dem Tor zusammenzuführen.“ Alles war gesagt worden, was gesagt werden musste. Sollte etwas im Dunklen geblieben sein, würde es irgendwann ins Licht rücken, dessen war er sich sicher. Doch dies läge dann nicht mehr in seinen Händen. Das was er einst begonnen, war nun zu einem Abschluss gekommen.
„Meine lange Suche hat nun ein Ende und damit auch mein Leben. Eines Tages wird auch dein Leben zu Ende sein. Bis dahin ist es allerdings an dir, dich schützend vor die Prophezeiung zu stellen. Denn auch wenn sie ihren Anfang genommen hat, ist nichts entschieden. Die Tore zur Macht sind noch fest verschlossen. Der Schlüssel hat seinen Weg zu dir gefunden, doch wer vermag schon zu sagen, ob es der einzige ist?“ Lautlos trat er einige Schritte auf Tanuri zu, betrachtete sie für einen schweigsamen Moment. Vielleicht überdachte er das, was noch ausgesprochen und getan werden musste für ein letztes Mal. Nein, die Zeit des Zweifelns musste nun vorüber sein. Jeder hatte seinen angedachten Platz gefunden und eingenommen. Die Zeit des Chaos, der Vernichtung und des Untergangs war gekommen.
„Füge dich nun dem, was dir bestimmt. Trage den Namen deiner Familie und führe fort, was vor langer Zeit begonnen wurde.“ Mit jenen Worten griff er nach Tanuris Handgelenk und zog dieses an sich heran. „Als Hüterin und als Botin seiner Prophezeiung bist du verantwortlich für die Wahrung seines Göttergeschlechtes." Seine freie Hand schob den weiten Ärmel seines Mantels nach oben um eine in sich verschlungene Zeichnung freizugeben, die in jenem Moment, als seine Haut die ihrige berührte, mit Leben erfüllt wurde. Sie begann sich von seinem Arm zu lösen und einer Schlange gleich den Weg zu Tanuris Unterarm hinüber zu suchen. "Nimm es an, dein Schicksal und stelle dich ihm, Tanuri var Aesir.“
Wie glühendes Eisen brannte sich jene Zeichnung bei ihr ein, wand sich um ihren Arm bis hinauf zu ihrer Schulter um dann, an ihrem Schulterblatt, ein Ende zu finden. Immer wieder war sie durchzogen mit feingliedrigen, kleinen Symbolen. Symbole die von dem erzählen sollten, was der Sinn ihres Daseins war und die sie von nun an daran erinnern würde, woher sie entstammte.
Immer noch hielt er ihr Handgelenk fest, nutzte nun aber die andere Hand dafür, um die die tief über das Gesicht gezogene Kapuze zurückzuschieben und das preis zu geben, was er bisher vor ihr verborgen gehalten hatte. Abweisend, hart und ohne jegliche Wärme war das, was sie in seinen Augen sehen sollte. Sie sah in ein Antlitz, welches gezeichnet war von jahrelangen Selbstzweifeln, die er mit sich getragen hatte. Von Alter, von Gram und vielleicht auch von der Last einer ihm auferlegten Bürde, die er sich jedoch nicht eingestehen würde. Nie zuvor hatte sie in sein Gesicht geblickt und doch erkannte sie sofort das Ebenbild ihres Bruders und ihrer selbst in jenem wieder.
„Ich bereue nichts. Ich bereue nicht, deine Mutter getötet zu haben. Ich bereue nicht, dass ich dich töten wollte und ich bereue nicht, dass ich euch nicht liebe. Ich fühle nichts, denn dafür sind wir nicht geschaffen, dafür sind wir nicht erdacht.
Denke immer daran, wer du bist und weshalb du geschaffen wurdest. Lasse dich nicht verführen, von den süßen Zungen der Gefühle und den lügnerischen Worten der Zuneigung. Ehre das Blut unserer Vorfahren, ehre die Bestimmung unserer Familie.“
Erst jetzt befreite er sie aus seinem Griff und entfernte sich zwei Schritte von ihr. Ein letztes Mal musterte er sie, sie als das was er auf dieser Erde hinterließ. Die Trägerin seines Namens, sein Erbe.
„Die letzten Figuren, sie sind gesetzt. Der erste Zug im Spiel der Götter kann gezogen werden.“
Ohne eine Regung in seinem Gesicht zu zeigen, verneigte er sich vor ihr und zerfiel in jener Bewegung zu dunklem Nebel. Zurück blieb nur sein Umhang, der lautlos zu Boden fiel.