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Gesichtsloser Erzaehler
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Beiträge: 107
Registriert: Do 22. Jul 2021, 21:49

#1026

Beitrag: # 54422Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Das Abendessen wurde verzehrt. Wer nicht schnell genug war, bekam zu wenig. Die Gräfin mochte es nicht, zu warten. Denn das war eine unerträgliche Verschwendung von Zeit und Zeit war von unschätzbarem Wert. Sie hatte nichts zu verschenken, nicht einmal Geduld. Auch wenn es wichtig war, dass sie alle aßen und nicht dürr wie morsche Äste wurden. Die Dürren waren nicht begehrt. Sie wirkten kränklich und blass. Als müsste man sie zuerst aufpäppeln, nachdem man sie kaufte. Niemand wollte zuerst seine Ware ansehnlich machen und formen müssen, sondern sofort das Beste in den Händen halten. 

Deshalb achtete die Gräfin auf regelmäßige und nahrhafte Mahlzeiten. Einwandfreie Manieren waren aber unerlässlich. Manieren manifestierten sich auch in Effizienz. Wer wollte es sich schon noch leisten zu warten. Warten bedeutete Stillstand und Stillstand war nicht hinnehmbar. 

Es missfiel der Gräfin, Freya dabei zu beobachten, wie sie von dem Fleisch und den Kartoffeln nur wenig aß. War es etwa Undankbarkeit? Ihr scharfer Blick blieb aufmerksam auf dem Mädchen haften. Wie enttäuschend, wenn Freya das Geschenk, das die Gräfin ihr bot, nicht schätzte. Schließlich stand ihr schon bald die ganze Welt offen. Wenn sie erst den Wandel von einem bisher noch glanzlosen und unansehnlichen Stein hin zu einer geschliffenen Kostbarkeit vollzogen hatte. 

Unerwartet erhob sich die Gräfin. Sofort hielten alle Anwesenden inne, legten das Besteck beiseite und ihre Hände auf den Tisch. Passte man genau auf, merkte man, dass ihre Atemzüge im gleichen Takt gingen. Für Außenstehende musste das gespenstisch wirken, für die, die lange da waren, gehörte es zu ihrem Leben. 
Alles gleich, Tag um Tag, Nacht für Nacht. Stunde um Stunde. Jahr für Jahr. Gehorsam war nicht nur Strafe, es war eine Einstellung. Und besaßen des Gräfins Perlen die richtige Einstellung, konnte ihr Wert unermesslich sein. 

Sie ergriff ihren Stock, entriss ihn dem Mädchen aber nicht. Mit erhabener Haltung, durchgestrecktem Rücken und gerecktem Kopf trat sie an den Kindern vorbei. Immer wieder prüften ihre Augen unter dem gewobenen Schleier die Handrücken der Sitzenden. Sie bemerkte, dass sich nicht jedes Besteck in korrekter Lage befand. Es blieb aber ungerügt, da ihr hauptsächliches Interesse Freya galt. Natürlich wussten sie aber, dass sie beobachtet wurden. Das waren sie immer. Wenn nicht von ihr, waren es andere. Nie konnte man sich sicher darüber sein, wessen Augen auf einem lagen. Weshalb man gut beraten war, gar nicht erst den Versuch zu wagen, abzuweichen. Nichts entging ihr, nichts blieb vor ihr versteckt. Wäre es anders, würde schon bald Nachlässigkeit zur Tagesordnung werden. Schlamperei war schwer auszumerzen, das wusste sie zu gut. Daher ließ sie diese gar nicht erst aufkommen. 

Auf der Höhe von Freya bleibt sie stehen. Ihre Aura war distanziert und undurchsichtig. Völlig anders jedoch ihre Stimmlage, die einen derben Kontrast bildete. Der Klang war schmeichelnd und besorgt. "Schmeckt dir das Essen nicht?" Ein Atemzug verstreicht,  und ein nächster. Ein leichtes Zucken war auf der weiß gepuderten Wange zu erkennen. Ein Lächeln war es aber nicht. Um Freyas Teller genauer zu inspizieren, beugte sie sich leicht nach vorn. Kaum angerührt lag dort das Essen und wurde langsam kälter. "Anscheinend gibt es ein grundlegendes Missverständnis über Wertschätzung und das Befolgen einiger simpler Regeln." Sie legt eine auf den Kindern schwer lastende Pause ein und lässt die Worte vorerst in der Stille des Raums hängen. "Das offenbart eine besorgniserregende Unaufmerksamkeit für die Details, die ab jetzt für dein Leben unerlässlich sind." Ihr Kopf neigte sich zur Seite, ihr Ausdruck bleibt blieb aber unverändert. "Habe ich etwa zu viel erwartet?" Abrupt wendet sie sich ab und gibt Freya keine Zeit zu antworten. Es war auch besser so, da es in diesem Fall keine richtige Antwort geben sollte. 
 
"Das Mahl ist beendet." 

Unnötig zu erwähnen, dass dies für alle galt. Weder Gabeln noch Messer durften nochmals angehoben werden. Gleich, ob die Teller bereits zur Hälfte geleert waren oder gerade begonnen. Die Gräfin verließ den Speisesaal. Sie lächelte nicht. 







Jetzt fielen die Blicke zum ersten Mal auf Freya. Bohrend, vorwurfsvoll, nach einer Schuldigen suchend. Das Tagwerk war anstrengend gewesen. Obwohl die Herrin darauf achtete, dass die Kinder gesund blieben, gab es keine Mahlzeit zwischen Mittag und Abend. 
Pausen machten träge und faul und durchbrachen die strenge Routine. 

Bedienstete eilten herbei, wie aus dem Nichts. Flink griffen sie nach den Tellen und dem Besteck, während einige Augen sehnsüchtig den verschwundenen Mahlzeiten folgten. Der Hunger war noch nicht gestillt. Sie waren schließlich alle Heranwachsende. Suppe allein füllte eben keine Bäuche. Ebenso wenig wie ein paar Bissen einer Hauptmahlzeit. Aber was half es schon? Über die Anweisung der Gräfin stellte sich niemand. Nicht einmal der Hunger. 

Keiner erhob sich, bis die Tische abgeräumt waren. Auch die Kragenschwestern und -brüder lernten, wie ein Tisch zu decken und aufzuräumen war. Das gehörte zu einer umfassenden Ausbildung und wurde hoch geschätzt. Nicht alle würden in ihren neuen Haushalten den einfachen Dienst verrichten. Es gehörte aber zur Vollkommenheit ihrer Ausbildung dazu. Alles, was sie lernten, konnte irgendwann dienlich sein. Das wusste die Gräfin. Und alles, was tauglich war und einen guten Eindruck hinterließ, war ihr von Vorteil. 




 
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Die Teller mit der warmen Mahlzeit waren fort und sie erhoben sich. Milla stand mit wenigen Schritten bei Freya, berührte sie jedoch nicht. Weder aufmunternd, noch mahnend. "Komm." Sagte sie nur knapp. Ob sie selbst verärgert war? Das konnte Freya nicht deuten, dazu kannte sie die Kragenschwester zu wenig. 
Mit schnellen, aber gemäßigten Schritten eilte Milla durch die Gänge. Freya musste sich sputen, um nicht verloren zu gehen. 
Einmal ging es in eine Richtung, dann wieder in die andere. Bestimmt war es für das Mädchen schwer, sich das einzuprägen. Alleine würde sie den Speisesaal wohl nicht mehr finden in dieser unübersichtlichen Residenz. Ob Milla aber morgen wieder an ihrer Seite war, konnte Freya nicht wissen. 

Es ging Treppen hinauf. Zuerst eine breite, dann eine schmalere. Ein langer Flur reihte türe an Türe, kleine Zimmer mit höchstens drei Betten. In eines davon leitete Milla ihre neue Kragenschwester und Zimmernachbarin. Wie lange sie gemeinsam in einem Zimmer blieben, war nicht abzusehen. Der Willen der Gräfin war unberechenbar. Wenn Freya schnell lernte, gehorsam zeigte und ihre Rolle akzeptierte, konnte es gut sein, dass sie in das Angebot der nächsten Auktion aufgenommen wurde. Diese stand unmittelbar bevor. Alle wussten das. Manche sahen darin eine Erlösung. Wieder andere fürchteten das Unbekannte noch mehr, als das Leben in der Residenz. 

Milla schloss die Türe hinter sich, lehnte ihren Rücken gegen die Tür und atmete einmal tief aus. "Sie war nicht zufrieden." Flüsterte sie leise, als hätten die Wände große Ohren, die nur darauf warteten, etwas aufzuschnappen. "Morgen musst du es besser machen." 






 
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Adrian
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#1027

Beitrag: # 54425Beitrag Adrian »

Neuigkeiten über Freyas Verbleib beschäftigten Adrian ebenfalls. Liadan hatte sich während ihrer kurzen Unterhaltung bedeckt gehalten, bevor Asche das Gespräch abrupt unterbrochen hatte. Die Krähe war ihm auch jetzt gefolgt und saß wie ein Schatten am Fensterbrett, während die Dunkelheit derer sich wie eine Aura selbst um den Magier sammelte.

Alles, was der Dunkelmagier sicher wusste, war, dass die Adeptin sich an dem Ort befand, den er von Anfang an vermutet hatte. Diese Erkenntnis bot jedoch nur eine begrenzte, sogar trügerische Sicherheit. Dennoch ging Adrian davon aus, dass das Mädchen sich vorerst an einem sicheren Ort befand. Wäre dies nicht der Fall oder Gefahr in Verzug, hätte Liadan nicht lange gezögert, sondern ihm unmittelbar darüber informiert.

Adrians Blick glitt langsam über Kenna und musterte sie von Kopf bis Fuß. Ein kühler Glanz legte sich auf seine Augen. Ob überrascht oder verwundert, war nicht leicht zu sagen, doch war das Aufblitzen in deren dunklem Zentrum unverkennbar.

Das kurz geschnittene schwarze Haar umrahmte Kennas Gesicht auf eine Weise, die sie älter wirken ließ. Der Kontrast zwischen ihrer sonst so vertrauten Lederrüstung und dem weiten Kleid, das sie nun trug, ließ eine Spur von Ungläubigkeit in seinen Zügen erkennen. Diese deutliche Veränderung ihrer Erscheinung zog seine volle Aufmerksamkeit auf sich, bevor er ihren humpelnden Gang bemerkte.

"Mir geht es gut " Auch wenn seine Stimme von einer ruhigen Beherrschung geprägt war, war die tiefe Ernsthaftigkeit die in jener mitschwingen sollte, nicht zu leugnen. 

Zuletzt hatte er die Jägerin in Freyas Zimmer gesehen, wo sie nach Hinweisen zu ihrem Verschwinden gesucht hatten. Ein Aufeinandertreffen voller Uneinigkeit, die sie alle auf verschiedene Wege geführt hatte. Wege, die in seinen Augen Zeitverschwendung gewesen waren, doch hatte sich weder die Priesterin noch Kenna in irgendeiner Weise belehren lassen wollen. Die Jägerin hatte sich dazu entschieden, das Zentrum der Ungläubigen in Augenschein zu nehmen. Ein Gegner, von dem er ausgegangen war, dass sie um die Gefahren wusste.

War dies nun jedoch das Resultat von Kennas gewähltem Pfad?  Der eisige Ausdruck in seinen hellblauen Augen wandelte sich schnell zu einer Mischung aus Verwunderung und Besorgnis, ehe er im ruhigen Tonfall seinen Satz vollendete. Eine beherrschte Stimmlage, in dessen Timbre jedoch kein Vorwurf, sondern vielmehr eine Frage verborgen lag, während das Dunkel seiner Augen für einige Atemzüge intensiv nach ihrem Blick greifen sollte, als würde er die Antwort darin unmittelbar finden können. „Im Gegensatz zu dir.“

Wäre die Jägerin zu ihm gekommen oder nur ein Stundenglas früher eingetroffen und hätte der Legion oder ihm davon berichtet, hätte er Etoh ohne Zögern in seinem eigenen Haus, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, spüren lassen, wie es sich anfühlt, um den Tod zu winseln.Mit dem Wissen, dass dieser unstete Bastard, der seine zarten Hände in Unschuld und Weihwasser badete, nur um mit überheblicher Selbstüberschätzung dermaßen sein Glück herauszufordern und ihn einen Kriegstreiber genannt hatte, wäre er keineswegs einen diplomatischen Weg gegangen. Doch das Schicksal hatte dem Pater somit eine Chance gegeben, so vergeblich diese auch sein mochte. Allerdings - noch wusste Adrian nichts.

Nach außen hin gelassen lehnte Adrian sich an die Tischkante. Eine Fassade, die über jene Dunkelheit hinwegtäuschen sollte, die in seinen Gedanken tobte und die Atmosphäre um ihn herum selbst immer weiter zu verfinstern schien.

Mit einem tiefen Atemzug ließ er seinen Blick über die Flammen des Kamins schweifen. Das Ergebnis der eigentlichen Suche zeigte ihm schlichtweg deutlich, dass er sich von Anfang an besser allein hätte stellen sollen. Nicht nur, dass sie alle einem Phantom nachgejagt waren – Kenna war scheinbar verletzt worden und Tanuri verschwunden. Er hätte sie beide nicht gehen lassen dürfen. Die Konsequenzen, die sich daraus immer wieder entwickelten, wurden stetig unberechenbarer.

Noch immer hielt Adrian das Glas Whiskey in der Hand, während sich auf seine sonst so beherrschten Züge düstere Schatten legten und sein Kiefer sich fest zusammenpresste. Das Feuer spiegelte sich in seinen Augen wider, als es würde hinter dem dunklen Schleier der Schatten seiner vermeintlichen Ruhe das finstere Inferno seiner Gedanken offenbaren wollen. Jeder Schritt schien das Chaos zu vergrößern, und mit jeder Tat wurde es nicht nur unüberschaubarer, sondern trieb ihn von seiner eigenen Aufgabe fort.

Schweigend hob Adrian das Glas an die Lippen und nahm einen langsamen Schluck von dem goldenen Getränk. Das helle Blau seiner Augen war geprägt durch das finster aufglänzende Zentrum in ihnen, das sich mit einem Lidschlag Liadan zuwandte, als würde er sich vergewissern wollen, ob nicht noch ein weiterer Rückschlag auf ihn warten würde. Fordernd und ohne weitere Worte schwebte immerhin auch Kennas Frage weiterhin im Raum. 
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✟ Oberhaupt der Familie Al Saher ❖ Gemahl der PriesterinTanuri Al Saher
❖ Bruder des Verlion Al Saher ❖
Gnade oder Mitleid haben noch nie einen Feind besiegt. ❖
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-Freya-
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#1028

Beitrag: # 54431Beitrag -Freya- »

Auch Freya wusste, dass sie etwas essen musste. Mühselig kaute sie die kleinen Bissen, als der monotone Gleichklang, der den Speisesaal erfüllte, mit einem Mal verstummte. Eine Stille, welche sich aufbaute wie ein unheimlicher Schatten. In einer langsamen, beinahe unscheinbaren Bewegung ließ auch sie Messer und Gabel sinken, um das Besteck vor sich abzulegen. Erneut zog sich ihr Magen zusammen und unter einem schmerzhaften Krampfen rebellierte. Hatte sie einen Fehler begangen?

War das ihr erster Gedanke? Unsicher fuhr der Blick des Mädchens herum. Nur ihre Augen - wagte sie es nicht, sich zu bewegen, während die Stille des bedrückenden Einklangs Besitz von ihr ergriff. Ehe sie überhaupt weiter nachdenken konnte, hörte das Mädchen, wie die Schritte und das Geräusch des Gehstocks verstummten. Es war, als würden sich mit einem Mal viele kleine Eiskristalle in ihren Nacken bohren. Kalt und stechend.

Sie hatte sich an die Regeln gehalten oder nicht? Hatte sie einen Fehler begangen? Ohne dass Freya es nur ansatzweise beherrschen konnte, stockte ihr der Atem, als die Worte auch ohne ihren Namen zu nennen, sie unmittelbar ansprachen. Einschneidend und scheltend, auch wenn der Klang ihrer Stimme schmeichelnder Besorgnis erfüllt war. Noch während die Rüge selbst verhallte und die Gräfin das Abendmahl für beendet erklärte. Für sie alle, obwohl die Teller noch nicht einmal geleert waren, als die Herrin der Tränen sich abwandte.

Ohne ein weiteres Wort breitete sich eine bedrohliche Ruhe über den Speisesaal aus, während die Schritte der Gräfin sich entfernten. Niemand bewegte sich in diesen Momenten und nichts war zu hören, als der synchrone Atem der Kinder. Ein Klang, der sich in seiner Schwere in Freya ausbreitete und sie schlucken ließ. Nur für einen Atemzug senkte sie ihre Wimpern, als sie im selben Moment das Gefühl sämtlicher Blicke auf sich liegen spürte. Augen, die sie durchbohrten und sie ohne ein Wort zu sagen anklagten und straften.

Still blieb Freya sitzen. Regungslos, als wäre sie erstarrt. Auch wenn das Mädchen am liebsten weinend aufspringen und zur Vordertür hinauslaufen wollte, zügelte sie sich in diesem Gedanken. Bereits ohne sich einer Schuld bewusst zu sein, wurde sie verurteilt. Fest presste sie ihre Lippen zusammen, um stattdessen die Tränen einfach hinunterzuschlucken. Immerhin wäre es so einfach zu entkommen, wären sie alle nicht hier oder viele von ihnen.

Schweigend und mit gesenktem Blick sah sie nur, wie eine Hand nach dem Teller vor ihr griff, um in klarer Linie und gekonnter Weise direkt nach dem des kleinen Jungen an ihrer Seite zu fassen. Erst als abgeräumt war, erhoben sich alle um sie herum. Eine düstere Harmonie, die sich um sie herum erhob, während Freya sitzen blieb. Sah so ihr Leben nun aus? Grott noch mal, sie musste hier raus.

Erst als Millas Stimme sie ansprach, wagte das Mädchen, sich zu bewegen. Unsicher blinzelte sie zu der jungen Frau hinauf, die sie aufforderte, sich ihr anzuschließen. In einer langsamen Bewegung richtete das Mädchen sich auf und wandte sich ihr zu, um ihrem Aufruf zu nachzukommen. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass ihr mangelnder Appetit eine solche Konsequenz für alle haben sollte. Oder hatte etwas anderes den Unmut der Gräfin heraufbeschworen, der zweifellos auf jedes Kind überzugehen schien. Vielleicht auch auf Milla. Doch konnte Freya das noch nicht einschätzen.

Aufrecht und mit schnellen, doch nicht weniger damenhaften Schritten führte ihre Kragenschwester sie durch die Flure und Gänge. Ein Tempo, das deutlich voraussetzte, dass sie nicht trödelte, sondern sich konzentrierte und sich anstrengte, ihr auf dem Fuß zu folgen. Die Anspannung selbst sorgte dafür, dass auch Freyas Haltung betont gerade war, während ihre Schritte jedoch ein wenig schneller gingen, um Milla unterwegs nicht zu verlieren. Immer wieder strich ihr Blick dabei über die kleinen Dinge hinweg, die sie sich versuchte einzuprägen, wenn die junge Frau einen Weg wählte.

Eine Tür glich der anderen und so waren es nur die feinen Details selbst, welche für einen Unterschied sorgten. Die Vase mit dem Golddekor nach rechts abbiegen, das Gemälde mit den schwebenden Bergen, wieder rechts an der Kommode, dann links und immer so fort, bis Milla eine Tür öffnete. Vorsichtig und bedacht folgte Freya ihr hinein, um ihren Blick kurz schweifen zu lassen.

Das Zimmer selbst war nicht groß, doch seine makellose Ordnung verlieh ihm eine beinahe unnatürliche Aura. Jeder Gegenstand schien einen festen Platz zu haben, als hätte eine unsichtbare Hand penibel über jede Kleinigkeit gewacht.

Zwei schmale Betten aus dunklem, poliertem Holz und hohen geschnitzten Kopfenden standen parallel zueinander an den gegenüberliegenden Wänden. Die Bettdecken waren makellos geglättet, die Kissen in genau demselben Winkel akkurat angeordnet. Keine Falte war zu sehen, als wäre jede Bewegung darauf streng untersagt.

Zwischen den Betten war ein gemeinsamer Nachttisch platziert, auf dem zwei identische Kerzenhalter aus Bronze ruhten. Die Kerzen waren unangezündet und wiesen keine Spuren von Gebrauch auf, als ob das Zimmer nur eine perfekte Illusion des Alltags darstellte.

Zur Tür hin befanden sich zwei identische Kleiderschränke, deren Türen fest verschlossen schienen. Die Scharniere und Beschläge glänzten in einem gedämpften Messington, der von sorgfältiger Pflege zeugte.

An den Wänden hingen keine Bilder, keine Dekorationen, nur das nackte, glatte Steinmauerwerk, das den Raum noch kühler und unnahbarer wirken ließ, während der Boden aus poliertem Holz verlegt war. Ein einzelner, schmaler Teppich aus tiefrotem Samt zog sich von der Tür bis zum Standspiegel und weiter zu den Betten, seine Kanten so präzise, dass sie wie mit einem Lineal gezogen wirkten.

Der Spiegel selbst war ebenso makellos wie alles andere in dem Raum. Ohne den kleinsten Kratzer reflektierte seine Oberfläche die Ordentlichkeit des Zimmers in einer fast gespenstischen Klarheit, die ihm eine fast unheimliche Atmosphäre verlieh. Jedes Detail in diesem Raum vermittelte das Gefühl einer unheimlichen Kontrolle und Disziplin.

Alles war so präzise und perfekt, dass es den Eindruck erweckte, als würde niemand hier leben, so als erwarte man eine unsichtbar und lautlos Fügung, die sich in jene Vollkommenheit einreihte. Nicht einmal ein Staubkorn schien es zu wagen, sich auf einer der Oberflächen niederzulassen.

Die Stille, die im Raum herrschte, war nahezu greifbar, ehe das leise Seufzen Millas das Mädchen herumfahren ließ, sodass sich ihre großen blauen Augen auf die junge Frau legten, die an der Tür lehnte. Beinahe hatte Freya das Gefühl, die Anspannung greifen zu können, die auf ihrer Kragenschwester ruhte. Eine nervöse Unruhe, wofür sie scheinbar verantwortlich war, ohne zu wissen, warum.

„Ich habe versucht, mich an alle Regeln zu halten.“ Unter einem Blinzeln suchte sie Millas Blick, um sich zu rechtfertigen. Alles in ihr wollte es einfach nur aufbegehren und herausschreien, dass sie keinen Fehler gemacht hatte, dass sie hier noch nicht einmal hergehörte und sie weder eine Marionette war noch sich zu einer solchen formen lassen würde, da sie einzig und allein Ogrimar diente. Doch hielt sich das Mädchen abrupt zurück. War es der Blick ihrer Kragenschwester? Oder gar die Erkenntnis, dass sie nicht länger das Privileg hatte zu widersprechen? 

Freyas Hände hatten sich unbewusst zu kleinen Fäusten geballt, doch war es nicht Wut oder Zorn ihren Blick heim, sondern vielmehr Verunsicherung. Jedes Aufbegehren würde Konsequenzen haben, nicht nur für sie.

Mit einem leichten Wimpernschlag durchkreuzte Freya für einen Atemzug ihre Blicke, ehe sie selbst kaum hörbar seufzte. Die Schuld galt es nicht bei anderen zu suchen, nur bei sich. Niemand war sicherlich freiwillig hier und auch wenn sie den Grund selbst nur erahnen konnte, der den Missmut der Gräfin auf sie gelenkt hatte, war es spürbar ihr Verschulden. Ein Fehlverhalten, für das die Herrin nicht nur sie, sondern jeden am Tisch abgestraft hatte.  Klar sah das Blau ihrer Augen zu Milla hinauf, während ihre Stimme sich ebenso gesenkt, wie die ihrer Kragenschwester selbst sich, als sie sich der jungen Frau zuwandte. Zögerlich und doch vollkommen ehrlich kamen die Worte leise über ihre Lippen.

„Es tut mir leid. Morgen werde ich es besser machen.“
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Geboren aus dem Wissen einer dunklen Vergangenheit - verblasst mein altes Leben im Schatten einer neuen Zeit
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Liadan Al Saher
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Registriert: So 25. Jul 2021, 20:15

#1029

Beitrag: # 54435Beitrag Liadan Al Saher »

Gut, das wurde wohl nichts mit ihrem Plan. Das war äußerst unpraktisch, war die Gelegenheit eigentlich sehr günstig gewesen. Dachte sie zumindest. Eigentlich hatte sie die Hoffnung auf ein etwas weniger zurückhaltendes Wiedersehen gehabt. Aber vielleicht gab es das eben nur bei ihr und Verlion. 

Mit einem Seufzen sprang sie vom Bett und blickte sehnsüchtig in Richtung der Regale. So wurde das bestimmt nichts. Außerdem, so musste sie sich eingestehen, war ihr Vorhaben nicht besonders durchdacht. Selbst wenn Kenna und Adrian länger miteinander abgelenkt waren, es wäre schön blöd, wenn sie nun einfach unschuldig pfeifend an den Regalen entlang spazierte. So richtig in den Kopf wollte es ihr aber nicht gehen, warum die Stimmung in Adrians Zimmer derart undurchschaubar war. Das eine hatte sie gehört, das andere sah sie nun. Ziemlich seltsam. Warum sich aber noch über irgendetwas wundern, wenn man aus der Welt kam, aus der sie entstammte? Dort war alles irgendwie wunderlich, vielleicht färbte das langsam auf diese Welt und ihre Bewohner ab.  

Was auch immer nun galt, nahm man es genau, ging es sie sowieso nichts an. Was sie aber etwas anging, war die Bitte Adrians, sich um Nymeria zu kümmern. Es wäre nicht klug, dieser nicht Folge zu leisten, da es ihn wahrscheinlich ziemlich misstrauisch machen würde. Sie wusste schließlich um die Rangfolge in der Familie und ihren Platz. Etwas missgestimmt kratzte sie sich an der Nase und ließ ihren Blick nochmals von Kenna zu Adrian und wieder zurück wandern. "Nun ja, ihr beiden habt euch bestimmt eine Menge zu erzählen." Eine Feststellung, die ihr ein amüsiertes Lächeln abrang, war ihr Schwager nicht unbedingt dafür bekannt, einem einen Roman ans Ohr zu schwatzen. Allerdings wusste sie nichts darüber, was er so hinter seiner Tür machte, wenn diese verschlossen war und sie nicht dabei war. Sie lag schließlich auch einen großen Wert auf Zuschauer, wenn sie nach langer Zeit Verlion wiedersah. Vielleicht sprudelten die beiden ja über vor Worten, wenn sie in einem privateren Rahmen waren. 

Liadans Blick blieb noch für einen Moment freundlich auf Kenna ruhen. "Wenn Ihr wirklich Interesse an einem guten Bogen habt, der Euch treue Dienste leisten wird und sich so leicht nicht brechen lässt, könnt Ihr mich später bestimmt in Nymerias Zimmer finden. Dann können wir in Ruhe überlegen, wie ich Euch mit dem Bogenbauer bekannt mache." Sie wog ihren Kopf hin und her und ging im Kopf einige Möglichkeiten für Kenna durch. "Leider lebt er nicht hier." Mehr wollte sie dazu vorerst nicht sagen. 

Zumindest blieb ihr jetzt noch ein wenig Zeit, sich zu überlegen, wie sie an das Pergament des Bischofs kam. Kenna schien sich gut in dem gemeinsamen Zimmer von ihr und Adrian auszukennen. Vielleicht konnte sie ihr ja einen Hinweis geben, wo Adrian seine wichtigen Dinge versteckt hielt, wenn sie alleine waren. So als kleine Gegenleistung, wenn Liadan sie mit dem Bogenmacher zusammenbrachte. Kein allzu abwegiger Gedanke, wenn sie es recht bedachte. Fast schon war sie nun wieder zufrieden und zeigte ein breites Lächeln.

Dennoch ließ sie es diesmal aus, sich Adrian nochmal zu nähern und ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, wie sie es sonst eigentlich tat. Nicht nur, weil es ihr gerade unpassend erschien, sondern auch, weil er ihr noch mehr Rätsel gegeben hatte und diese anscheinend nicht auflösen wollte. Anscheinend vertraute er ihr weitaus weniger, als sie dachte. Auch Liadan hielt etwas auf sich und konnte eine abgekühlte Schulter zeigen.


"Gebt aufeinander acht." War deshalb alles, was sie sagte, bevor sie mit federnden Schritten das Zimmer verließ, um seine Bitte ohne Widerworte zu erfüllen. 


 
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***  Purpurne Kaiserin *** 
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Gesichtsloser Erzaehler
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#1030

Beitrag: # 54436Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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"Natürlich wirst du das." Sprach Milla höflich, wenn auch reserviert. Sie ging in das Zimmer hinein und deutete auf eins der Betten. "Das ist erstmal deins. Das Bett ist gerade frei geworden. Das Mädchen, dem es gehörte, wurde vor Kurzem weitergegeben." 

Sehnsüchtig dachte Milla an ihre Zimmergenossin. Freundschaften waren nicht gestattet. Trotzdem hatten sie einander gemocht. Heimlich. Wäre die Herrin dahintergekommen, es wäre nicht gut gewesen. Vielleicht wusste sie es aber auch und deshalb war die Kragenschwester nun fort. Von heute auf morgen. Wie, das wusste Milla nicht. Aber ihr Gewissen redete ihr die Geschichte ein, dass sie jetzt an einem guten Ort war.  

Sie trat zu einem der Schränke und öffnete ihn. "Das sind einige deiner Sachen. Beweist du dich als fleißig und fähig, wird sich der Schrank füllen." Musternd fiel ihr Blick auf Freya. Das Mädchen war schmal und vielleicht etwas zu klein für ihr Alter. Eine Sache, die Milla einen betrauernden Laut entlockte. Das bedeutet, dass das Mädchen begehrt sein würde. Die große Auktion des Landes war nicht weit entfernt. Wenn Freya sich ins Zeug legte und sich keine weiteren Fauxpas erlaubte, konnte es gut sein, dass die Herrin sie bereits auf dieser anbot und mit einem gut gefüllten Beutel zurückkam. Wenn die Gräfin zufrieden war, wirkte sich das auf alle Bewohner der Residenz aus. War sie es nicht, konnten schlimme Dinge passieren. 

Milla winkte ihre neue Zimmernachbarin zu sich heran. "Schau." Ihre Hand deutete auf das Innere des Schranks, in dem wenig Kleidung hing. Auf dem Boden befanden sich bisher zwei paar Schuhe. Ein einfaches Paar Stiefel aus hellbraunem Leder. Gedacht für die Arbeit und das Werk am Tag. Nichts besonderes, aber gut genug, um ihre Füße zu schützen. Daneben standen hübschere, mit bunten Perlen und Bändern. Diese waren für den Unterricht gedacht, dem Freya vielleicht zugewiesen wurde. Lehrstunden, die fordernd waren und ähnlich schmerzhaft sein konnten, wie das Schuhwerk, das vor ihr stand. Denn diese waren eng, mit einem kleinen Absatz versehen und ziemlich unbequem. Oft hinterließen sie Blasen und aufgeraute Stellen auf der Haut. Keiner mochte diese Schuhe, aber sie waren notwendig, denn sie waren fein und das, was die hohe Gesellschaft gerne sah. Freya würde lernen, in ihnen zu laufen. Sie würde lernen, die Schmerzen zu ertragen. 

"Du bist für deine Kleidung verantwortlich. Sie muss immer sauber sein und ohne Falten. Zum Morgenappell trägst du das einfache Kleid hier." Sie deutet auf ein schlichtes Kleid. Es war nicht auffällig. Es waren aber einige Stickereien darauf. Keine Kleidung um das Tagwerk zu vollrichten, denn diese fand Freya in dem Arbeitsbereich, der ihr womöglich zugeteilt wurde. Außer Freya bewies bei der Prüfung der Gräfin zügig, dass sie ein besonderes Talent besaß. Die Gräfin prüfte sie alle. Eingehend und streng. Wie diese Prüfung aussah, darüber sprach Milla nicht. 

"Nach dem Frühstück wird die Gräfin dich sehen wollen. Achte also auf dein Erscheinungsbild." Milla schloss die Türe des Schranks und ging auf eine Kommode zu. In den Schubladen konnte Freya frische Unterwäsche finden und ein leichtes Hemd für die Nacht. Auf der Kommode stand ein Krug mit Wasser und zwei Becher. Verdursten sollte keiner und viel Wasser machte frische Haut. 

"Morgen werden wir sehen, wie es für dich weitergeht. Ob du nur für eine der allfälligen Tageswerke eingeteilt wirst oder ob die Gräfin dich einem Unterricht zuteilt." Sie öffnete die Schublade, holte frische Wäsche hervor und legte sie neben einem der Becher ab. Dabei fiel ihr die kleine Beule in ihrer Robentasche auf. Erschrocken weiteten sich ihre Augen und sie hielt schnell ihre Hand darauf. In der ganzen Aufregung um das Essen, hatte sie das Ohr ganz vergessen. Milla zog es aus der Tasche und begutachtete es mit einem schiefen Blick. 

"Ich werde mich schnell darum kümmern, bevor die Herrin es noch sieht. Es kann jederzeit eine Zimmerkontrolle stattfinden." Sie wendete sich von Freya ab und war schon fast bei der Türe. Dann drehte Milla sich aber nochmal herum und sah bittend zu Freya. 

"Versuch zumindest schon einmal deine Frisur zu lösen. Ich helfe dir gleich bei dem Kleid. Aber du musst lernen, das selbstständig zu können. Immer werde ich nicht da sein können." Es war ein Versuch, Freya aufzumuntern, als sie ihr kurz zunickte und schon im nächsten Moment aus der Türe verschwand. 

 
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-Freya-
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#1031

Beitrag: # 54440Beitrag -Freya- »

Mit einem leichten Wimpernschlag folgte Freya Milla mit ihrem Blick, als diese ihr das Zimmer zeigte. Schweigend ließ sie ihren Blick über die makellos drapierten Kissen wandern, während die junge Frau auf eines der Betten deutete, indem ihre Vorgängerin geschlafen hatte, bevor sie weitergegeben worden war.

Was für ein Gedanke. Alles in dem Mädchen sträubte sich, doch konnte sie kaum der jungen Frau dafür einen Vorwurf machen. Blinzelnd wanderten Freyas blaue Augen zu ihr hinauf. Beinahe glaubte sie, etwas Trauriges in ihrer Stimme zu hören. Ein Tonfall, der andeutete, dass Milla das Mädchen gemocht hatte und sie ihr fehlte.

War er dort gewesen? Hatte sie ihn tatsächlich hören können? Vielleicht. Doch wenn, dann schwand jener im nächsten Atemzug bereits, als wolle Milla es selbst nicht zulassen. Gerade als Freya intuitiv ihre Hand anheben wollte, um sie Trost spendend an Millas Arm zu legen, wandte jene sich in einer fließenden Drehung zum Kleiderschrank herum. Schnell und unbemerkt hielt Freya in ihrer Bewegung inne und folgte ihr stattdessen.

Musternd strich Freyas Blick über den übersichtlichen Inhalt hinweg, der in jeder Hinsicht fein säuberlich drapiert war. Kein Vergleich zu dem Chaos, das manchmal in ihrem eigenen Zimmer herrschte. Die Kleider darin wirkten schlicht. Nicht im Sinne von einfach, sondern vielmehr dezent. Die Farben waren eher gedeckt, doch betrachtete man den Stoff und die zarten Stickereien, so war es von hoher Qualität. Sie schienen zumindest allemal bequemer als das schwere Gewand, das sie am Leib trug und das nicht nur durch sein Gewicht, sondern auch durch die Schnürung und das Korsett unangenehm war, welche ihre Bewegungen einschränkten.

Mit einem sachten Nicken ließ sie ihre Kragenschwester wissen, dass sie verstanden hatte, was von ihr erwartet wurde, auch wenn Freya die Situation selbst noch immer nicht wirklich begreifen konnte und sich alles wie ein böser Albtraum anfühlte.

Wie in Trance folgte das Mädchen Milla zur Kommode. Es waren nur wenige Schritte, doch die Unbegreiflichkeit lag wie ein Nebel vor ihren Augen. Tatsächlich taten sich immer mehr Fragen auf. Was war das hier nur für ein Haus? Was bedeutete der Unterricht? Und was war es für eine Auktion, die Milla einen sehnsüchtigen Blick verlieh? War es der Weg in die Freiheit? Der einzige Ausweg?

Sacht strich Freya über den zarten Stoff eines Hemdchens und blinzelte zu ihrer Kragenschwester hinauf. Ihre Züge verrieten, dass Fragen auf ihren Lippen lagen, doch sie schwieg, als Milla das Ohr aus ihrer Tasche holte. Nein! Fast hatte sie es selbst vergessen! Aber Milla konnte es doch nicht entsorgen! Eilig lösten sich ihre Finger von dem blütenweißen Stoff, um die junge Frau aufzuhalten, doch ehe sie etwas sagen oder nach ihr greifen konnte, war diese schon zur Tür hinaus, als würde sie selbst von einer Furcht angetrieben. Eine Angst, die Freya sich fragen ließ, was am Ende diese auslöste.

Verflixt! Seufzend schloss Freya ihre Augen und lehnte sich in ihrer steifen Haltung an die Kommode. Tief holte das Mädchen Luft, nur um ihren Kopf kurz nach hinten fallen zu lassen. Aufgeben war keine Option, hatte Adrian ihr stets eingebläut. Doch was blieb ihr hier und jetzt anderes übrig. Eventuell konnte sie sich mit Milla anfreunden und vielleicht auf andere Weise einen Weg hinausfinden. Über die Auktion möglicherweise, denn die Hoffnung, dass der Kater ihr mit seinem einem Ohr überhaupt zugehört hatte, schien schwindend gering.

Langsam nur richtete das Mädchen sich auf und griff mit ihrer zierlichen Hand nach einer der Haarnadeln, um die Verflechtungen, die an ihrem Kopf noch immer zwickten, zu lockern.

Irgendwo musste sie den Anfang machen. Freya löste die Nadel, die die kleinen Flechtungen an ihrem Hinterkopf zusammengehalten hatte, sodass der Zopf mit seinen welligen Strähnen, wie ein Meer aus Schatten über ihren Rücken glitt, während sie langsam an den Spiegel herantrat. Es würde alles einen Weg finden. Sie würde einen Weg finden …

Abrupt hielt Freya in ihrer Bewegung inne und ließ ihre Hände sinken, um scharf die Luft einzusaugen, als ihr Blick auf den Spiegel traf.

Ungläubig und zugleich regungslos blickte sie dem Mädchen in die blau schimmernden, überwältigten Augen, als sähe sie in ein fremdes Abbild von sich selbst. Die tiefblauen Augen, die sonst von einem unschuldigen Glanz erfüllt waren, leuchteten überrascht und leicht erschrocken zugleich. Der Anblick, der sich ihr bot, war eine erschreckende und zugleich faszinierende Mischung aus Eleganz und Unerwartetem.

Jede Strähne schien trotz der gelösten Haarnadel an ihrem Platz. Die unscheinbar schimmernden schwarzen Perlen, welche ihre Flechtfrisur noch immer zusammenhielt, glitzerten im Licht des Raumes und verliehen dem gesamten Erscheinungsbild einen Hauch von Magie. Ihr Gesicht war blass, während ihre schwarzen Haare in einem gelockerten Zopf in welligen Strähnen über ihren Rücken fielen und nur an den Seiten lose Strähnen ihre Züge umrahmten und sanft über ihre Schultern fiel.

Das edle Kleid aus Brokat, das sie trug, schimmerte in einem tiefen Burgunderrot, durchzogen von feinen, goldenen Fäden, die komplexe Muster bildeten. Die Schnürungen ebenso wie das Korsett an der Vorderseite des Kleides waren sorgfältig, gebunden und betonten die schlanke Silhouette des Mädchens auf eine weibliche Art und Weise, die sie an sich nicht kannte. Eine Anmut, die ihr befremdlich schien.

Das gesamte Bild, das sich ihr im Spiegel offenbarte, war von einem warmen Licht umhüllt, das sie in seinem Schein fast strahlen ließ.

Langsam atmete Freya aus, unsicher, ob sie gerade wach war oder träumt. Vorsichtig hob sie nur ihre Hand, um sich zu vergewissern, dass es keine Täuschung war. Keine Einbildung, die sie etwas glauben machen wollte.
Das elegant gekleidete Mädchen streckte ihr ebenfalls die Finger auf die gleiche Weise entgegen, bis sie sich berührten an der Oberfläche. Eine Gewissheit, die sie schlucken und gleichzeitig zurückfahren ließ, bei dem Gedanken wie trügerisch Spiegel sein konnten. - Ihre erste Reise hierher, die Visionen des zukünftigen Ich. -  Der Kater hatte sie davor gewarnt, ebenso wie …

Naheniel. Unbewusst formten ihre Lippen seinen Namen, nur damit das Mädchen im Spiegel ihr gleichtat. Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Kein Wind regte sich draußen in den Bäumen und das Licht der Kerzen schien wie erstarrt, als würde die Welt den Atem anhalten.

Konnte er sie nie loslassen? Sie war ihm gleich, sie hatte es spüren können. Die Kälte seines Griffs, mit dem er den Dolch tiefer in ihren Leib gedrängt hatte. Wenn sie jemals die Gelegenheit haben würde, sie würde ihn diesen Schmerz, diese Angst, diese Enttäuschung spüren lassen. Nicht nur einfach, nein. Sie würde den Dolch in seinem Leib herumdrehen und sich an der Qual weiden.

„Ich erkenne mich in Dir.“ Es war nur der Funke eines Gedankens - seines Gedankens und seiner Stimme.

Als würde ihre Erinnerung ihr einen Streich spielen, sah sie seine Silhouette. Groß und dunkel, umspielt von Schnee und tanzenden Flocken, die ihn umgaben. Ein Schatten, nicht mehr und doch wusste sie, wem er gehörte. Sie erkannte ihn, sie spürte ihn. Seine Bewegungen, seine Gier, den Hunger. Ein Gefühl, dass sie unmittelbar ergriff, als wäre es sie selbst, die ihre Hand hob, während tief dunkelblaue Augen das Bild im Spiegel mit unerbittlicher Leidenschaft ansahen. Ein unersättliches Verlangen, das in ihm loderte wie ein Feuer. Wie verzehrende Flammen, die ebenso von ihr Besitz ergriffen, während sie silberne ineinander verschlungene Kettenglieder an dem zarten Hals vor sich sah, deren kaltes Metall sie deutlich unter ihren Fingerspitzen fühlen konnte.

Mit einem Schlag umschlang sie die Dunkelheit. Das Licht der Kerzen um sie herum erstarb und nur der schummrige Schein aus Erinnerungen, zeichnete sich auf der Oberfläche des Spiegels ab.

Ein unbarmherziges Gefühl durchfuhr Ihren Körper. Unbekannt, doch von solcher Intensität, dass die Anspannung in ihrem Inneren sie zittern ließ. Sie wollte wegsehen, sich losreißen, doch etwas hielt sie in seiner gnadenlosen Gefangenschaft, sodass sie ihren Blick nicht von den blauen Augen nicht abwenden konnte. Ein Hunger, der sie grausam fasste, zwang sie zu dem Anblick jener Perfektion, die sie in die Knie gehen ließ, während ein brennender Schleier sich vor ihre Augen legte. Ihr Herz und ihr Puls schlugen wie von Sinnen, während ihre Beine unter ihr nachgaben und sie auf die Knie sank.

Träumte sie? Warum ließ er sie nicht los? Freya wollte schreien, während eine Welle von Gefühlen sie nahezu überrollte. 

Es war ein Blitzschlag aus dem Nichts, der im selben Moment dem Tanz der Flammen wieder Leben verlieh und die Finsternis draußen erhellte. Ein grausamer Donnerhall, der wie ein Schrei durch die Dunkelheit hallte, als hätte die Naturgewalt sich ein Opfer gesucht, während Freya selbst ihren Schrei unterdrückte und sich stattdessen selbst auf die Lippen biss. So fest, dass sie den metallischen Geschmack ihres Blutes auf der Zunge schmecken konnte. Ein Schmerz, der ihr gehörte, den sie spüren und fühlen konnte.


Das Mädchen spürte, wie sie das Brennen in ihren Augen nicht länger aufhalten oder kontrollieren konnte. Ein Fluss aus Tränen, der in warmen, feuchten Spuren an ihren Wangen hinabliefen und durch ihre Finger hindurch glitt, als Freya unter einem leisen Schluchzen ihre Gefühle nicht länger zurückhalten konnte.
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Gesichtsloser Erzaehler
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#1032

Beitrag: # 54442Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

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Das Ohr entsorgen. Kein leichtes Unterfangen. Nicht an einem Ort wie diesem. Die Residenz beobachtete alles und wusste alles. Ebenso wie die Gräfin. Haus und Herrin, verbunden. Ein Organismus, vor dem nichts verborgen blieb. Milla war schon lange hier. Viele Jahre. Wie viele es aber genau waren, das wusste sie nicht. Zeit hatte an einem Ort wie diesem keine Bedeutung. Sie musste bedeutungslos werden, wenn man sich etwas von sich bewahren wollte. 

Milla betrachtete das Ohr in ihrer Hand. Eindeutig war es organischen Ursprungs und kein Kuscheltier, an das man sich in einsamen Nächten schmiegte. Warum trug Freya das mit sich? Sie sollte keine Fragen stellen. Das war eines der Dinge, die schnell gelernt wurden. Fragen konnten schmerzhaft sein und Antworten eine Strafe. Erst recht dann, wenn sie von der Herrin kamen. 

Den Hausmüll zu verwenden war keine Option. Wenn das Ohr zu verrottete, würde es stinken. Oder Maden und andere Tiere anlocken. Wie praktisch wäre es, gäbe es einen Fluss auf dem Gelände. Doch das war nicht der Fall. Kein Fluss, kein Bach, kein fließendes Gewässer. Wahrscheinlich, weil Kinder versuchen konnten, durch ihn zu entkommen. Einmal hineingesprungen, unter dem schmiedeeisernen Zaun hindurch und man war frei.

Gab es dort draußen aber wirklich Freiheit? Milla konnte sich nicht erinnern. Sie wusste nur, dass der Wald lebte. Nicht so, wie in romantischen Gedichten. Er lebte richtig. War es tatsächlich eine Flucht, wenn man es schaffte? Oder doch nur der direkte Weg in eine andere Gefangenschaft? 


Es gab immer wieder Fluchtversuche. Selten aber gelang es jemandem, überhaupt über den Zaun zu klettern. Das lag nicht mangelnden Kletterkünsten der Bewohner hier. Schließlich waren sie alle irgendwo aufgewachsen und lebten ein Leben, bevor sie hierher kamen. Manche konnten klettern, andere wiederum rennen. Einige von den Jungen konnten sogar kämpfen. Aber hier brachte es ihnen nichts. Eal, was sie sich einfallen ließen, um die Residenz ohne Erlaubnis zu verlassen, niemand kam je davon. 

Für ihre Gedanken blieb keine Zeit. Milla schlich sich durch die Küchentür nach draußen. Noch war sie nicht verschlossen, da man sich um Sauberkeit und Ordnung kümmerte. Draußen, an der frischen Luft, schaute sie sich um. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und die Nacht bot ihr somit eine gute Deckung. Mit schnellen Schritten begab sie sich zu einem der Büsche im Hof. Der Boden war aufgelockert, da dieser erst kürzlich bepflanzt worden war. Ein Glück für Milla, so musste sie nicht viel Kraft aufwenden, um die Erde beiseite zu schieben. Trotzdem litten ihre Hände darunter. Der Schmutz unter ihren Fingernägeln würde sie verraten, wenn sie sich nicht schnell nach getaner Arbeit reinigte.




Das Ohr war nun verschwunden und Milla machte sich wieder auf den Weg zu Freya. Sie musste hoffen, dass Absolom es nicht riechen würde, wenn er seine Runden drehte. Nicht nur das Ohr war verräterisch, sondern auch ihr Geruch, der daran haftete.

Zurück im gemeinsamen Zimmer wollte sie sich als Erstes die Hände waschen. Sofort bemerkte sie jedoch, dass Freya schluchzend vor dem Spiegel stand. Tränen waren in der Residenz der Tränen keine Seltenheit. Es würden nicht die letzten sein, die das Mädchen weinte. Schnell eilte Milla zum Wasserkrug, füllte eine Schale und begann, ihre Hände gründlich zu waschen. Bevor sie das Kleid berührte, mussten sie sauber sein. Jeder noch so kleine Schmutzpartikel konnte sie verraten. Sie wusch sich und wusch sich. Rieb ihre Hände fest aneinander, während Freya weiter weinte. Natürlich könnte sie tröstende Worte sprechen, aber diese wären momentan sinnlos. Das Mädchen hatte wohl verstanden, was es bedeutete, eine Kragenschwester zu sein. Für diese Erkenntnis gab es keine Worte.

Millas Hände schmerzten bereits, auch weil das Wasser eiskalt war. Ihre Haut war rot, doch scheinbar sauber. Milla drehte ihre Hände hin und her. Der Kerzenschein reichte nicht aus, um sie genau zu untersuchen. Das verschmutzte Wasser musste sie noch loswerden. Das Fenster war die einzige Möglichkeit. Mit einem kurzen Blick zu Freya nahm sie die Schüssel mit dem schmutzigen Wasser und trat an eines der Fenster. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand unten stand, öffnete sie es und schüttete die dreckige Brühe hinaus.

Zumindest schien es zunächst so, als hätte alles geklappt. Das Ohr war verschwunden und alle Spuren davon ebenso. Milla schloss das Fenster, denn es war kalt und sie mussten sich für die Nacht entkleiden. Ein Schnupfen oder Fieber waren unerwünscht bei der Gräfin. Ihre Gesundheit war wichtig, um täglich dienen zu können.

"Du musst aufhören zu weinen, Kragenschwester." Milla trat wieder zu Freya und schaute ihr über die Schulter in den Spiegel. Was sie sah, war nur ein bewegter Schatten, der dem Spiegelbild von Freya und ihr wich. Wahrscheinlich eine Spiegelung im Kerzenschein.

Etwas unsanfter als beabsichtigt drehte sie Freya zu sich herum und begann, die Schnürung ihres Kleides zu lösen. "Es wird dir nicht helfen. Bei nichts."
Millas eigene Erinnerungen an ihre Ankunft waren verschwommen und kaum noch präsent. Mit der Zeit verschwindet alles. Das, was man war, das, was man sein wollte. Träume, Sehnsüchte und Gedanken verblassen. Vorsichtig schob Milla das schwere Kleid von Freyas Schultern, nachdem das gelockerte Korsett ihr wieder Luft zum Atmen gab. Milla kniete sich hin und bedeutete dem Mädchen mit einem Nicken, aus dem Kleid zu steigen.

Es folgen Unterkleid und Wäsche. Alles dauerte viel zu lange. Freya musste bald lernen, sich selbst an- und auszuziehen, und auch, sich auf andere Weise entkleiden zu lassen. Dabei durfte sie nicht mehr stillstehen, sondern musste ihre Reize zur Geltung bringen. "Wir werden diese Prozedur üben. Nicht nur abends. Wenn du keine Aufgaben und keinen Unterricht hast, werde ich dir zeigen, wie man sich kleidet. Dein Aussehen, deine Vorzüge und deine Talente müssen dein Heiligtum werden." 

Freya stand nun nackt vor ihr, und Millas Blick wanderte an ihrer schlanken Figur entlang. "Keine Narben und keine Verletzungen mehr." Milla ging zur Kommode und holte die Nachtwäsche heraus. Wieder etwas ruppig zog sie Freya das Nachthemd über den Kopf und drehte sie zurück zum Spiegel. Das Mädchen wirkte jetzt weit weniger prachtvoll als noch kurz zuvor. Sie war wieder ein einfaches Mädchen, mit großen blauen Augen und Tränen. "Glaube aber nicht, dass du etwas Besonderes bist, nur weil du ein Talent hast. Hier bist du trotzdem niemand. Die Herrin wird entscheiden, ob du zu jemandem wirst und dich dann entsprechend formen."

Das war alles. Freya war umgezogen, ihr Gesicht noch gerötet von den Tränen, aber diese würden trocknen. Milla füllte die Schüssel erneut mit Wasser und reichte Freya ein Tuch, damit sie ihr Gesicht säubern konnte. Währenddessen zog sie sich selbst aus, etwas mehr im Schatten, um nicht von Freya gesehen zu werden.

"Leg dich hin. Der Tag beginnt früh und wird lang werden." Während sie sprach, löschte sie die Kerzen und ging dann zu ihrem eigenen Bett. Erst nachdem auch Freya sich hingelegt hatte, tat es Milla ihr gleich. Sie zog die Decke fest an sich, legte jedoch Arme und Hände darüber, um bereit zu sein, falls die Herrin kam.

Um einzuschlafen, sprach sie leise und wiederholend: "Wir dienen mit Eifer, Sorgfalt und Gehorsam."
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Haedinn
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#1033

Beitrag: # 54443Beitrag Haedinn »

Haedinn war selbst eingeschlafen und lag unter dem Bett Freyas, ein Ort, wo Schatten ihre Geschichten flüstern. In seinem Kopf hüpften seine Stimmen gemeinsam zu einem wilden Tanz. Der Kater hatte viele von ihnen und diese formten eine Melodie aus lustigen, dunklen, bösen, lauten und leisen Tönen. Gemeinsam waren sie ein Chor der Verwirrung, der ihm kaum eine ruhige Minute gönnte. Besonders im Schlaf waren sie am lautesten, als wollten sie den Kater durch sein kleines, persönliches Reich der Träume jagen. Nirgends war ihm anscheinend Erholung vergönnt. Äußerst anstrengend wurde es, wenn sie alle gemeinsam sprachen, denn dann verstand man kaum noch sein eigenes Wort. Erziehen aber konnte er die Stimmen nicht, sie taten stets das, was sie wollten, hörten nicht auf ihn und hatten noch dazu ihren ganz eigenen Willen. Was recht seltsam war, gehörten sie schließlich ihm. 

Aber alles war eben etwas eigenwilliger, wenn man jemand war wie er. 

Gerade jetzt waren sie besonders aufgeregt und unterhielten sich angeregt miteinander. Zwitscherten wie ein Schwarm aufgeregter Vögel am Morgenhimmel. Herrgott, wie laut sie doch waren! Wie sollte man da in Ruhe schlafen können, um sich zu erholen? Noch dazu war es eine vollkommen nutzlose Diskussion, fand Haedinn. Denn die Frage des wohins und wie, konnte kaum richtig beantwortet werden. Er selbst enthielt sich der Debatte, meistens hatte er in seinem Kopf ohnehin nicht viel zu sagen. 

Trotzdem musste irgendetwas geschehen, so wie es war, konnte es selbstverständlich nicht bleiben. Wohin also sollte er Freya bringen? Gab es überhaupt eine klare Anweisung, eine definierte Richtung? Vielleicht. Aber Haedinns Gedächtnis glich einem Labyrinth, wo Dinge sich allzu gerne in irgendwelche Ecken verkrochen, um erst später wiedergefunden zu werden, wenn sie es für richtig hielten. Auch Erinnerungen haben eben ihr Eigenleben und entscheiden selbst darüber, wann man an sie dachte. Das Gedächtnis: Mehr Fluch als Segen. 

Was er aber wusste, war, dass er das Mädchen hinausbringen musste aus dieser Residenz. Und sich selbst auch. Wie das aber gelingen sollte? Das war ihm noch nicht klar, ganz und gar nicht klar. Normalerweise handelte er einfach, ganz spontan, aus dem Katzenbauch heraus. Nicht immer brachte es ihm aber das gewünschte Ergebnis, das gestand er sich selbst ein. Er war eben ein Kater, der seine Fehler erkannte und zu diesen stand, was ihm allerdings im Nachhinein auch nichts mehr brachte. 

Zuerst musste er nun einmal aufwachen, denn ohne ein Aufwachen, war ein Handeln unmöglich. Es schließlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, dem Kind im Schlaf zu helfen. Im Traum vielleicht, ja, da wäre es einfacher, da endet alles irgendwann. Aber auch Träume enden nicht immer gut, so sehr man sich auch anstrengt, diese zu lenken und zu beeinflussen. Zumindest aber kannten sie ein Ende. Das hier jedoch, das war alles andere als ein Traum. Es war die Wirklichkeit, bizarr und verdreht. 

Sollten die Stimmen ruhig weiter diskutieren, vielleicht fanden sie ohne ihn eine Lösung. Die Nacht war hereingebrochen und womöglich war das die beste Zeit, um mit dem Menschenmädchen zu fliehen. Wenn die Stimmen irgendwann zu einem Ergebnis kamen, würden sie ihm das schon mitteilen. Sie wussten schließlich immer, wo sie ihn fanden. 

Haedinn öffnete erst ein Auge, dann das andere. Im Schlaf wurde er oft sichtbar und so war es auch jetzt. Leuchtend hoben sich die Zeichnungen auf seinem Körper von der Dunkelheit der Nacht ab. Zumindest fand er sich so selbst immer wieder, auch noch dann, wenn alles andere verloren war. Und im Verlieren kannte er sich aus. 

Geduckt schlich er unter dem Bett hervor, geschmeidig wie ein Schatten und schnupperte vorsichtshalber erst einmal. Ah, wie gut das doch tat, den Geruch des Köters nicht in der Nase zu haben. Das war äußerst beruhigend. Man hätte der Gräfin durchaus zugetraut, den Hund als Wächter direkt vor dem Bett Freyas zu postieren. Doch glücklicherweise waren hier nur Milla, Freya und er. 
Naja gut, und natürlich seine Stimmen. Aber die zählten nicht wirklich als eigene Persönlichkeiten, so weit war es dann doch noch nicht gekommen.

Seine Augen leuchteten in der Dunkelheit und seine Muster flimmerten wie kleine Sterne am Nachthimmel, als er seinen Kopf auf die Höhe von Freyas Ohr legte. Es war an der Zeit, etwas zu tun, bevor der Morgen sie fand und die Chance zur Flucht dahinschmolz wie Eis in der Sommersonne. Sein warmer Atem strich über das zarte Gesicht des Mädchens.
"Aufwachen." schnurrte seine Stimme, während er seine große Pfote auf die Schulter des Kindes legte und seine Krallen sich leicht in dem dünnen Stoff des Nachthemdchens senkten. "Komm, kleines Mädchen, es ist Zeit, dass du dich rettest." 


 
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Wie willst du vor dem fliehen, was in deinem Kopf ist?
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-Freya-
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#1034

Beitrag: # 54445Beitrag -Freya- »

Es geschah wie in Trance, dass Freya sich erhob, als Milla ihr auf die Beine half. Die Stimme der jungen Frau jedoch war weit entfernt. Ein Flüstern hinter dem Regen und Donner, der draußen aufzog. Ein Echo, das sich hinter ihrem eigenen Schluchzen und dem Dröhnen ihres Herzschlags nur leise an ihr Ohr schlich.

Aufhören. Sie sollte aufhören, zu weinen. Vielleicht hatte sie recht. Es half nicht, es machte nichts besser und doch drängten sich die Tränen immer wieder unbarmherzig hervor. Wie sollte sie dagegen ankämpfen? Warum sollte sie aufhören? Es ergab alles keinen Sinn. Nichts war richtig. Sie gehörte hier nicht hin und doch interessierte es niemanden. Nein, sie war verloren. Alles war verloren. Sogar ihre Träume, ihre Visionen. Weit fort von dem, was hätte sein sollen.

Es würde nicht helfen. Nein, nichts konnte ihr helfen. Freya spürte, wie ihr Herz raste. Ihr ganzer Körper zitterte noch immer, während sie durch den brennenden Schleier hindurch nur schemenhaft die Bewegungen ihrer Kragenschwester verfolgen konnte, welche bemüht war, ihr beim Auskleiden zu helfen. Das Mädchen spürte, wie Milla gekonnt und dennoch von Eile getrieben die Schnüre des Korsetts löste und ihr den Stoff von den Schultern zog.

Das Unwetter draußen folgte offenbar dem Fluss ihrer Tränen, die unentwegt über ihre Wangen liefen. Prasselnd konnte man den Regen an den Scheiben klopfen hören, während sie wie versteinert dastand. Ein stetes Klopfen und Trommeln, durchzogen von krachendem Donner, ehe sie steif und unsicher aus dem Kleid stieg und versucht war, sich auf die Knie sinken zu lassen.

Ihre Kragenschwester ließ dies jedoch nicht zu. Sie spürte den harschen Griff, der mit den Worten der jungen Frau beinahe wie ein weiteres Urteil auf sie niederging. Als würde sie durch Milla hindurch blicken und ihre Augen auf einen ungewissen Punkt lenken, sah sie zu ihr hinauf. Eine Rüge, auch wenn ihre Stimme beherrscht blieb. Doch drehte sie das Mädchen wieder zu dem Spiegel, um ihre Worte deutlich zu untermalen.

Sie war nichts Besonderes. Das Mädchen konnte es selbst sehen. Nichts war an ihr außergewöhnlich. Auch wenn man sie als Schlüssel angesehen hatte oder die Visionen sie etwas anderes hatten glauben machen wollen. Sie war ein einfaches Mädchen und das einzige Talent, das sie, wenn sie überhaupt eines besaß, war Unheil anzuziehen.

Ihr Blick strich durch den tränen verhangenen Vorhang hindurch über ihr Ebenbild. Ein zierliches Mädchen, das wie verloren im Nirgendwo um ihr Schicksal weinte. Die langen schwarzen Strähnen hatten sich unter der engen Verflechtung zu zarten Wellen geformt, die verspielt über ihre Schultern hinweg nach vorn fielen und die rot gefärbten Wangen und Augen umrahmten wie ein Bildnis von Elend und Hoffnungslosigkeit.

Es war eher eine mechanische Handlung, mit der Freya das Tuch nahm und es mit dem kalten Wasser tränkte, um sich die Tränen aus dem Gesicht abzuwischen. Ihre Haut brannte fürchterlich. Umso wohltuender war das kühle Tuch, mit dem sie sich über die Wangen fuhr.

Alles war sinnlos. So fürchterlich unnütz. Wie sollte sie das nur durchstehen. Sicherlich hätte der Bischof sie töten können, doch er hatte es nicht. Auch hätte sie in seinem Verließ verrotten können.  Und nun war sie hier. Ein Haus voller Kinder und strenger Regeln mit dem Ziel an irgendjemanden weitergereicht zu werden. Wie sollte sie all das akzeptieren? Diesen Weg gehen, der so fern von dem lag, wer sie sein wollte. Was sie hätte sein sollen? Der Pfad, der sie all ihrer Träume und Ziele beraubte.

Still wandte Freya sich zu Milla, doch sah sie diese nur schemenhaft sich umziehen. Sie war ungeduldig und jenes Verständnis, jene Freundlichkeit, die das Mädchen noch im Salon geglaubt hatte zu spüren, schien nun einer Ungeduld, oder einer Furcht zu weichen. Vielleicht hatte sie es sich auch selbst bereits mit ihr verbockt.

Ungleichmäßig holte Freya Luft und versuchte, die Tränen unter Kontrolle zu bringen. Den Schmerz, der sich in Anbetracht der Ausweglosigkeit immer greifbarer in ihr ausbreitete, zu beherrschen. Schwinden würde er nicht. Sie war allein und nur ein Weg führte hinaus.

Schwer schluckte Freya, ehe sie sich nur in dem dünnen Hemdchen bekleidet vor ihr Bett kniete, um ihren Blick zu senken. Es gab nur einen, der ihr helfen konnte. Nur einen, der ihr die Stärke geben konnte, den Pfad zu gehen. Der dunkle Lord selbst. Worte, die nur ihm galten. Ihm – ihrem einzigen Herrn und Gebieter. Ogrimar.

Schweigend verharrte Freya einige Minuten in der Dunkelheit, ehe sie sich beinahe lautlos erhob. Nur ein leises Rascheln war von dem zu hören, als das Mädchen sich in das Bett legte und sich fest in die Bettdecke rollte.
Der Regen hielt noch immer an, ebenso das Donnergrollen, welches auf die taghellen Blitze folgte, die die Schatten der Bäume draußen wie lebendige Silhouetten an den Wänden tanzen ließen. Ein Schauspiel das ihre Lider hatte schwerer werden lassen.

Wann sie eingeschlafen war, wusste Freya nicht. Es war jedoch ein traumloser Schlaf gewesen, der sie einfach nur in die Finsternis getragen hatte. Ihr Körper hatte sich nur noch leer und schwer angefühlt.

Noch immer plätscherte der Regen in der Stille der Nacht an das Fenster. Ein leises Prasseln und Tropfen, das leise im Hintergrund rauschte, während Freya die Decke enger um sich schlang. Leise nur drängte sich stete Träufeln an der Scheibe an ihr Ohr, als würde etwas sie rufen. Nein etwas versuchte sie zu wecken. Da war noch eine Stimme. Etwas, das sie drängte, aufzuwachen.
Freya wollte jedoch nicht aufwachen, am liebsten nie wieder. Worte, die sie zwar nicht ausgesprochen hatte, doch wusste sie, dass der dunkle Lord tief in ihre Seele hineinsehen konnte. Ihren Wunsch jedoch zu erhören, schien er nicht.

Verschlafen strich sich das Mädchen mit der Hand durchs Gesicht, als etwas sie an der Wange kitzelte, nur um dann blinzelnd in leuchtende Augen hineinzusehen. Schlagartig war sie wach.

„Kater!“ Flüsterte sie, während Freya seine Pfote auf ihrer Haut spüren konnte. Die ledrigen Ballen seiner Tatzen, die sie an der Schulter berührten. Benommen richtete sie sich leicht auf, nur um eilig und panisch zugleich zu Milla zu sehen, die jedoch ruhig atmete. Was, wenn sie aufwachte? Wenn die Gräfin nun zur Tür hereinkam? Unmittelbar zog sich ihr Magen zusammen. Verstöße wurden umgehend gemeldet. Zwar kannte sie nicht die unmittelbaren Strafen, doch in Anbetracht der wenigen Dinge, der Furcht, der Disziplin, die herrschte und der Präsenz, die von der Gräfin ausging, wollte sie es auch nciht unmittelbar herausfinden.

Eilig wandte Freya sich wieder Haedinn zu, während sie ihrem eigenen Atem für einen Moment lauschte, um nicht nur wach, sondern auch ihre überschäumenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. Wenn der Kater wieder da war, bedeutete es auch, dass es vielleicht doch einen Ausweg gab. Er war hier, ganz so, wie er es versprochen hatte. Ihr war bewusst, dass er auch gescheitert sein konnte, doch auf welche Weise sonst, sollte sie Rettung finden. Hoffnungsvoll sah sie ihn mit ihren großen blauen Augen an, während ihre Stimme sich nur zu einem leisen Flüstern formte. „Hast du sie gefunden? Sind sie hier?“
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Haedinn
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#1035

Beitrag: # 54446Beitrag Haedinn »

"Wirst du wohl still sein?" murrte Haedinn und schüttelte seinen Kopf, als wäre dieser ein verrückter Kreisel. "Ich sagte dir doch schon mehrmals, nicht immer so viele Fragen stellen." Er zog sich wieder von Freya zurück und schob dabei die Decke von ihrem Körper. "Besser bewegen als reden." Sein Kopf drehte sich wie jener einer Eule gleich in Richtung der schlummernden Mitbewohnerin. Ein Desaster, wenn sie aufwachte! Man wollte sich das Grauen nicht ausmalen, wenn sie erwischt wurden. Das war jetzt vielleicht die einzige Chance für das Kind und die wollte sie für Fragen opfern?

Fragen, immer wieder Fragen. Mehr als es Sterne am Himmel gab. Der Kater betrachtete das Mädchen mit einem fragenden Grinsen auf seinem Gesicht. War es möglich, dass sie nur Fragen kannte? Vielleicht war sie aus einem Bündel aus Fragen geboren worden. Und dafür konnte niemand sie tadeln, man sucht sich schließlich nicht aus, wie man auf die Welt kam. 


Diese Klärung musste aber warten, erstmal mussten sie aus diesem Zimmer hinaus. Ganz vorsichtig, denn wer wusste schon, was sich in den dunklen Gängen herum schlich?  Trotzdem, vielleicht war es an der Zeit dem Mädchen etwas Mut zu machen, indem er ihr zeigte, dass sie schon ganz in Ordnung war, so wie sie war. Er war schließlich auch nicht ganz richtig.

Mit einem leisen Seufzer hob er sich auf die Höhe ihres Gesichts und flüsterte dem Schlagen von Schmetterlingsflügeln gleich:
"Nicht ich, nicht du, keiner von uns kann einfach so nach Hause spazieren. Man kann sich an den Rändern bewegen, aber nicht darüber hinaus. Oder machst du das in deiner Welt? Wenn ja, wundert es mich nicht, dass du heruntergefallen bist." 


Haedinn sprang zur Seite und schlich auf leisen Pfoten in die Richtung des Schranks. Mir scharfen Augen hatte er beobachtet, wie Milla Freya alles gezeigt hatte und nun öffnete er selbst mit seinen Krallen die Türe. Hoffentlich knarrte sie nicht und stahl somit die Stille der Nacht. Langsam, als tanzte eine Schnecke Ballett, zog er die Türe auf und lauschte mit seinem verbliebenen gespitzten Ohr, ob sich etwas bewegte. 

Da alles still blieb, steckte er seine Schnauze in den Schrank, schnupperte noch kurz an den unterschiedlichen Gerüchen, man wusste schließlich nie, was in Schränken noch so sein konnte und biss in das praktischere Paar Schuhe. Da hatte Haedinn nämlich besonders gut zugehört. 

Das Glühen seiner Augen wanderte in Richtung des Mädchens auf dem Bett. Wo blieb sie nur? Er war verwirrt darüber, dass sie nicht schon längst hinter ihm nachgegangen war. So schlaftrunken konnte sie doch nicht sein. Abwartend glitt seine Aufmerksamkeit nochmals in das Innere des Schranks. Diese Einrichtungsgegenstände waren gut, ja, sie boten wunderbare Versteckmöglichkeiten, wenn die Not am größten war. Dumm nur, dass sie von innen nicht abschließbar waren.

Manchmal aber, wenn man etwas Glück für sich verbuchen konnte und genauer suchte, fand man in ihnen eine weitere Türe. Nicht durch alle passte man, da konnte es schon sein, dass man sich besonders klein machen und sich zuvor zusammenfalten musste. Diese Türen führten zu anderen Zimmern, je nach Ort sogar zu anderen Häusern. Eine bequeme Reisemöglichkeit, vor allem, wenn man in einer Stadt lebt. Hier draußen, im Herzen des ewigen Waldes, wo das letzte Dort weit hinter oder vor ihnen lag, je nachdem, wie man sich dreht und wendet, konnten sie nur innerhalb des Hauses vorankommen. Hier war es aber nicht ratsam, das auszuprobieren. Am Ende landeten sie noch direkt im Schlafzimmer der Gräfin. 


Freya wusste das wahrscheinlich auch und wartete deshalb auf ihrem Bett. Aber auch das Bett war eben keine adäquate Möglichkeit für eine Flucht. Weder konnte es fliegen, noch besaß es geheime Türen. Vielleicht war es ja so, dass man in ihrer Welt durch Polster oder Matratzen hindurch wanderte und wo anders herauskam. Hier jedoch war das nicht möglich. Da Haedinn aber kein Unkater war, wollte er sie nicht völlig entmutigen. Freya klammerte sich offenbar an jede noch so kleine Hoffnung. 

Mit ordentlich eingezogenen Krallen, tapste er auf seinen weichen Ballen zurück zu ihr, darauf bedacht, kein Geräusch zu hinterlassen. Auf ihrem Bett stellte er das Paar Schuhe ab und zuckte mit seinem Kopf ungeduldig hin und her, als wäre dieser das Pendel einer großen Uhr. Er besaß keines dieser hübschen Zeitmessgeräte. Täte er es aber, hätte er mit seiner Pfote darauf getippt und es vorwurfsvoll angestarrt, um Freya zu zeigen, dass jede Sekunde zählte. Weiterhin wartete er auf eine Regung und auf ihren eigenen Antrieb, die Flucht zu ergreifen. War sie vielleicht kaputt gegangen? Oh! Oder musste man sie zuerst aufziehen? 

Er erinnerte sich an eine Familie, bei der er sich morgens oft eingeschlichen hatte, um ein wenig vom Frühstück zu stibitzen. Dort lernte er, dass Kinder nicht alle gleich funktionierten. Einige waren etwas langsamer als andere. Was aber nicht an der geistigen Leistung lag, nein, gewiss nicht! 

Es gab Kinder, die mussten zuerst aufgezogen werden. Mit einem Schlüssel, versteht sich. Ab in den Rücken, einige Male kräftig drehen und schon liefen sie wie große Spielzeugpuppen. 
Natürlich kamen die Kinder nicht so auf die Welt. Das wäre doch zu seltsam, selbst für die Verhältnisse, wie sie hier herrschten. In einigen Teilen des Landes gab es die sogenannten "Puppenkünstler". Klang zunächst nach einem ehrbaren Beruf und jene die ihn ausübten, sahen das wahrscheinlich auch so.

Eltern brachte ihre Kinder zu den Künstlern, wenn diese vorzeitig aus dem Leben schieden, ob durch Krankheit, einem Unfall oder Zufall. Der Tod des eigenen Kindes ist schmerzhaft, kaum zu ertragen. Aber die Puppenkünstler wissen, den Schmerz zu lindern, ja, ihn gar auszulöschen und holen die Toten zurück ins Leben. 


Sie setzen den leblosen Körpern einen komplizierten Mechanismus ein. Eine Arbeit, die alles andere als angenehm sein musste. Zahnräder, Halterungen und Drähte müssen zwischen Organen und Muskeln verankert werden, an die Knochen gebunden und dabei funktionstüchtig gehalten werden. Blutig und schweißtreibend, das war es, was diese Arbeit war, weshalb sie auch Unsummen kostete. Nicht nur Gold, die Puppenkünstler nahmen den Familien noch ganz andere Dinge.

Ob es das am Ende wert war? Das können nur die Eltern beantworten, die diesen Dienst in Anspruch nahmen. 


Damit der Mechanismus sich in Gang setzte, musste der Rücken an der Wirbelsäule geöffnet werden und durch diese Öffnung wurde ein speziell angefertigter Schlüssel gesteckt. Für jedes Kind gab es einen eigenen Schlüssel, weshalb man höllisch aufpassen musste, diesen nicht zu verlieren, da der Antrieb nicht länger als einen halben Tag lief. Immer und immer wieder müssen Mutter und Vater ihre Kinder aufziehen, bis sie der Aufgabe überdrüssig werden. Oder bis sie selbst starben. 

So wie früher waren diese Kinder aber nicht. Oft genug hatte Haedinn es damals beobachtet. Die Haut blieb immer blass und wirkte wie Wachs, hier und da durchzogen von Nähten, die mal kunstfertig, mal ziemlich stümperhaft gesetzt waren. Doch egal wie geschickt, sie verrieten stets das unnatürliche Werk, das im Inneren des kleinen Körpers vollbracht worden war. Manchmal waren die Augen leer und glanzlos, manchmal jedoch blitzte ein letzter Funken des vorherigen Lebens darin auf. Wer genauer hinsah, konnte kleine Zahnräder in der Pupille erkennen, die das Blinzeln und die Bewegung der Augen steuerten. Bei Haedin hinterließ das immer ein seltsames und beklemmendes Gefühl, diese mechanischen Bewegungen zu beobachten, die viel zu präzise wirkten. 

Immer noch sah er Freya an. War da gerade ein verräterisches Blinzeln gewesen? Der Junge aus dem Haus war damals wohl so alt wie sie heute. Älter wurde er nicht, das war für diese Kinder nicht vorgesehen. Es hätte eine Menge Arbeit gemacht, immer und immer wieder alles auszutauschen und an das Wachstum anzupassen. 

Haedinn erinnerte sich an das Geräusch, wenn die Mutter den großen Schlüssel in den Rücken steckte und diesen drehte. Es war ein leises, kontinuierliches Summen und ein rhythmisches Klicken der unterschiedlichen Mechanismen, die den gesamten Körper durchzogen. Gleich darauf folgten die ersten Bewegungen des Kindes, das sich langsam aufrichtete, die Arme prüfend hob und erste Schritte machte. Fast schon unheimlich, wie elegant und gleichmäßig der Junge sich bewegte, so perfekt, dass es fast zu perfekt war. 

Ob die Kinder der Puppenkünstler wirklich Lebendigkeit besaßen? Schwer zu sagen. Hin und wieder sah man einen schwachen, fast geisterhaften Ausdruck von Freude oder Trauer in ihren Gesichtern. Ausgelöst durch Erinnerungen und den letzten Hauch einer Seele, die vielleicht noch in diesen Körper verweilte. War Freya womöglich auch schon einmal tot gewesen und von ihren von Kummer und Schmerz verzehrten Eltern zu einem Puppenkünstler gebracht worden?

Ihren Rücken hatte er vorhin bei ihrem Bad nicht genauer inspizieren können. Ihr Gesicht wirkte aber ganz normal, nicht so, wie das einer lebendigen Puppe. Nähte sah er keine und ihre Augen waren meistens doch äußerst lebhaft. Wissen aber konnte man es nicht. Die Puppenkünstler aus ihrer Welt waren vielleicht noch geschickter in ihrem Handwerk als jene von hier. Den großen Schlüssel, der zwingend notwendig war, hatte er bisher aber noch nicht an ihr gesehen. Egal, was die Antwort war, dieser Frage musste er etwas später nachgehen. 


Die Zeit drängte. Tick, Tack, Tick, Tack. 

"Zugegeben, Eile ist Verschwendung, weshalb ich es selten eilig habe. Wenn mir aber ein Halsband angelegt wird und ich Kunststücke und Kommandos lernen soll, würde ich rennen." schnurrte Haedinn mit einem Grinsen so breit, wie die Sichel des Halbmonds. 

 
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-Freya-
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#1036

Beitrag: # 54448Beitrag -Freya- »

Nein, Freya war nicht aus einem Bündel aus Fragen geboren. Allerdings konnte sie es auch nicht widerlegen. Weder kannte sie ihren Vater noch ihre Mutter. Alles, was es zu ihrer Vergangenheit gab, war der Eintrag ihrer Taufe. Ein Beleg ihrer Existenz, die man dadurch zumindest nicht anzweifeln konnte, auch wenn sie sich in ihrem Umfeld immer wieder selbst wie ein unsichtbares Wesen vorgekommen war.

Somit war auf jeden Fall belegt, dass es die Erziehung war, die das Mädchen geprägt hatten, stets nach Antworten zu suchen. Die Einstellung, stets die Dinge zu hinterfragen und ein offenes Auge zu haben, anstatt blindlings in irgendein Unheil zu taumeln. Der Erfolg dessen war allerdings deutlich mäßig, war sie trotz allem nun hier.

Hier, in einem fremden Bett. Einem Bett, irgendwo in einem Anwesen einer Gräfin, die sie offenbar zu einer Zuchtstute machen wollte, um sie gewinnbringend an irgendein widerliches Wesen zu verkaufen. Hübsch anzusehen, mit einer Geschichte und allem, was dazu gehörte, um sie nicht nur äußerlich ansehnlich wirken zu lassen, sondern auch noch lohnenswert darzustellen. Die Alternative war der Metzger.

Unsicher sah Freya in die leuchtenden Augen des Katers, der sich dem Schrank zuwandte. Grott, war er verrückt geworden? Wenn die Tür nun knarrte oder er irgendeinen Laut hinterließ, konnte Milla unmittelbar wach werden. Wie sollte sie das erklären? Brauchte es dann noch eine Erklärung oder folgte daraus dann eine unmittelbare Konsequenz?

Eine Flucht, es schien ihr einfach abwegig. Absolut unmöglich, auch wenn sie durch die Vordertür hinauskommen sollten. Dort draußen waren sie umgeben von einem schaurigen Wald, und das Flüstern, das das kalte Metall in ihren Geist gebrannt hatte, hallte noch immer warnend nach. ~Ich bin bei dir, für immer.~

Immer war eine lange Zeit, und etwas in ihren Gedanken wisperte ihr, dass sie die Worte ernst nehmen sollte. Instinktiv strich sie über das kalte Metall, das ihren Hals umgab. Zart, kühl und auf eine Weise entmutigend. Wie sollten sie flüchten, wenn die Gräfin sie nicht freigab? Es gab vermutlich nur zwei Wege. Jemand befreite sie und gab der Gräfin dafür, was immer sie verlangte, oder ihr Körper wäre kalt, wenn er über die Schwelle trat.

Wäre es schließlich so einfach, zu entkommen, warum waren dann all die anderen Kinder noch hier? Andererseits schien der Kater die Gräfin zu kennen. Seine Warnung im Bad hatte darauf hingedeutet. Was wenn er tatsächlich Hilfe geholt oder einen Plan – vielleicht sogar beides hatte? Was, wenn es einen Weg hinaus gab, den sie nicht sah? Eine Tür, die sich öffnete und weit weg von all dem in die Freiheit führte?

Leicht nur senkte Freya ihre Lider und atmete entschlossen ein, bevor ihr Blick musternd zu Milla sah, um sich von ihrem Schlaf zu überzeugen. Ruhig und gleichmäßig schien sich ihr Atem zu bewegen. War sie eine Närrin, wenn sie liegen blieb und sich in Akzeptanz übte, um einen Weg hinauszufinden, oder war sie einfach nur naiv, wenn sie glaubte, tatsächlich mit dem Kater zusammen die Flucht antreten zu können? In ihrem Inneren kämpften Angst und Hoffnung miteinander. Sie wusste nicht, was sie im nächsten Augenblick oder am folgenden Tag erwarten würde. Aber eines wusste sie: Sie konnte hier nicht bleiben. Sie musste es versuchen.

Leise schlug das Mädchen die Decke zurück und konnte direkt spüren, wie sich eine Gänsehaut über ihren Körper hinweglegte. Ein Frösteln, das jedoch nicht seinen Ursprung allein der nächtlichen Kälte verdankte. Doch das Mädchen erlaubte ihrer Angst nicht, dass sie sie lähmte.

Stattdessen richtete sie sich auf, ehe ihre Augen sich wachsam von ihrer Kragenschwester zu Haedinn wandten. Der Kater schien mehr als sie selbst davon überzeugt zu sein, wie ihre Entscheidung ausfallen sollte, als er auf die Stiefel sah, die er vor ihr abstellte. Einen Einspruch erlaubte er ihr offenbar aber nicht. Sie sollte still sein, und wenn sie ihm folgte, dann musste sie das ganz gewiss auch sein. Jedes Geräusch und jedes Wort konnte verräterisch sein und sie von einem Moment auf den anderen enttarnen.

Nein, der Kater musste einfach einen Plan haben. Ruhig atmete das Mädchen ein und blinzelte zu Haedinn. Einen Plan, eine Idee einen Weg. Er oder vielleicht auch die Legion oder Naheniel – Freya biss sich auf die Lippen, während sie vorsichtig mit ihren nackten Füßen in die Stiefel schlüpfte. Das Mädchen wollte nicht länger an ihn denken oder ihn als einen Freund sehen. Er kam bestimmt nicht. Das hatte er sie deutlich spüren lassen. Er hatte nur den Schlüssel in ihr gesehen. Etwas, das hier spürbar ohne Bedeutung war.

Noch einmal vergewisserte Freya sich, mit einem verstohlenen Blick, dass Milla schlief. Verflixt, sie riskierte vielleicht alles. Eine Möglichkeit selbst einen Ausweg zu finden, indem sie ihre Rolle vorerst annahm. Sie stürzte sich womöglich in ihr eigenes Unglück und riskierte dabei eventuell sogar ihr Leben, wenn man sie erwischte. Doch welche Wahl hatte sie?

Langsam stand das Mädchen auf, um möglichst kein Geräusch zu hinterlassen. Weder ein Rascheln des Betts noch ein Knarzen der Bodendielen. Sie durfte sich keine Zweifel erlauben und doch raste ihr Herz unmittelbar vor Anspannung. Freya spürte das laute Pochen bis in ihre Fingerspitzen. Ohne jedoch ein Wort zu sagen, folgte sie dem grinsenden Kater zur Tür. Wie konnte er nur Grinsen? War es Zuversicht?

Die Dunkelheit des Raumes schien sie zu verschlucken, als sie lautlos an ihm vorbeiging, um behutsam die Klinke hinunterzudrücken und die Tür einen Spalt zu öffnen. Ganz langsam, während sie wortlos Ogrimar darum bat, dass sie kein Geräusch von sich geben würde.

Ein kalter Lufthauch strich ihr entgegen, nur um sich mit dem Zittern zu vermischen, das sie nicht unterdrücken konnte. Sacht ließ es die dunklen Strähnen um ihr Gesicht auftanzen, während das weiße Hemdchen an seinem Saum ihre Beine fließend umspielte. Schweigend sah Freya zu Haedinn, damit er vor ihr hinaus huschte, ehe sie ihm leise und vorsichtig folgte.

Der Korridor war in Dunkelheit gehüllt. Schwach nur zeichneten sich die Silhouetten der Möbel an, die durch das Mondlicht, welches durch die hohen Fenster drang, gespenstische Schatten auf den Boden warfen. Das Anwesen war ruhig und weckte den Anschein, dass alles schlief. Zumindest schien es still, sodass nur die Geräusche des Donners und des Regens draußen gedämpft durch die dicken Mauern drangen.

Sie hatte keine Ahnung, welchen Weg sie einschlagen mussten. Alles war für sie so verwirrend und sie selbst hatte in mancher Weise bereits jetzt die Orientierung verloren. Also musste sie dem Kater wohl vertrauen. Deutlich kroch die Angst über ihren Nacken hinweg, doch, wenn sie hierblieb, würde sie vielleicht wie die seelenlosen Hüllen enden.

Jeder Schatten, jedes Knarren ließ sie zusammenzucken, doch sie zwang sich, weiterzugehen, Schritt für Schritt, dem flüsternden Versprechen des Katers folgend.
Für sich selbst, für ihre Freiheit. Und so ging sie weiter, angetrieben von einem Funken Hoffnung, der sich in ihrem Herzen entzündete, während sie dem Kater in die Dunkelheit folgte, auf der Suche nach einem Weg hinaus.
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Haedinn
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#1037

Beitrag: # 54450Beitrag Haedinn »

Mit einem Sprung, flink und geschmeidig, huschte Haedinn an Freya vorbei, hinaus in den Flur, der sich vor ihnen erstreckte. "Folge mir, und wir entkommen dem Ticken der Zeit, zumindest für einen Moment. Denn wer will schon ein Gefangener sein?" Der Gang, auf den sie traten und den sie eigentlich schon zuvor betreten hatten, gab es schließlich nur eine Türe in dem Zimmer, war aber irgendwie nicht gleich geblieben. Vorhin eigentlich kurz, nun aber endlos lang, gespickt mit einer Vielzahl von Türen, wo zuvor kaum welche waren, erstreckte sich der Gang vor ihnen. Und die Treppe? Wo war diese plötzlich hin gekommen? Er konnte sich genau an sie erinnern, sie war dagewesen. Denn wenn, wenn nicht über die Stufen, wären sie hierherauf gelangt?
 

Unsichtbar war er Milla und Freya aus dem Speisesaal gefolgt, Stufe für Stufe, und doch war nun keine Spur mehr von diesem Aufstieg zu finden. Verspeist von dem Haus? Das wäre doch ziemlicher Unsinn, also für das Haus! Häuser verspeisen sich nicht selbst, auch wenn es bestimmt etwas Verlockendes hat, an der eigenen Einrichtung zu knabbern.

Ein wenig verwirrt, mehr als er es sonst schon war, setzte sich Haedinn auf seine knöcherne Hinterpfoten und sein Schwanz, der auf dem kalten Steinboden klapperte, gab ein seltsames Geräusch von sich. Wo nun hin? Eigentlich gab es nur eins:  Geradeaus, immer geradeaus, solange keine Kurven den Weg versperren. Das war die einzige Möglichkeit, die ihnen offenstand. Wieder erhob sich der Kater, doch die Sicherheit in seinen Schritten, mit denen er sich nun vorwärts bewegte, war dahin. Freya war hinter ihm, das wusste er, denn kein noch so leiser Atemzug oder zartes Geräusch konnte seinem feinen Gehör entgehen. Noch dazu schnupperte er immer wieder heimlich nach ihr. Auch wenn ihr immer noch der Duft aus dem Badezuber anhaftete, rochten Menschen eben immer noch wie Menschen eben rochen.

Schritt für Schritt ging er vorwärts. Es folgten zahlreiche weitere Schritte und doch schien der Gang kein Ende zu nehmen. Der Flur, der zuvor nur ein paar Türen zählte, glich nun einer endlosen Allee. Das war ganz schön einschüchternd, auch für einen wie ihn. Aber was half es? Sie mussten weiter gehen. Haedinn konnte ewig laufen, das war nicht seine Sorge, was aber war mit dem Menschenmädchen? 

Vielleicht, ja vielleicht, verbarg sich das Geheimnis der verschwundenen Türe hinter einer dieser Türen. Eine Türe, die die Gräfin im Schutze der Nacht angebracht hatte, um Verwirrung zu stiften? Ja, das musste es sein! Denn wie anders ließ sich dieses rätselhafte Labyrinth erklären? Haedinn entschied sich somit, zwischen zwei Türen innezuhalten. Jetzt galt es die Frage zu lösen, welche man wählen sollte, denn beide gleichen einander, wie zwei Wassertropfen auf dem Boden. Einen Hinweis gab es nicht, genauso wenig wie ein Zeichen. Einzig zwei Türen, die klüger oder richtiger sein könnten, je nach Stimmung und Laune. Es mag nicht ein jeder wissen, doch auch Türen haben ihre eigenen Emotionen. Wenn sie launisch sind, sollte man ihnen besser nicht begegnen. 

Eine knifflige Frage, die sich ihm da stellte. Freya wollte er aber nicht fragen, sonst würde sie womöglich gleich Reißaus nehmen aus Angst, er würde sie in die Irre führen. Noch konnte er nicht wissen, ob das Kind ihm ihr Vertrauen völlig überließ. Fraglich war es aber sowieso, ob man einem sprechenden Kater vertrauen schenken sollte. Er selbst würde es wahrscheinlich eher nicht tun. Was gar nicht so dumm war, denn gäbe es nicht die Anweisung, nein, den Befehl, er wäre längst schon weitergezogen. Weit, weit fort, um wahrscheinlich mittlerweile sein letztes Schnurrhaar zu verspielen.

Ein kurzer Blick über die knöcherne Schulter zu dem Mädchen neben sich, so klein und zerbrechlich, dass ein Hauch sie umwehen könnte. Da war es, ein Ziehen im Magen. Woher kam das denn nun so plötzlich? Hunger war es nicht, das kannte er, das war ihm vertraut. 

Das hier war aber ganz anders, es spürte sich flau und fremd an. Ein Gefühl, von dem er schon öfter gehört hatte, was er aber bisher nicht kannte. Die Menschen sprachen dabei von einem "schlechten Gewissen". Brrrr, welch unangenehmes Ding! Haedinn schüttelte sich, er mochte keine neuen Gefühle. Altbewährtes war genug und es reichte ihm völlig, was er schon alles kannte. Mehr musste da wirklich nicht sein! Noch dazu, und das war gleich noch viel drückender in seinem Magen, galt das schlechte Gewissen nicht dem Mann, der ihn zu Freya schickte. Es galt dem Menschenmädchen selbst, diesem zerbrechlichen Wesen. Warum, fragte sich Haedinn, und fand keine Antwort. Nutzlos, dieses Gefühl, wirklich. Vollkommen nutzlos und noch dazu lenkte es ab. Aber auch wenn er sich Mühe gab mit seinem Schütteln, los wurde er es nicht. 

Schnell öffnete er, ohne weiter nachzudenken, die linke Tür. Er forderte Freya nicht auf, sondern trat hindurch, in einen leeren Raum. Kein Bett, kein Schrank, keine Kommode, keine Fenster. Einfach leer. Doch halt, da waren zwei weitere Türen. Wieder links und rechts. Haedinn entschied sich diesmal für rechts, denn Wiederholungen durften sie sich nicht erlauben. Das hatte er dem Kind schließlich selbst eingehend eingebläut. Gemeinsam mit ihr im Schlepptau ging er durch den Raum, öffnete die rechte Tür und trat hindurch, nur um sich plötzlich wieder auf dem gleichen Flur wiederzufinden, von dem sie gekommen waren.

Ungläubig drehte Haedinn seinen Kopf nach hinten und sein kurzes, verbliebenes Fell stellte sich auf. Wie konnte das sein? Vorwärts gegangen, aber doch zurückgekehrt? Oder war es vielleicht nur ein ähnlicher Gang? Schon wieder eines dieser vielen Rätsel, für die sie eigentlich nur wenig Zeit hatten. Somit, nicht Grübeln, sondern sich hindurch trauen. Zurückgehen konnten sie schließlich immer noch. 


Als Haedinn sich endgültig hindurch traute, bemerkte er, dass die Tür ihnen gegenüber in das Zimmer von Freya und Milla führte. Diese Tür war dunkler als die anderen, das war ihm schon aufgefallen, als sie noch zu dritt aus dem Speisesaal gekommen waren. Er war sichtlich verdutzt. Wie konnte man im Kreis laufen, wenn man immer geradeaus ging? Der Kater atmete tief durch, schwenkte nach links und nahm die Tür daneben. Nein, an seinem Näschen ließ er sich nicht herumführen. Aber wieder landeten sie in einem Raum mit zwei Türen. Fest entschlossen, nicht auf diesen Trick hereinzufallen, wählte er erneut die rechte Tür. Trotzdem, genau wie zuvor, standen sie vor der Zimmertür, bei der ihre Flucht begonnen hatte. 

Haedinns glühende Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Wie konnte das sein? Das war vollkommen unlogisch. Wenn ein Zimmer neben dem anderen lag und man durch die rechte Tür trat, müsste man im Nebenzimmer landen. Doch hier standen sie wieder auf dem Flur, vor der dunkleren Tür.

Ohne zu zögern, nahm er seine Pfoten in die Hand und spurtete, ordentlich darauf bedacht, dass Freya ihm auch folgte, den Gang hinunter, diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Er zählte die Türen, merkte sich jede Einzelne genau. Nun waren sie weit genug entfernt, das wusste er genau. Haedinn dachte nicht lange nach, seine Entscheidung kam aus dem Bauch heraus. Er drückte die Klinke herunter und – wie schon zuvor – betraten sie den gleichen leeren Raum. Kein Bett, kein Schrank, keine Kommode. Nur zwei Türen. Missmutig fauchte er und krauste sein Gesicht. Das konnte doch nicht der Ernst dieses Hauses sein! Sie probierten es nochmal. Und nochmal. Und wieder. Aber selbst wenn die Türen andere waren, das Ergebnis blieb gleich. 

Nun gut, er würde dieser Residenz schon zeigen, wer der Meister der Verwirrung war. Wenn es zuvor die rechte Tür gewesen war, dann nahmen sie nun eben die linke. Viel falsch konnten sie nicht machen. Überraschung war es keine, dass sie wieder vor der dunklen Tür landeten. Genauso wie die Male zuvor, genauso, wie es wohl immer und immer wieder geschehen würde. Doch Haedinn wäre nicht Haedinn, wenn er sich das einfach gefallen ließ. Mit einem siegessicheren Grinsen auf seinem Katzengesicht begann er rückwärts zu gehen. Nach einigen Schritten sah er Freya auffordernd an, es ihm gleichzutun und ihm zu folgen. Voller geschmeidiger Anmut setzte er seine Pfoten nach hinten. Er musste nicht sehen, wohin er ging, nur sein verbliebenes Ohr in die Richtung wenden. Rückwärtsgehen war eine seiner Spezialitäten, besonders dann, wenn vorwärts nicht mehr ging.

Rückwärts und zurück war immer eine gute Wahl, noch dazu war es vergnüglich. Zumindest für ihn. Vielleicht würde es noch dazu alles ändern, wenn sie aus den Erwartungen ausbrachen und etwas taten, womit keiner rechnete.

Vor einer Tür, von der er sicher war, dass sie sie schon einmal durchschritten hatten - so hoffte er zumindest sich richtig zu erinnern - blieb er stehen und wartete darauf, dass Freya diese öffnete und zuerst hineinging. Alles eben andersrum.


 
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Adrian
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#1038

Beitrag: # 54451Beitrag Adrian »

Vieles war undurchschaubar, nicht zuletzt auch ihre Majestät, die Prinzessin selbst. Adrians Augenbrauen zogen sich zusammen, sodass der Schatten einer Falte sich auf seiner Stirn bildete, als Liadan es vorzog, zu gehen.

Sie würden sich später noch unterhalten. Denn auch wenn Liadan die Adeptin nicht heimgebracht hatte, ging er davon aus, dass es Neuigkeiten gab Informationen. Ihre Reaktion bestätigte seine Vermutung jedoch vorerst, vertraute Adrian immerhin Liadans Einschätzung in Hinsicht auf Dringlichkeit. Wortlos folgte der Blick des Dunkelmagiers ihrer Silhouette, ohne einen Einspruch zu erheben.

Als die Tür sich schloss, wandte sich das kühle Blau seiner Augen mit einem Lidschlag Kenna zu. Trotz aller Gelassenheit, mit der Adrian an der Tischkante lehnte, zeichnete sich eine Anspannung bei ihm ab. Schatten, die sich auf seinen Zügen abzeichneten und in einem Kontrast zu seiner ruhigen Ausstrahlung standen.

Der Raum war in ein mystisches Halbdunkel gehüllt, das die Atmosphäre noch intensiver wirken ließ, als die Stille sich über sie hinweg legte.

Leicht nur schwenkte Adrian das Glas Whiskey in seiner Hand, sodass der bernsteinfarbene Inhalt die wenigen Sonnenstrahlen reflektierte und in tiefen Goldtönen aufleuchtete. Jede seiner Bewegungen war beherrscht. Präzise langsame Kreise seiner Hand, welche den Inhalt selbst in kontrollierter Gleichmäßigkeit in Wallung versetzte, wodurch sich der aromatische Duft des Alkohols mit der kühlen Luft des Zimmers vermischte und die Schatten selbst durch die Spiegelungen und Lichtbrechungen des Kristalls in Bewegung gerieten.

Eine lebendige wirkende Düsternis, die Adrian nahezu umgab und die sich mit jedem Atemzug deutlicher zu manifestieren schien, als er sich wieder Kenna zuwandte. Sie für einige Momente musternd, strich sein Blick aufmerksam über die Jägerin hinweg. Kaum konnte sie bestreiten, dass sie etwas zu erzählen oder sagen hatte. Ein undurchschaubares Aufglimmen, das sich wie ein Schatten über seine Augen legte, verdunkelte seinen Blick, ehe diese über die kleine Tasche an ihrer Robe fuhren.

Fast unbemerkt zuckten seine Mundwinkel. Ohne jedoch selbst ein Wort zu sagen, führte er lediglich das Glas an seine Lippen und nahm einen Schluck, während das kühle durchdringende Blau seiner Augen sich ohne Anzeichen von weiterer Erheiterung auf ihre Züge legte.

Sein Gesicht blieb ruhig, doch in seinem Blick lag eine Mischung aus Geduld und unausgesprochener Erwartung angesichts ihres Schweigens und der darin verborgenen Aussage selbst. 

Langsam ließ der Magier das Glas in einer geschmeidigen Bewegung sinken, ehe er fast unmerklich eine Augenbraue hob. Eine stumme Aufforderung, die erdrückender wirkte, als Worte es hätten tun können. Die Intensität seines Blickes nahm jedoch noch weiter zu, während das Blau seiner Augen sich verdunkelte. Spürbar griff er nach ihrem Blick und nahm ihn für sich gefangen, als würde er versuchen, in ihre Gedanken einzudringen.

Wortlos sah Adrian sie durch einige ins Gesicht gefallenen Strähnen hindurch nur an, bevor er nach einigen Atemzügen seine Stimme beherrscht erhob. Ein warmes Timbre, das dennoch eine unmissverständliche Autorität in sich trug, die seine Forderung unterstreichen sollte und keinerlei Einspruch oder Ausflüchte duldete.

„Was ist passiert?“
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✟ Oberhaupt der Familie Al Saher ❖ Gemahl der PriesterinTanuri Al Saher
❖ Bruder des Verlion Al Saher ❖
Gnade oder Mitleid haben noch nie einen Feind besiegt. ❖
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-Freya-
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#1039

Beitrag: # 54452Beitrag -Freya- »

Freya vertraute auf dem Kater. Es schien die einzige Möglichkeit. Sie würden entkommen. Worte, die wie ein hoffnungsvolles Versprechen klang, während sie dem Kater dem geraden Gang entlang folgte.

War der Flur nicht anders gewesen, als sie mit Milla hergekommen war? Waren sie nicht erst rechts, dann wieder rechts und dann links einem Gang gefolgt? Im Dunkeln sah alles so gleich aus. Allerdings war nirgendwo eine Vase, eine Kommode oder gar ein Bild an der Wand.

Eine Tür reihte sich neben einer anderen. Sie spürte das Frösteln auf ihren nackten Armen, während sie auf Zehenspitzen hinter dem Kater durch die Tür folgte. Er kannte den Weg doch sicher, oder nicht?

Ihre großen Augen trafen unmittelbar aus seinem Blick, als jener sich kurz zu ihr herumdrehte, als würde er sich versichern, dass sie ihm noch folgte. Unsicher lächelte sie ihm zu. Ja, er wusste es doch bestimmt, wie er hineingekommen war, was bedeutete, er wusste auch, wie es wieder nach draußen ging. Katzen waren nicht dumm. Zudem waren sie Jäger und witterten Dinge, an die ein Mensch noch nicht einmal dachte.

Leise schritt sie hinter ihm durch die Tür, um diese schnell und leise zu schließen, bevor sie sich in einem kleinen Raum wiederfand. Nur schemenhaft zeichnete sich dieser ab, doch viel Zeit erlaubte ihr Komplize nicht, um diesen zu betrachten, geschweige denn, dass es viel zu sehen gab. Ein leeres Zimmer an dessen Wänden sich erneut zwei Türen befanden. Entschieden wählte dieser bereits direkt die Tür zu seiner rechten und setzte seinen Weg fort.

War es noch weit? Sie spürte, wie die Angst selbst über ihren Körper hinwegkroch. Was, wenn Milla wach wurde oder die Gräfin selbst sie erwischen würde? Nein, sie durfte nicht darüber nachdenken. Es würde ihnen gelingen.

Leise huschte Freya hinter ihm durch den Türspalt und zog die Tür leise ins Schloss, bevor sie sich zu Haedinn herumwandte. Sein Blick schien jedoch ungläubig oder vielmehr verwirrt auf die Tür vor ihnen zu sehen. Sie war dunkel. So dunkel wie das Holz ihrer eigenen Tür. Noch verstand Freya nicht wirklich, weder seinen Blick noch seine Reaktion, als er unmittelbar in die andere Richtung rannte.

Ohne ein Wort zu sagen, hatte er von einem Moment auf den anderen die Beine in die Hand genommen, als wäre der Hund ihnen auf die Schliche gekommen. Sie konnte ihm aber auch nicht zurufen, dass er warten sollte. Nein. Entweder blieb sie ihm auf den Fersen.

Zügig folgte sie mit eiligen Schritten über den Flur entlang. Eine Vielzahl an Türen zogen an ihr vorbei, ehe der Kater sich schnurstracks einer Tür zuwandte und hindurch flitzte. Als Freya hineintrat, hatte sie das Gefühl, dass die hier schon einmal gewesen war. Der kleine Raum war wie jener zuvor. Ein leeres Zimmer ohne Fenster oder Möbel. Nur erneut zwei Türen, die sie nach links oder rechts führen sollten. Haedinn vertrauend blieb sie direkt hinter ihm, doch war sie stets darauf bedacht, die Tür zu schließen, nur um wieder hier zu sein. Hier vor der Tür aus dunklen Holz.

Wie oft sie das ganze wiederholten, wusste Freya nicht. Doch ganz gleich welche Tür sie nahmen, ob die erste oder die fünfte, ob rechts oder links, es spielte keine Rolle. Sie kamen immer wieder am selben Ort an, als würde etwas sie stets im Kreis laufen lassen. Etwas, das unmöglich sein konnte und doch ergriff sie immer mehr das Gefühl, dass etwas nicht stimmen konnte.

Freya spürte die Beklemmung und Verzweiflung, die dieser endlose, sich wiederholende Flur in ihr auslöst. Sie konnte das unbehagliche Gefühl nicht abschütteln, dass sie in einer Art Labyrinth gefangen waren, das sie nicht entkommen ließ. Die Dunkelheit und die Kälte des Flurs schienen ihre Hoffnung zu ersticken.

Ungläubig sah Freya zu dem Kater hinab, als er rückwärts schreitend sich auf eine Tür zubewegte. Was sollte das denn bitte ändern? Das war doch Quatsch. Ob sie vorwärts oder rückwärtsgingen, ob sie krabbelten oder flogen. Es machte doch keinen Unterschied. Oder etwa doch? Keine Zweifel.

Er war zu ihr gekommen, um sie hier raus zuführen und wo man hineinkam, da musste es auch einen Ausweg geben. Ihre Lider senkten sich, ehe sie vorsichtig einen Fuß hinter den anderen setzte. Langsam, denn sie hatte hinten keine Augen und wer wusste schon, was hinter der nächsten Tür lauern sollte?

Vorsichtig fühlte sie mit ihrer Hand nach dem Türknauf. Ein unsicheres und zugleich vorsichtiges Ertasten der Klinke, deren kühles Metall sie unter ihren Fingerspitzen spüren konnte. Sacht drückte sie die Tür auf, bevor sie ihre Lider senkte. Was tat sie hier nur? Doch bevor sie sich weiter hinterfragte, folgte sie dem Kater rückwärtsgehend hinein. Als sie ihre Wimpern hob, weiteten sich ihre Augen. Es war unmöglich. Das konnte nicht wahr sein, oder?

Abermals befanden sie sich in einem kleinen Raum. Eine Tür zu ihrer linken und eine zu ihrer rechten. Fragend sah sie zu Haedinn, der scheinbar die linke Tür bevorzugte. Sie musste sich auf ihn verlassen, auch wenn nach den bereits gefühlten vierzig Türen, die sie durchschritten hatten, das Mädchen so langsam das Gefühl beschlich, dass etwas nicht stimmte. Entweder hatte der Kater keinen Plan, wie sie entkommen konnten, geschweige denn, welcher Weg der richtige war, oder aber etwas hinderte sie daran nur in die Nähe der Treppen zu gelangen.

Aber sie konnten nicht einfach aufgeben. Als sie ein weiteres Mal durch die Tür trat und wieder auf jene eine Tür sah, die sogar für ihre Augen sich deutlich von allen anderen abzeichnete, hielt sie im Rahmen inne.

Vorsichtig streckte sie ihre Hand nach Haedinn aus, um ihn mit den Fingerspitzen am Nacken zu berühren. Ob er ihre Geste verstand? Ihre Augen weiteten sich, ehe sie auf die noch offene Tür deutete. Rückwärtsgehen. Vielleicht war das die Lösung. Ihre Lippen formten nur das Wort ‚Komm‘, bevor sie zurück durch die Tür trat, die sie wieder in den Raum mit den Türen führte. Doch sollte ihr nicht eigentlich eine gegenüberliegen und eine zu ihrer rechten sein?

Verwirrt sah sie sich um, einen letzten Blick auf den Gang und die dunkle Tür, bevor sie Haedinn andeutete die linke zu nehmen. Eben jene, die eigentlich nicht hätte da sein sollen.

Leise ging sie hinter ihm, nur um fassungslos genau wieder dort herauszukommen, wo sie hineingegangen waren. Erneut standen sie ihrer eigenen Tür gegenüber. Das war doch alles einfach nicht wahr. Es konnte einfach nicht sein. Wie? Was hatte das zu bedeuten?

Unmittelbar drehte das Mädchen sich herum, um in den kleinen Raum zu sehen. Wie konnte das sein? Der Saum des Nachthemds schwang leicht um ihre nackten Beine, als ungläubig in das Zimmer trat und langsam in die Knie ging. Es war, als ob die Last ihrer eigenen Ängste sie nach unten zieht.

Langsam sank Freya auf die Knie. Jede ihrer Bewegungen schienen schwer und müde. Zitternd legte sie ihre zierlichen Hände vor ihrem Körper auf den Boden, als würden ihre Finger suchen. Eine zarte Gänsehaut zeichnete sich auf ihren Armen ab, während die Kälte durch das dünne Material ihres Nachthemds drang und sich mit der Verzweiflung der bitteren Erkenntnis vermischte.

Ihr Kopf neigte sich nach unten, sodass ihre Haare wie ein dunkler Vorhang über ihr Gesicht fielen. Für einen Moment schloss Freya ihre Augen, als könnte sie für einen Moment sich der Welt und der Ausweglosigkeit um sich herum entziehen. Bebend und blass formen ihre Lippen stumme Worte des Schmerzes und der Hoffnungslosigkeit.

Eisig kroch die Unsicherheit über ihren Körper hinweg und hinterließ eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass die Gräfin sie vielleicht genau in diesem Moment beobachtete. Ein zartes Glitzern benetzte ihre Wimpern, als sie ihre Augen wieder öffnete. Ein Funkel, das ich in ihrem Augenwinkel löste, ehe Tränen schimmernd über ihre Wangen rannen.

„Es ist sinnlos..“ Flüsterte sie leise, wie eine eiskalte Gewissheit, die sich unbarmherzig in ihr ausbreitete und ihre Stimme mit einem leichten Zittern belegte. „Kannst du uns nicht unsichtbar machen oder hier raus zaubern, Kater?“

Eine Frage, die vermutlich umsonst war, doch ihre Gedanken kreisten an jedem noch so unsinnigen Faden, nach dem sie greifen konnten. Ihre Magie funktionierte ja ebenso wenig, wieso sollte es bei dem Kater noch klappen?

Es gab nur einen Weg. Sie musste sich fügen. Akzeptieren, ohne ihren Glauben zu verlieren. Die trübe Erkenntnis drängte sich in ihr zartes Flüstern, das, auch wenn es nur leise über ihre Lippen kam, die Hoffnung, die sie in den Kater setzte, widerspiegeln sollte.

„Du musst Hilfe holen, Kater. Alleine werden wir es nicht schaffen.“
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#1040

Beitrag: # 54454Beitrag Kenna de Vil »

In den privaten Räumen der Legion

Ihre Frage nach Freya sollte zunächst unbeantwortet bleiben, doch würde sie sicher noch einmal darauf zurückkommen. Hätte es jedoch positive Nachrichten diesbezüglich gegeben, wäre sie gewiss direkt beantwortet worden.

So schob Kenna die möglichen Szenarien gedanklich vorerst beiseite - aufgeschoben ist nicht aufgehoben - und erwiderte Liadans offenes Lächeln, welches im direkten Kontrast zu Adrians finsterer Miene stand.

„Ich werde gerne darauf zurückkommen.“ Ein Bogenbauer und Meister seiner Kunst war rar und schließlich kaufte man ungern die Katze im Sack. Immerhin war ein solches Instrument der Präzision eine Vertrauensangelegenheit und man bekam es nicht einfach im nächsten Dorfladen. Und wenn Liadan eine Empfehlung abgab, dann sicher nicht leichtfertig.

Kaum hatte Kenna den Gedanken zu Ende gedacht, schlüpfte Liadan bereits zur Tür hinaus, als hätte sie es plötzlich sehr eilig. Gerade noch Worte des Abschieds formulierend, schloss sie sogleich den Mund wieder und betrachtete noch einige Momente die geschlossene Tür.

Sie spürte Adrians Blick auf sich ruhen und kaum da seine Schwägerin den Raum verlassen hatte, wirkte alles noch ein wenig Dunkler, als würden die Schatten selbst ihre Schlingen enger ziehen.

Einige Herzschläge nahm die Jägerin sich noch, bevor sie sich seinem unausweichlichen Blick stellte. Die Stille, welche sie je länger sie andauerte herauszufordern schien, breitete sich aus, bis Adrian sie just in dem Augenblick durchbrach, als Kenna den Blick zu ihm anhob. Die blonden Strähnen seines Haares, welche ihm locker in die Stirn fielen und seinem unnachgiebigen Ausdruck ein wenig die Schärfe nahmen, weckten in ihr das Bedürfnis, sie ihm zur Seite zu streichen, wie sie es schon so oft getan hatte. Verschiedene Gefühlsregungen rührten sich in ihr, angefacht vom warmen Klang seiner Stimme, doch sie widerstand dem Drang sich ihm einfach in die Arme zu werfen. Stattdessen ergriff sie seine freie Hand, verwob ihre Finger mit seinen und drückte fest zu, während sie nur einen Schritt tun musste, um direkt vor ihm zu stehen. Dann setzte sie an und erzählte ihm was geschehen war.

„Wie vereinbart folgte ich einer Spur, welche ich den Seiten des Tagebuchs entnommen hatte, als im Lichthafener Wald plötzlich mein Pferd scheute. Ich weiß noch, dass ich den Halt verlor und fiel. Vermutlich brach ich mir dort das Bein, denn ich verlor das Bewusstsein.“ Leicht nur schüttelte sie den Kopf und zog die Augenbrauen etwas hoch, als könne sie selbst kaum glauben wie das alles hatte passieren können.

 „Aus heutiger Sicht denke ich, dass der weiße Pfaffe bereits dafür gesorgt haben könnte, dass dies so geschah und er meinen Wallach absichtlich erschreckt hat.“ Unterdrückter Zorn ließ das Blau ihrer Augen sich verdunkeln, doch sie hielt an Adrians Blick fest, der ohnehin nicht gewillt war sie freizugeben.

„Jedenfalls war es jener Schmerz in meinem Oberschenkel, der mich in den Hallen des weißen Abschaums wieder zu mir kommen ließ.“ Berichtete sie dem Dunkelmagier von den Geschehnissen, während die Kälte in seinen Augen mit jedem ihrer Worte an Intensität gewann.

 
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Haedinn
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#1041

Beitrag: # 54455Beitrag Haedinn »

Weinte das Mädchen nun etwa? Wie unpassend, wie unerhört! Zeit für Tränen, das hatten sie nun wirklich nicht. Fragen, Antworten, Weinen – alles völlig fehl am Platz. Weinen kann zudem recht laut werden, je nach Intensität der Schluchzer und ungebetenen Gäste war das Letzte, was sie gebrauchen konnten. 

Natürlich, die Frustration konnte man schon verstehen. Immer wieder denselben Raum vor Augen zu haben, das kann auf die Laune schlagen. Doch, so war Haedinn überzeugt, selbst dieses Haus wird irgendwann müde werden von seinem eigenen Spiel. 
"Auf dem Boden, Menschenmädchen, wirst du keinen Halt finden. Aber vielleicht findest du dort die Hoffnung, die dir gerade abhanden gekommen ist. Soll ich dir beim Suchen helfen?" Verschmitzt lächelte der Kater und schnupperte sogleich auf dem Boden und berührte dabei spielerisch mit seiner Nasenspitze den Handrücken des Mädchens. "Aber sag mir, was würdest du tun, wenn du die Hoffnung findest? Aufessen kannst du sie nicht, genauso wenig wie hinter dir herschleppen." Er wiegte seinen Kopf hin und her, als ob er wirklich überlegte, was man mit einer wiedergefundenen Hoffnung anfangen könnte. "Das Leben ist viel leichter zu ertragen, wenn man alles hinter sich lässt." Meinte er nachdenklich und sah ihr mit Augen entgegen, die sich in ein sanftes, beruhigendes Blau verwandelten. 

Dieses Kind…  wie verloren und müde sie doch war. Verzweifelt, das war sie zweifellos auch. Aber in dieser Welt, wo alles möglich und nichts so ist, wie es auf den ersten und vielleicht auch weiten Blick scheint, gibt es immer einen Grund, weiterzusuchen, weiterzuwandern, weiterzuträumen. Freyas Gemütszustand war trotzdem gerade nicht dienlich und keine gute Kombination aus dem menschlichen Gefühlsspektrum. Warum nur, stellte Haedinn sich die schweigende Frage, luden diese Wesen sich selbst so viele ungute Emotionen auf die Schultern? Das musste doch erdrückend sein. Da verstand er schon, warum sie weinte, das würde er in diesem Fall wohl auch. 

Nahe trat er an das Mädchen heran, drängte seinen Kopf an den ihren und schob einige ihrer schwarzen Strähnen mit seiner Schnauze zur Seite. Ob schon bald salzige Tränen einen kleinen Teich um sie bildete? Wie unangenehm, er mochte doch kein Wasser, weder auf den Pfoten, noch auf seinem Fell. Schon beim bloßen Gedanken entwich ein leises Fauchen seinen ledernen Lippen. 

War da gerade ein lauteres Schluchzen von dem Kind gewesen? Das mit dem Trösten war offensichtlich nicht seine Stärke. Ob er mit seiner Pfote ihre Schulter tätscheln sollte oder lieber über ihr Gesichtchen schlecken, wie er es häufig bei den Straßenkatzen und ihren Kindern beobachtete? Woher sollte er das wissen. Aber vielleicht half es erstmal, Freya überhaupt anzusehen. Zumindest wusste sie dann, dass sie nicht alleine war. "Es gibt keinen Schutz vor dem, was vor dir, und auch hinter dir, liegt. Auch wenn du dich hinter deinen Haaren versteckst. Aber trotzdem gibt es immer den Hauch von etwas Gutem, selbst in der dunkelsten Ecke." Und in der abtrünnigsten Seele, fügte er, allein für sich selbst, hinzu. 


Trotz seiner weise gemeinten Worte sah er, wie weitere dicke Tränen, funkelnd wie kleine Diamanten, aus ihren Augen rollten. Auch wenn die Wassertropfen ihm ein innerliches Schütteln verursachten, wusste Haedinn, dass ein Zurückweichen die Situation nur verschlimmern würde. Also nahm er all seinen Mut zusammen und mahnte sich, sich nicht wie ein kleines, verschrecktes Katerlein aufzuführen. "Sinnlos wird es nur, wenn man seinen eigenen Sinn verliert. Hast du ihn schon verloren?"

Zarter, als man es ihm zugetraut hätte, stupste Haedinn das kleine Mädchen an und beschloss, sich einfach neben sie zu setzen. Vielleicht würde es ja helfen, wenn sie nicht mehr rannten und liefen, sondern einfach darauf warteten, dass die richtige Tür sie irgendwann fand.
Manchmal musste man, auch wenn die Zeit noch so laut und drängend tickte, einfach innehalten und den Moment abwarten. Nicht erst einmal hatte er erlebt, dass diese Welt eine seltsame Art besaß, Türen zu öffnen - gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartete. 


Mit einem leisen Schnurren legte er sich also neben Freya, bereit, die Zeit einfach verstreichen zu lassen und zu sehen, ob hinter der nächsten Ecke schon bald die nächste wahnwitzige und in den Irrsinn verlockende Kuriosität auf sie zulief. Über die Möglichkeiten und Varianten sinnierend und seinen Blick durch den Raum, aus dem sie gekommen waren, schweifend, bemerkte er, dass sie wohl vergessen hatten, die Tür auf der anderen Seite zu schließen. Und so sah er sich selbst dort liegend, neben dem Häuflein Elend, das zitterte und wimmerte.

Er zwinkerte einige Male und wendete seinen Blick von dem Bild ab, das einfach zu verstörend auf ihn wirkte, auch wenn etwas in ihm rumorte. Was war es nur? Nachdenklich zog er seine Stirn in viele dicke Falten und strich mit seiner rauen Zunge über seine Nase. Zu gerne hätte er jetzt auf einer Maus herum gebissen, das half ihm immer beim Denken. Aber eine Maus war weit und breit nicht in Sicht, somit musste es erstmal ohne gehen. Gerade als er nochmals den Tränenstatus von Freya überprüfen wollte, erfasste ihn ein Gedanke.

Ruckartig drehte er seinen Kopf zurück in die Richtung des leeren Raums, durch dessen am Ende gelegene geöffnete Tür er Freya und sich sah. Wenn er seine leuchtenden Augen schärfte, sah er sogar durch den Raum, der sich dahinter befand. Und auch diese Türe war geöffnet und hinter dieser waren erneut das Kind und er zu sehen. Stets das gleiche Bild, sich immer wiederholend, als würden viele Spiegel einander gegenüberstehen und nur ihr eigenes Spiegelbild wiedergeben.

Seine Schnurrhaare zuckten und mit einer geschmeidig lautlosen Bewegung erhob er sich, nur um sich gleich darauf mit aufgeregt peitschenden Schwanz und aufmerksam aufgestelltem Ohr vor den Türstock zu setzen. Manchmal muss für die Lösung eines schier unüberwindbaren und sich immer wiederholenden Problems einfach eine neue Perspektive eingenommen werden.

Haedinn erhob seine Pfote und berührte die leere Luft. 
"Spieglein, Spieglein, an der Wand…." 



 
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Wie willst du vor dem fliehen, was in deinem Kopf ist?
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Adrian
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#1042

Beitrag: # 54457Beitrag Adrian »

Das schwache Licht ließ das Blau seiner Augen in all seiner beherrschten Kälte kurz aufglänzen, als Adrians seinen Blick auf die ineinander verwobenen Hände richtete, bevor er mit einem Lidschlag wieder aufsah. Mit einer geschmeidigen Bewegung stellte er beiläufig sein Glas ab, wobei die goldenen Schlieren des Whiskeys im schwachen Licht die Schatten erneut zum Leben erweckten.

Schweigend lauschte er ihren Worten, und ein Aufglühen durchzog das Dunkel seiner Augen, als er erneut nach ihrem Blick griff.

„Was hat er dir angetan?“ Seine Stimme war ruhig, doch in ihr lag eine unbestreitbare Intensität, die nach Antworten verlangte. Eindringlich und zugleich einnehmend war sein Tonfall, als seine Hand sich um ihr Kinn legte. Fordernd und fest umschlossen seine Finger ihren Kiefer, aber dennoch war seine Berührung selbst sanft, während Adrian ihren Blick forschend zu durchdringen schien.

Was er suchte, waren keine oberflächlichen Erklärungen, die nur das Offensichtliche noch einmal unterstrichen, sondern die Wahrheit, die darunter verborgen lag.

Es konnte unmöglich alles ein Zufall sein. Immerhin glaubte er nicht an so etwas. Es musste eine Erklärung geben. Ein Muster. Etwas, dass ihm offenbarte, was tatsächlich vor sich ging. Zuerst die Adeptin, dann Kenna und nun Tanuri. Sein Atem war ruhig und gleichmäßig, doch die Anspannung in seinen Schultern verriet die tiefere Unruhe, die in ihm brodelte.

Die düstere Atmosphäre des Raumes schien seine innere Unruhe widerzuspiegeln, die sich in den angespannten Linien seiner Schultern manifestierte. Seine Züge blieben jedoch weiterhin undurchdringlich, als wären sie von tiefen Schatten umhüllt, die seine Gedanken verbargen.

Nur sein eisiger unnachgiebiger Blick verriet, dass etwas in ihm zunehmend die Oberhand gewann. Ein finsteres Schimmern, das den Zorn und Hass, den er beherrscht zurückhielt, für einen Moment in all seiner Dunkelheit durchscheinen ließ. Eine Düsternis, die sich in seiner Aura spürbar ausbreitete.

Kalt und berechnend fixierten seine Augen Kenna, während er auf ihre Antwort wartete. Sein Daumen strich sanft über ihren Kiefer, eine behutsame Geste in starkem Kontrast zu seiner eisigen Stimme, welche beherrscht die Vermutungen der Jägerin ergründete.

„Woher sollte der Prediger wissen, wo und wann er dir auflauern konnte? Und aus welchem Grund?" Ein geplanter Überfall erschien paradox, nachdem Etoh sein Schoßhündchen bereitwillig für ein Kriegsende geopfert hatte.

Was also bewegte Kenna zu ihrer Annahme, die zudem darauf hindeuten sollte, dass der Prediger möglicherweise Informationen aus dem inneren Kreis besaß?  Adrian musste dahingehend Prioritäten setzen und sofern es einen Zusammenhang gab, lief der Priesterin womöglich die Zeit davon. Hatte Kenna irgendetwas, das ihren Verdacht untermauerte, gehört oder gesehen? War sie Zeuge von etwas geworden, das einen Zusammenhang bildete?

Seine Hand löste sich von ihrem Kinn und zeichnete mit zwei Fingern eine warme Spur über ihren Wangenknochen entlang, ehe er die Jägerin freigab und nach seinem Glas griff. Das Dunkel seiner Augen hielt jedoch weiterhin intensiv an ihrem Blick fest, während Adrian weiterhin ihre Reaktion beobachtete.

„Wieso denkst du, dass der Priester es geplant hatte?"
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Kenna de Vil
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#1043

Beitrag: # 54458Beitrag Kenna de Vil »

In den privaten Räumen der Legion

Adrians finsterer durchdringender Blick mochte so manchen Feind in Angst versetzen, doch nicht die Jägerin. Als er nach ihrem Kinn griff, mit dieser Bestimmtheit und doch zärtlich, streifte ihr Blick kurz über seine Lippen, als erwarte sie dass er sie sogleich zum Schweigen bringen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Mit einem Blinzeln in seine zunehmend von Düsternis geprägten Augen, atmete sie tief ein und legte ihm vertraut ihre Hand auf seine angespannte Schulter. Eine Geste, die ihn und sie wohl gleichermaßen beruhigen sollte.

„Du meinst, bis auf das Offensichtliche?“
Kennas Kiefermuskeln spannten sich kurz an, als sie bei der Erinnerung ihren Zorn unterdrücken musste und die Zähne aufeinanderbiss. Der Götzenprediger hatte in seiner gespielten aufgesetzten Barmherzigkeit ihre Situation ausgenutzt. Seine stümperhaften Bemühungen hatten diese jedoch erst verursacht und sogar verschlimmert.

„Von der Verschleppung in die weißen Hallen abgesehen, hat er unerlaubt Hand an mich gelegt und meine Verletzung ‚behandelt‘. Nur um später, als das Gespräch nicht nach seinen Vorstellungen verlief, mich zu quälen und zu demütigen.“

 Abfällig verzog sie den Mund und die tiefe Abneigung gegen den Mann, der sie in seiner Gewalt hatte, zeichnete sich deutlich in ihrem Gesicht ab. Die Schatten im Raum schienen sich bei ihren Worten noch zu verdichten, als trachteten sie danach dem Licht noch an Ort und Stelle den Garaus zu machen.

Vieles was das Weißherz getan oder gesagt hatte, war widersprüchlich und das sprunghafte Verhalten nicht nachvollziehbar. Erst hatte Etoh sie retten wollen, um ihr nur kurze Zeit später absichtlich Schmerzen zu bereiten und sie zum Verrotten in dem Zimmer liegen zu lassen.
Er hätte mich besser töten sollen, als er die einmalige Gelegenheit dazu hatte.
Ein Gedanke, der sie seitdem stetig begleitete. Denn auch wenn die Lucis und die de Vils schon lange Feinde waren, hatte jene Begegnung Kennas Hass gegen den Rivalen auf eine andere Ebene gehoben.

Kenna spürte wie sich Adrians Schulter unter der sanften Berührung ihrer Finger verhärtete, fast so, als hätte er ihre Gedanken wahrgenommen. Der Stoff seines Hemdes als dünne Barriere zwischen ihr und seiner Haut, strich sie langsam seinen Oberarm hinab und ließ ihre Hand noch kurz auf seinem Unterarm ruhen.
Adrians unterschwellige Skepsis war ihr keineswegs entgangen, sie hatte sich diese Fragen selbst schon gestellt und so ließ sie den Dunkelmagier an ihren Überlegungen teilhaben.

„Ich traue ihm eigentlich nicht die nötige Raffinesse zu, doch könnte es Berechnung gewesen sein, um an Informationen über die Adeptin zu kommen. Bei unserer netten ‚Plauderei‘ erfuhr ich, dass er regelmäßigen Kontakt zu Freya pflegte und zusammen mit den Informationen aus dem Tagebuch, schließe ich daraus, dass er daran arbeitete, ihren Glauben ins Wanken zu bringen.“
 Was gäbe es für einen Feind Wertvolleres als ein formbares Kind, um die gegnerischen Reihen zu infiltrieren?
Wie hatte es der Götzenprediger überhaupt geschafft an das Mädchen heranzukommen, wo sie doch alles daran gesetzt hatten, sie zu schützen? Wenn dies einem Weißherz scheinbar mühelos gelang, dürfte es für andere Widersacher ebenfalls ein Leichtes sein.

Als Adrian sich von ihr löste, verlagerte sie ihr Gewicht auf das andere Bein und drehte sich leicht in Richtung des Tisches. Die Karaffe mit der goldenen Flüssigkeit ergreifend, ließ sie sich Zeit, während sie sich ein Glas füllte.

„Meiner Meinung nach, waren es ein paar Zufälle zu viel.“
Sie trank ein wenig und genoss es für einen Augenblick, wie der Alkohol eine scharfe Spur in ihrer trockenen Kehle hinterließ und sich in ihrem Magen ausbreitete.

Unter dem leisen Rascheln der schlichten Robe, welche ihre schlanke Gestalt im spärlichen Licht nur erahnen ließ, drehte sie sich wieder Adrian zu. Seine dunkle Aura, hüllte sie mehr und mehr ein und das gefährliche Glitzern in seinem Blick, verriet ihr, wie viel es ihn kostete, nach außen hin weiter beherrscht zu wirken, während die tiefe Unruhe in seinem Inneren beinahe den Siedepunkt erreichte.
Und dann war da dieses eine Fünkchen, welches ihre Sinne zusätzlich aufmerken ließ. Liadan hatte von Krieg und Chaos gesprochen. Was verschwieg er ihr?

„Adrian.“ Mit leiser vertrauter Stimme unterbrach sie seine Gedanken. Der Blick mit dem sie ihn bedachte, genauso fordernd wie der seine zuvor. Ein intensiver Schimmer im zunehmenden Dunkelblau ihrer Augen, welcher ihm deutlich machen sollte, dass er sie nicht zu schonen brauchte.

„Was ist passiert?“
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-Freya-
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#1044

Beitrag: # 54459Beitrag -Freya- »

Freya spürte die Tränen auf ihren Wangen brannten, während sie mit zittrigen Händen versuchte, sie wegzuwischen. Doch sie flossen unaufhörlich weiter, als hätten sie beschlossen, ihr keine Ruhe zu lassen. Ihre Lippen bebten, obwohl kein Wort über sie kam. Auch wenn sie jeden Laut versuchte zu unterdrücken, kam ihr Atem in hastigen und unregelmäßigen Stößen. Es war einfach, als ob die ganze Welt um sie herum in einem undurchdringlichen Nebel aus Verwirrung und Angst verschwunden wäre. Alles, was gewesen war, wer sie gewesen war,  es war einfach fort.

Die salzigen Tränen glänzten in dem wenigen diffusen Licht, welches die Türen, Gänge und auch den Raum mit dunklen Silhouetten zeichnete. Freya spürte, wie das feuchte Gefühl auf ihrer Haut sie unerbittlich daran erinnerte, dass sie in einem Albtraum gefangen war, aus dem es kein Erwachen gab.

Eisig durchfuhr sie die Kälte der Gänge erneut und durchdrang den dünnen Stoff ihres Nachthemds zusammen mit dem Bewusstsein, dass es kein Entrinnen gab. Eine Erkenntnis, welche sie unter dem dünnen Hemdchen frösteln ließ.

Ein sanftes Stupsen an ihrer Seite ließ Freya innehalten, während sie ihre Augen schloss. Sie war nicht vollkommen allein. Leicht nur lehnte das Mädchen für einen kurzen Moment ihren Kopf an. Sein Schnurren war wie ein tröstlicher Begleiter in dieser düsteren Umgebung, aber selbst sein Zuspruch konnte den Schleier der Verzweiflung nicht durchbrechen, der sie umgab.

Er wollte ihr helfen, daran zweifelte sie nicht. Doch war es einfach sinnlos. Es gab nur ein hinein und kein raus. Kein Ausweg, außer die Gräfin würde es erlauben. Und gewähren würde sie es erst, wenn sie das bekam, was sie wollte.

Vielleicht sollte sie also einfach besser zu der dunklen Tür gehen und sich in ihr Bett legen, damit sie nicht den Unmut der Herrin auf sich lenkte. Disziplin und Routine waren ihr bekannt, doch war es der erdrückende Gedanke welches Ziel dies verfolgen sollte, der Freya innerlich rebellieren ließ. Wenn sie sich überwand, vielleicht konnte sie die nächste Auktion erreichen und dort würde sie einen Weg finden. Oder Haedinn würde einen Weg finden.

Herrin der Tränen. Resignierend schloss sie ihre Augen, während noch immer zarte Rinnsale über ihre Wangen liefen. Sie wollten sich einfach nicht beherrschen lassen oder gar versiegen, ganz gleich, wie sehr Freya sich bemühte sich zu beherrschen.  Sie wischte sich erneut die Tränen aus den Augen und zwang sich, aufzustehen. Vielleicht war es an der Zeit, sich dem Schicksal zu ergeben, auch wenn es bedeutete, in diesem grausamen Spiel der Gräfin gefangen zu sein.

„Es ist in Ordnung, Kater. Ich schaff das schon.“  Flüsterte Freya leise, um das Beben in ihrer Stimme nicht durchdringen zu lassen, welches die Entscheidung hervorrief, die sie unwiderruflich für sich traf. Sie musste es, allerdings –wie-, das war eine andere Frage. Doch eine Wahl blieb nicht, da eine Flucht unmöglich schien.

Leise nur trat sie neben den Kater, dessen Kopf auf schaurige Weise verdreht erschien, als wäre er eine Eule. Ein Anblick, der mehr als erschreckend sein mochte. Doch nicht das ließ Freya unmittelbar erstarren, als sie sich die Tränen mit dem Handrücken von der Wange streichen wollte. Ihre Augen ruhten auf dem Türstock, in dessen Mitte sich eigentlich der Gang abzeichnen sollte, auf dem die Tür aus dunklem Holz auf sie warten sollte.

Mehrfach blinzelte Freya und versuchte das Bild abzuschütteln, als wäre es eine Täuschung, die jedoch nicht schwinden wollte. Ein ungläubiges Schimmern erhellte das Blau ihrer großen Augen, die weit aufgerissen seinem Blick folgten. Durch die offene Tür sah sie unzählige weitere Türen, die sich in endloser Wiederholung vor ihr ausbreiteten. Ihr eigenes Abbild neben dem Kater spiegelte sich in jeder Schwelle wider. Eine dunkle Silhouette, die mit jedem Mal kleiner wurde. Der Anblick, welcher eine Unendlichkeit andeutete, ließ Freya den Atem anhalten, während eine Welle der Beklemmung sie durchfuhr.

„Was... was ist das?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein leiser Hauch in der Stille des Raums. Ihre Hand suchte die knochige Schulter des Katers, so wie all die Spiegelbilder ihrer selbst es ihr unmittelbar gleichtaten, als würde sie hundertfach an dieser Schwelle stehen. Was hatte das zu bedeuten? Brüchig und leise kam nur ein Flüstern über ihre Lippen. „Was machst du da, Kater?“
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Adrian
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#1045

Beitrag: # 54460Beitrag Adrian »

Adrians Stirn zog sich in tiefen Falten zusammen, während er Kennas Erinnerungen lauschte. Seine äußere Gelassenheit konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm die drängende Zeit bewusst war. Das Tribunal würde sich bald versammeln, und die Anklägerin selbst fehlte. Zu viele Ereignisse trafen den inneren Zirkel der Legion, um sie als bloße Zufälle abzutun.

Die Dunkelheit in seinen Augen schimmerte deutlich auf, während er die Wärme ihrer Hand an seinem Arm hinabgleiten spürte. Unmittelbar folgte das forschende Blau seiner Augen Kennas Bewegungen, während er selbst das Glas in seiner Hand schwenkte und die bernsteinfarbene Flüssigkeit darin in Wallung brachte.

Der Prediger wollte also Freya ins Wanken bringen? Ein weiterer Lidschlag ließ seinen Blick kurz auf das prasselnde Feuer gleiten. Die Gedanken in seinem Geist tanzten mit der Dunkelheit in seinen Augen, wobei ein süffisantes Lächeln beinahe unbemerkt über seine Lippen zuckte, während er das Glas erneut an seine Lippen führte. Die Flammen des Feuers warfen unheilvolle Schatten auf sein Gesicht, die das finstere Schimmern in seinen Augen verstärkten.

Unschuld, Respekt, Ehre, Wahrheit, Kriegstreiberei. Diese Worte Etohs hallten in seinem Kopf nach, während er über die scheinheilige Maske des Predigers nachdachte. Wie verlogen war doch der Mann, der seine verdorbene Seele hinter einem priesterlichen Gewand verbarg und sich hinter Worten versteckte, die in ihrer vermeintlichen Reinheit nichts anderes als Heuchelei waren.

Der Gedanke an Etohs Beteuerungen erweckte in ihm fast schon absurde Belustigung. Wie scheinheilig doch dieser Narr seine verdorbene Seele hinter seinem priesterlichen Gewand versteckte. Auch Adrian zweifelte nicht an Kennas Aussagen, die die Feigheit des Pfaffen nur noch deutlicher unterstrichen.

Eine Sabotage der dunklen Kirche inmitten ihrer Eingeweide traute Adrian dem Pfaffen jedoch nicht zu. Dafür fehlte dem Prediger nicht nur die nötige Courage oder Konsequenz, sondern auch die Weitsicht für solch eine Tat. Aber wer war es dann? Wer zog dann die Fäden?

Ein düsterer Glanz überschattete seine Augen, als er wieder zu Kenna sah und beobachtete, wie sie an ihrem Glas nippte. Nachdenklich betrachtete Adrian ihre Silhouette unter dem seidigen Stoff der Robe, bevor er sein Glas leerte, um es lautlos abzustellen und sich ihr zuzuwenden.

Es war nur ein Lidschlag unter dem sein Blick den ihren suchte, und ein deutlicher Ernst lag in seinen hellblauen Augen, während er sich langsam und geschmeidig auf sie zubewegte. Die Schatten des Raumes schienen sich um sie zu verdichten, als er auf sie zutrat. Ein dunkler Schleier, der sie mit jedem Schritt auf sie zu, berührungslos gefangen nahm.

Mit einem sanften, aber festen Griff legte er seine Hand an ihr Kinn, um ihren Blick zu halten. Immer wieder so viele Fragen. Behutsam strich er mit dem Daumen über ihre Lippen hinweg, als würde er dadurch jene zum Schweigen bringen können.

„Später.“ erwiderte er mit beherrschter Stimme, bevor er sich zu ihr hinabbeugte. Zärtlich strichen seine Lippen über ihre Stirn. Eine vertraute Berührung, welche in starkem Kontrast zu der schwelenden Düsternis in seinem Blick lag, der das Blau ihrer Augen festhielt.

Es war eine Demütigung und der feige Lichtlakai würde noch zu spüren bekommen, was Vergeltung bedeutete, sich mit der Dunkelheit messen zu wollen. Skrupel hatte er dabei keine. Doch galt es Prioritäten zu setzen und dem Huhn nicht den Kopf abzuschlagen, bevor es das Ei gelegt hatte. Noch hatte der Pfaffe unter Umständen einen vermeintlichen Nutzen.

„Du solltest dich fertig machen für das Tribunal.“ Flüsterte er mit eindringlicher Stimme, die einen mahnenden Unterton hatte, bevor er seine Hand löste. Die Dringlichkeit und Bedeutung seiner Worte hingen ebenso schwer in der Luft wie der Nachhall dessen, dass er zu diesem Moment keine Erklärung dazu geben würde.

Kurz fuhr Adrian sich über die Lippen, bevor er sich aufrichtete und entschlossen das Dunkel ihrer Augen suchte, ehe er sich von ihr entfernte. Sie würde ihre Antworten bekommen, jedoch nicht jetzt. 
„Ich muss vorher noch etwas erledigen und komme nach.“
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✟ Oberhaupt der Familie Al Saher ❖ Gemahl der PriesterinTanuri Al Saher
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Haedinn
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#1046

Beitrag: # 54462Beitrag Haedinn »

Wachsam saß der Kater da, starrte ins Nichts, als ob das Leere mehr zu bieten hätte als die Gegenwart. Freyas Worte perlten an ihm ab, wie Wassertropfen auf einem Lotusblatt, denn unter seiner Pfote vibrierte ein unsichtbarer Zauber. Ein Zwinkern hier, ein Zwinkern da – doch nichts änderte sich, kein Hauch von Bewegung oder Leben. Wie töricht von ihm, zu glauben, ein simpler Spiegel könnte seinen Schabernack mit ihnen treiben. Schließlich, dachte er, waren diese Objekte nur gläserne Kunstwerke, unfähig, ein Labyrinth aus sich selbst zu erschaffen.

Gerade als er, mit einem amüsierten Lachen über seine eigene Naivität, sich abwenden wollte, um einen neuen, hoffentlich besseren Plan zu schmieden, erhob sich ein dröhnendes Surren. Es war ein heller Ton, klar wie eine wolkenlose Nacht. Der Klang durchbrach die Stille, schickte Schauer durch den Raum und brachte die Wände zum Leben. 


"Kater, lässt du mich schon wieder warten?  
Verbirgst dein Ansinnen in Gedanken oder hinter Schatten?  
Spieglein, Spieglein an der Wand,  
Deine Worte sind mir wohlbekannt.  
Doch was du suchst, bleibt mir verborgen."



Haedinn hielt die Luft an und starrte mit großen glühenden Augen in den leeren Raum hinein, hinter dem sich wieder und wieder das Abbild von ihm und Freya zeigte. Also doch. Was für eine Misere. Es war nicht nur die Gräfin, vor der sie sich in Acht nehmen mussten, auch noch ein Spiegel, der sie in die Irre leitete und sein Spiel mit ihnen trieb, offensichtlich zu seiner eigenen Belustigung. Ein leises Knurren drang aus der Kehle des Katers, als er seine Pfote zurückzog, sich auf alle Viere stellte und seine Krallen ausfuhr. Er mochte vielleicht nur ein Tier sein, deshalb musste er sich aber noch lange nicht alles gefallen lassen. 

Nun, oder in diesem Falle vielleicht doch. Denn plötzlich, wie aus dem Nichts heraus, begannen die Wände sich zu verschieben, kamen immer näher und näher auf Freya und ihn zu, wodurch auch das gespiegelte Bild sich häufiger brach und es kaum noch auszumachen war, wer sie nun selbst waren und wer nicht. Ein durchdringender Hall sprang zwischen den Wänden hin und her, verdoppelte sich mit jedem Sprung und wurde zu einem unendlichen Echo. 


"Einmal will ich meine Aufforderung wiederholen.
Denn Zeit vergeht, und auch ich muss ihr zollen.  
Willst deine Frage du nun endlich vollenden? 
Wenn nicht, geb ich dir gleich nicht mehr die Möglichkeit dich abzuwenden." 



Mit seiner rauen Zungenspitze strich Haedinn sich über die Lefzen. Ach, Reime. Warum nur mussten diese Klangspielereien erfunden werden? Für ihn klangen sie wie Kreide auf einer Tafel, ein unangenehmes Kratzen im Ohr. Seine Augen glitten vorsichtig zu dem Mädchen hinüber, das sicher noch verwirrter war als zuvor. Wie viele Optionen hatten sie schon?

Wie lange wanderten sie durch dieses Labyrinth, von Tür zu Tür, von Raum zu Raum? Die Zeit verfloss im Nu, wenn man ziellos umherirrte, sei es vorwärts oder rückwärts. Fenster sahen sie schon lange nicht mehr, daher konnte es gut sein, dass sie schon Stunden, vielleicht sogar Tage unterwegs waren. Doch Letzteres schien unwahrscheinlich. Längst hätte man nach Freya gesucht, die Residenz nach diesem ungeschliffenen Edelstein durchkämmt. Selbst wenn ihr Wert gering war, die Gräfin wirkte nicht wie jemand, der einfach so etwas hergab.



"Ein letztes Mal Kater, sage ich es dir. 
Vollende deine Frage, stell sie mir. 
Wenn du dich entscheidest, dich weiter zu verweigern, 
wird das meine Ungeduld nur noch steigern."



Immer noch diese dummen Reime. Wäre die Lage nicht so ernst, hätte er sich wohl geschüttelt und wäre einfach weiter gegangen. Doch der Spiegel, eingearbeitet in die Wände des Hauses, ließ ihm keine Wahl. Fraglich allerdings, wie weit man ihm trauen konnte. Wenn er Teil dieser Residenz war, dann gehörte er der Gräfin. Eines aber, das spielte Haedinn in die Pfoten: Ein Spiegel konnte nicht lügen. Nicht nur, dass er es nicht durfte, nein, er war schlichtweg unfähig dazu.

Fieberhaft dachte Haedinn nach. Es war nie gut, eine Frage zu stellen, deren Antwort man eigentlich gar nicht hören wollte. Aber der Spiegel schien die Macht über die Wände zu besitzen und diese auch für sich zu nutzen. Hätte er doch einfach seine vorlaute Schnauze gehalten. Mit festem Blick sah er zurück in die Leere des Raums und spürte dabei schon, wie die erste Wand die Spitze seines Schwanzes berührte, der immer nervöser hin- und herzuckte. Da kam ihm, wie aus dem Nichts heraus eine Idee. Meistens verfluchte er sie, doch jetzt kamen sie ihm ausnahmsweise mal ganz recht, die Stimmen, die sonst nur Chaos in seinem Kopf stifteten. Manchmal waren sie eben doch zu etwas gut.
Wozu eine Frage stellen, wenn man sich einer Forderung bedienen kann?



"Spieglein, Spieglein, an der Wand.
Reiche dem Mädchen neben mir deine Hand. 

Zeig ihr den Weg, weise  ihr den Pfad hinaus, 
und öffne für sie die richtige Tür, die sie führt aus diesem Haus." 



Dann war alles still. Keine Bewegung, keine Wand, kein Atem, nur eine unerträgliche Stille. Doch, dachte der Kater, zumindest schienen sie vorerst nicht von den Wänden erdrückt zu werden. Ein paar zusätzliche Augenblicke des Lebens kamen ihm gerade recht, vielleicht würde sein kluger Kopf ihm eine neue zündende Idee schenken. Er war gerade dabei, seine Pfote erneut zu heben, als die glänzenden Wände in einem atemberaubenden Tempo zurückfuhren und die unzähligen Türen des Flurs sich lautlos auflösten. Alles kehrte wieder zu seiner ursprünglichen Größe zurück, als wäre der Zauber plötzlich verschwunden.

Doch nicht jede Tür war fort, geblieben war die dunkle, genau dort, wo sie gewesen war und die Stimme des Spiegels hallte erneut durch die Luft.



"Die Gräfin, sie herrscht mit eiserner Hand,
Ihr Wesen voll Grauen, ihr Herz von Stein umgarnt.
Kein Ausweg, kein Entrinnen in Sicht,
Es bleibt nur Angst und Verzweiflung, die sie den Kindern gibt."


 
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Wie willst du vor dem fliehen, was in deinem Kopf ist?
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-Freya-
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#1047

Beitrag: # 54463Beitrag -Freya- »

Freya spürte das Surren. Ein kaum wahrnehmbares Beben in einer hohen Tonlage, das die Stille durchdrang. Ein scharfer Klang, der das Frösteln auf ihren Armen verstärkte. Die Stimme. Sie konnte sie hören. Langsam drehte sie sich um ihre eigene Achse, um den Spiegelbildern ihrer selbst ins Auge zu blicken. Große blaue Augen in einem blassen Gesicht umrahmt von ebenholzfarbenen Strähnen. Das dünne Nachthemd wehte bei ihrer Bewegung um ihre Beine, die unpassend zu ihrem Gewand lederne Stiefel trugen.

Was hatte der Kater angestellt? Redete der Spiegel mit ihnen? Unsicher wanderte ihr Blick von einem Abbild ihrer selbst zum nächsten. Ihr Gesicht, so blass wie Porzellan, wurde in jedem Spiegelbild vervielfacht und ihre großen, glänzenden Augen schienen sich, wohin sie auch sah, immer wieder zu begegnen. Zweifach, zehnfach, hundertfach, während die Wände auf sie zu kamen. Magie? Ein Trugbild? Spiegel zeigten, was man sehen wollte, aber sie logen nicht.

Ihre Hand klammerte sich an Haedinn fest, doch übertönte das schrillen Surren der Spiegel, das immer lauter in ihren Ohren widerhallte, die Stimme des Katers, die sich mit jedem Herzschlag weiter zu entfernen schien.

Die Bilder vor ihren Augen verschwammen zu einem surrealen Bildnis, aus Farben und Formen, als würden die Konturen zerfließen, ehe sich ein neues Abbild aus ihnen formte. Ihr Zimmer. Es musste ihr Zimmer sein, ganz bestimmt. Das Bett, der Kamin, die Vorhänge, welche vor dem offenen Fenster wehten in dessen Mitte sich dunkle Silhouetten emporhoben.

Eine Frau mit langem, schwarzem Haar, deren zierliche Gestalt nur in ein einfaches Laken gehüllt war. Es war nur ein schemenhaftes Bild, war sie umgarnt von einem dunklen Schatten, der über ihr lag. Eine Finsternis, die sich über sie hinabbeugte.

Freya verkrampfte sich und für einen Atemzug schien ihr Herz fast stillzustehen. Unmittelbar konnte sie das gefährliche Blitzen der hellen Augen inmitten der Dunkelheit spüren, das aus den Schatten heraus nach ihr griff. Ein eiskalter Blick, der sie durch den Spiegel hindurch traf und sie bis in ihre Seele hinein zu durchbohren schien.

"Sieh mir in die Augen und sag mir, wen siehst Du dort? Bist es immer noch Du, oder bin es nun ich?" 
Rau und tief war der Klang seiner Stimme, als würde sein Flüstern selbst direkt an ihrem Ohr entlang streichen. Freya konnte die Hitze seines Atems nahezu spüren. Ein liebkosender Luftzug, welcher sich wie eine gefährliche Warnung gleißend auf ihre Haut legte.

„Hör auf!“ Kam es leise über ihre Lippen. Ein Flüstern, gedämpft, aber nicht weniger fordernd. Unmittelbar kniff das Mädchen die Augen zusammen. Doch folgte ihr das stechende Blau der Augen selbst in die Finsternis hinein und gab sie nicht frei. Gnadenlos hielt sein Blick sie  gefangen, hielt sie fest und durchdrang selbst ihre letzte Barriere.

Es musste eine Illusion sein. Ein Trugbild. Aber wenn Spiegel nicht lügen konnten, wie konnte es sein, was hatte es dann zu bedeuten?

„Hör auf!“ Wiederholte das Mädchen forscher, während sie mit einem leichten Kopfschütteln versuchte die Bilder und das Echo der Worte, die sich in ihre Gedanken schnitten, zu verdrängen und sich von ihm loszureißen. Worte, die dem zunehmendrm Surren des Spiegels wichen.

Langsam nur hob Freya ihre Lider, als der Kater sprach und sich von seinem Moment auf den anderen auf unheimliche Weise eine absolute Stille über sie lhinweglegte. Eine gespenstische Ruhe, die von allem Besitz ergriff, sodass Freya ihr Herz schlagen hören konnte, während sie in ihre eigenen Augen sah, die sich um sie herum allesamt auf sie legten.

Ohne ein Geräusch oder eine Ankündigung jedoch entfernten sich die Abbilder. Die Wände mit den unzähligen Spiegeln glitten durch die Dunkelheit. All ihre Ebenbilder schwanden in der Finsternis, während die gedrängte Enge um sie herum wieder zu einem Raum heranwuchs, als wäre alles nur eine Illusion gewesen.

Schwermütig ruhte der Blick des Mädchens auf der dunklen Tür. Die einzige Tür, die sich langsam und unheilvoll aus der Dunkelheit abzeichnete und wie ein Omen selbst zurückblieb. Es gab keinen Ausweg.

Ihr Atem ging zittrig, bevor Freya mit einem Wimpernschlag auf den einzigen Ausgang sah, der ihnen blieb. 

„Ich habe keine Wahl“ Flüsterte das Mädchen resignierend. Eine Gewissheit, die sie bereits in sich spürte und doch war es etwas anderes es auszusprechen. Die Schwere der Erkenntnus legte sich auf beklemmende Weise um sie, aber dennoch waren die Tränen des Mädchens mittlerweile versiegt. Es gab nur diesen Weg – diese Tür.

Langsam beugte sich das Mädchen hinab und streifte die Stiefel von ihren Füssen, ehe sie das Schuhwerk mit einer Hand aufnahm.

Mit großen Augen sah sie zu Haedinn, ehe ihre andere Hand über seinen Kopf strich. Sanft fuhren ihre Finger hinter seinem verbliebenen Ohr entlang, bevor Freya von ihm abließ, um sich auf ihren nackten Füßen ihrem Schicksal zu beugen. Langsam wandte das Mädchen sich der Tür zu, begleitet von einem Flüstern, welches in Anbetracht der Wahrheit wie ein Abschied klingen mochte.


„Du jedoch schon, Kater.“
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Geboren aus dem Wissen einer dunklen Vergangenheit - verblasst mein altes Leben im Schatten einer neuen Zeit
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Kenna de Vil
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#1048

Beitrag: # 54467Beitrag Kenna de Vil »

In den privaten Räumen der Legion

Adrians einnehmende Präsenz umschmiegte sie und gab ihr das Gefühl von Geborgenheit inmitten seiner Dunkelheit. Kenna erlaubte sich für den Augenblick die Empfindung,
die Last nicht mehr alleine tragen zu müssen. Sein Blick beinhaltete ein stummes Versprechen nach Vergeltung, sobald die Zeit dafür gekommen war, auch ohne dass er dies laut aussprach.
Mit dem Ausdruck ihrer dunklen Augen, bestätigte sie ihm dies ebenso schweigend. Manchmal bedurfte es einfach keiner Worte.


Zart spürte sie seine Lippen auf ihrer Haut, wobei sie automatisch kurz die Lider schloss und sich leicht gegen den Dunkelmagier lehnte. Sie lauschte auf seinen Herzschlag, der kräftig
 in seiner Brust schlug, beinahe so als würde er in ihr widerhallen.

Ab und zu durchbrach ein Knacken des Feuerholzes die Atmosphäre des Zimmers, welches beinahe gemütlich gewirkt hätte, lägen da nicht all die ungelösten Probleme in der Luft, die es
 zu bewältigen galt.


Flüsternd erinnerte Adrian an das anstehende Tribunal und löste sich von der Jägerin. Mit einem tiefen Atemzug nickte sie. Es blieben nur noch wenige Stunden Zeit, doch für einen Ritt
 bis zur Burg de Vil, welche in den Wäldern von Steinbergen lag, würde es wohl nicht mehr ausreichen. Umziehen kam also nicht in Frage. Aber sei es drum. Ihre derzeitige Kleidung
 mochte nicht ihrem Geschmack entsprechen und sie in der Bewegungsfreiheit einschränken, aber für das Tribunal würde es ausreichen.


Zielsicher hob sie die Hand an Adrians Wange und zog eine liebevolle Spur entlang seiner Haut, welche von ihrem weichen Blick unterstrichen werden sollte.

„Ich werde im Felsendom auf dich warten.“

Dann nahm sie die Hand wieder fort und trat mit einem Blinzeln zurück, wobei sie die Schultern straffte. Sie würde ihre Antworten bekommen und bis dahin konnte sie nur darauf vertrauen,
dass sich der Dunkelmagier in keine weiteren Schwierigkeiten verstrickte.


Noch allzu deutlich war ihr das letzte Tribunal im Gedächtnis geblieben. Damals hatten sie einen größenwahnsinnigen Emporkömmling aus den Reihen der dunklen Gemeinde
 verbannt. Seine Drohungen bis heute unerfüllt, beinahe eine Enttäuschung, aber keine sonderliche Überraschung. So hätte sie jenen doch zu gerne bei seinem angedrohten
Vorhaben scheitern sehen.






 
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~ Ich wasche meine Hände im Blut der Unschuldigen. ~
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Haedinn
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#1049

Beitrag: # 54469Beitrag Haedinn »

Wie verworren doch die Worte des Spiegels waren. Kam da noch mehr? Das durfte doch nicht alles sein. Egal aber, wie angestrengt Haedinn in sein eigenes Spiegelbild starrte, eine Fortsetzung gab es anscheinend nicht. Welch ein unfertiges Ende, dachte er. Aber was wusste eine Katze schon von den Feinheiten der Sprache? Eine Katzenschule gab es nicht, das war eine lächerliche Vorstellung. Er selbst kannte keine anderen sprechenden Katzen. Eigentlich kannte er nur sich selbst, und dieser Gedanke stimmte ihn einen Augenblick lang tatsächlich melancholisch. Erst die zärtliche Geste, die ihm fast ein Schnurren entlockte, riss ihn wieder in das Hier und Jetzt. 

Schnell schüttelte er den Kopf und schaute mit gekrauster Stirn zu Freya auf. "Man hat immer eine Wahl, Menschenmädchen," sprach er mit einem Hauch von Tadel. Haedinn verstand nicht, warum Freya aufgeben wollte. Dann konnte sie auch gleich ihrem Herzen befehlen, mit dem Schlagen aufzuhören, wenn es keinen Antrieb mehr gab, sein Leben in die Hand zu nehmen. Nichts, wirklich nichts war unbesiegbar. Nicht ein Haus, und schon gar nicht eine Gräfin. "Nichts und niemand kann dein Schicksal bestimmen, außer du selbst."

Noch war die Türe nicht geöffnet, noch das Kind nicht verschwunden. Also stellte er sich dem magischen Objekt erneut entgegen und hob fordernd laut seine Stimme. "Spieglein…." Kaum aber hatte er das Wort ausgesprochen, da erklang sofort das Echo der Stimme des Spiegels. Es schallte zwischen den Wänden hin und her, ein mysteriöses Flüstern, das sich mahnend und belehrend um sie legte. 

"Nur eine Frage, Kater, die beantworte ich dir. 
Gefällt dir die Antwort nicht, liegt das nicht an mir. 
In meiner Wahrheit erkennst du, was du nicht sehen willst, 
Es sind die Schrecken und die Ängste, an denen die Welt sich stillt.
 
Sieh nur weiter in mein Glas, sieh tiefer hinein, 
und ich zeig dir, was wirklich dein Untergang wird sein. 
Es sind die Lügen die du lebst und die unsichtbaren Masken die du trägst, 
die Abgründe, die du selbst in deinem Inneren hegst. 

Du suchtest nach einer Antwort, sie gab dem Mädchen nur Schmerz, 
dieser soll nun durchdringen dein eigenes verkommenes Herz. 
Du bist verantwortlich für die Träume, die zerbrochen und für die Hoffnung die flieht, 
pass nur gut drauf auf, dass das Kind dein wahres Ich nicht sieht. 

Ich gewährte dir deine Frage, nochmals flüstere ich dir, 
die Antwort, so bitter, sie ist allein von mir. 
In meiner Tiefe lauert, was du fürchtest so sehr, 

es sind deine eigenen Zweifel, die an dir nagen, so schwer." 



Erbost über die Worte hob Haedinn seine Pfote und zog mit seinen Krallen über die glatte Oberfläche des spiegelnden Bildes. "Das war nicht meine Frage!" Die Augen des Katers funkelten wütend auf und die Zeichnungen auf seinem Körper verdunkelten sich. Er wollte nur wissen, welcher Weg aus diesem verrückten Haus führte, das mehr einem irren Labyrinth glich als einer Residenz. Und nun kam dieses Objekt mit irgendwelchen unpassenden Weisheiten daher? Die Stimmen in seinem Kopf begannen zu kichern, dröhnten immer lauter und wandelten sich zu einem spöttischen Lachen. "Ein Spiegel zeigt dir nie das, was du sehen willst." Sprachen sie im Einklang und Haedinn wusste nicht, ob diese Worte nur in seinem Innersten gesprochen wurden oder aus seinem eigenen Mund kamen. Manchmal, oder auch häufig, verschwanden auch für ihn die Grenzen zwischen den Wirrungen seines Geistes und der Realität. 

Er musste hier raus, und zwar mit Freya. Auch wenn es gegen ihren Willen war. Sie war zu groß, um sie wie ein Kätzchen im Nacken zu packen und fortzutragen, doch zur Not würde er sie auf seinen Rücken setzen und einfach losrennen. Wenn es nicht anders ging, sprang er durch ein Fenster. Die Scherben konnten zwar schmerzhaft sein, aber das war ihm nun gleich. Denn ganz gewiss nicht ließ er sich von einem Spiegel, diesem leblosen Ding, irgendetwas über sich einflüstern. Das war gegen seine Katzenehre, und die stand über allem, selbst über den Handel, den er mit Naheniel  abgeschlossen hatte.

Gerade als er sich auf den Boden drücken und zwischen Freyas Beine huschen wollte, erklang ein Geräusch, das ihn innehalten und fauchen ließ. Sein Rücken krümmte sich zu einem bedrohlichen Buckel, und seine Augen nahmen einen blutroten Schimmer an. Ein durchdringender, gleichmäßiger Ton hallte durch den Flur, entfernt und doch so nah.
 
Tock. Tock. Tock. 

 
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Wie willst du vor dem fliehen, was in deinem Kopf ist?
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Gesichtsloser Erzaehler
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#1050

Beitrag: # 54471Beitrag Gesichtsloser Erzaehler »

Die Gräfin

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Tock tock tock.

Der charakteristische Klang auf dem Boden. Kalt und starr wie vieles hinter der schönen Fassade. Seelenlos, gebrochen und monoton. Es gab für viele hier keinen Grund mehr zu kämpfen. Stille und stumme Akzeptanz des Schicksals. Aber Anfangs waren sie wie Freya oder Haedinn. Sie wollen kämpfen. Sie wollen entkommen. Sie wollen es zumindest versucht haben. Haedinns Spiegel veränderte sich mit dem fallen der Temperatur je näher das Tocken kam. Die Ecken wurden dunkler, wie kriechende kleine Schatten, die sich vermehrt paaren und ausbreiten, wie ein Pilz der lebendig nach mehr verlangt. Hungrig, gierig, verschlingend. Der Spiegel sei er real oder nicht zeigt was anderes als man wirklich sah. Eine schleichende Veränderung wie ein morphines Bild, dass sich langsam verschiebt. Es waren erst die Wände von denen der gepflegte Putz abbrockelt und die karge bloßgestellte Wand freigab. Kaltes Gestein, dass schon Löcher geschlagen hatte und über die allerlei Getier kriecht. Der Spiegel zeigt was wahr ist. Der Spiegel offenbart eine Wahrheit die erschreckend und bedeutsam war. Spiegel zeigen was ist, deshalb hatte die Gräfin keine Spiegel erlaubt.

Verfall. Verwesung. Alles endet.. alles muss vergehen.

Der Wald mit den traurigen Bäumen, verdrehte übrig gelasse Fragmente von Seelen. Zerrissen von etwas was hier herrscht, dass sicher keine Menschlichkeit besaß. Die Wand war im Spiegel nun mehr ein Gerippe aus Steinen und Mörtel, in dem sich irgendwas parasitäres eingenistet hatte. Vom Teppich, Decke und schönen Stoffen war nichts mehr zu sehen. Alles wirkte verrottet und alt. In den Ecken schlängelte sich das Gewächs und zeugte die Luft war voller Sporen. Zweifel Kind, zweifel. Was war noch wahr und was Einbildung.
Die Tür hing halb aus dem Rahmen, der Griff verrottet und verrostet. Die Farbe schälte sich wie Bananenpelle von dem Holz. Alles war überwuchert von diesem Pilz oder Schimmel oder was auch immer das war. Nur das Tocken blieb. Ein penetrantes Tocken und der Schatten näherte sich.

Anschwellend wie ein Chor aus einem unwilligen Raunen, dass überall und nirgends zu sein schien wurde der Spiegel, ob er nun real war oder nicht, trüb. Als würde ich etwas seiner Bemächtigen und zeigte sich Haedinns Katzengesicht wie es langsam verging. Erst ein paar Löcher im Fell, dann zeigte sich Knochen, die Fänge traten mehr vor, die Augen wichen zurück. Am Ende stierte ihn sein blanker Schädel an mit wabernden schwarzen Schlieren die aus den Augen wucherten und aus dem Spiegel drängen wollten.

Die Finsternis nahm zu. Mahnend und bedrohlich, wie ein Netz das sich weiter und weiter zuziehen will. Sie weiß es. Oder ES weiß es.

Das Tocken verklang vor der Tür und dann war es still. Im nächsten Moment war alles wieder wie es vorher war.
Sie war da und hinter der Tür unter dem Schleier....

... lächelte die Gräfin.
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